Tom Winter und der weiße Hirsch. Nicole Wagner

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Tom Winter und der weiße Hirsch - Nicole Wagner

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Kellerräumen seines Vaters; Tom wollte jede Wette eingehen, dass auch diese zu Besuch kommenden Wesen Zauberwesen aus einer anderen Welt waren. Ungeduldig trommelten seine Finger gegen den Fensterrahmen. Angesichts der hohen Relevanz einer gelungenen Beschattung würde er Unterstützung brauchen und sein Vater stand ja gerade nicht zur Verfügung. Tom schnappte sich das Haustelefon von seiner Station im Flur und wählte die Nummer seines Freundes Peer Feuerecker; er wohnte direkt gegenüber, hatte also ebenfalls gute Sicht auf Griselbarts Haus, und war Tom und seinem Vater in der Vergangenheit schon oft bei Finde-Hinweise-zur-Existenz-der-Anderswelt-Suchaktionen zur Seite gestanden.

      Er nahm erst nach dem siebten Klingeln ab.

      „Hi, Tom. Ich hab mir gerade Schmetterlinge angesehen.“

      Es war Peers Hobby, die Krabbler unter dem Mikroskop zu betrachten.

      „Peer, es gibt unglaubliche Neuigkeiten. Mein Dad hat einen toten Kobold gefunden!“

      Stille. „Was?“

      „Ich schwör's, ich hab ihn gesehen! Er liegt in unserem Keller.“

      „Du verarschst mich doch! Wo kommt der her?“

      „Er lag am Waldrand, genau hinter Griselbarts Haus. Er hat Blut an der Schnauze und seine Arme sind gebrochen. Dad meint, dass ein Zaubererfluch ihn getötet hat.“

      „Ha! Wir haben immer geahnt, dass an dem Typen was faul ist … He Tom, siehst du den Kerl, der jetzt die Straße entlangkommt?“

      Tom spähte aus dem Fenster. Die Nacht warf lange Schatten. Gerade in diesem Augenblick schlüpfte aus der Dunkelheit ein Mann, denn das schien er zu sein, und ging mit zielstrebigen Schritten auf Griselbarts Haus zu. Seine Umrisse waren gewaltig, doppelt so groß wie die eines normalen Menschen und zwischen Kopf und Rücken war so viel Abstand, als hätte er einen Buckel wie Quasimodo, der Glöckner der Notre-Dame. Die Hände hielt er merkwürdig angewinkelt an seiner Seite und von der Mütze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, ging ein schwaches rotes Leuchten aus, als würden seine Augen glühen.

      „Siehst du seine Augen?“, fiepte nun auch Peer ins Telefon.

      „Ich seh's“, flüsterte Tom ebenso leise zurück. Plötzlich wandte der Fremde den Kopf und fing seinen Blick auf, wie er da am Fenster stand. Tom konnte sich nicht rühren, er war wie gelähmt und vergaß zu atmen. Der Fremde fletschte die Zähne, man konnte es nicht anders ausdrücken, und knurrte. Eine laute, blecherne Stimme hallte in Toms Kopf wieder, als würde ein Roboter direkt in sein Gehirn sprechen.

      „Halt dich fern von uns!“

      So schnell wie er gekommen war, so schnell war der Moment vorbei, der Fremde schlüpfte durch die sich öffnende Tür und war verschwunden. In der allerletzten Sekunde verrutschte sein Mantel, und gab den Blick frei auf einen langen, büschelartigen Schweif gleich dem eines Wolfs. Eine Weile sagte keiner der beiden Jungen etwas, Tom lauschte seinem wild schlagenden Herzen, dann murmelte Peer: „Ich bin sofort bei dir.“

      „Nimm deinen Fußball mit!“, zischte Tom.

      Peer fragte nicht weiter nach. „Okay.“ Er legte auf.

      Tom brauchte noch einen Moment, um seine Atmung zu beruhigen. Er stützte sich am Fenstersims ab und beobachtete Griselbarts Villa; nichts rührte sich, doch ein Licht, dort, wo er das Wohnzimmer vermutete, verriet, dass etwas im Gange war. Der Junge riss sich von dem Anblick los, huschte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. In der Küche hörte er seinen Vater telefonieren, es klang, als brächte er alle Überzeugungskunst auf, die er zu bieten hatte. Tom stellte sich vor, wie es sein musste, einen renommierten Uniprofessor von einem Koboldfund zu überzeugen und unterdrückte ein Grinsen.

      Es dauerte keine drei Minuten, da klingelte es Sturm an der Haustür. Tom zog gerade den Reißverschluss seiner Softshelljacke zu, als Peer schon an der Klinke rüttelte, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter ihm her.

      „Hey, Tom! Charlie wollte auch kommen.“

      Peer gab den Blick frei auf ein schlankes Mädchen mit rotbraunem Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war, und braunen Augen. Charlotte Rottint, wie sie mit vollem Namen hieß, wohnte neben Peer, also schräg gegenüber von Tom und besuchte wie sie die siebte Klasse des Von-Müller-Gymnasiums.

      „Du hast sie angerufen?“, fragte Tom.

      „Sie hat gesehen, dass ich rüber gelaufen bin und wollte mitkommen.“

      „Hast du deinen Fußball dabei?“

      Peer hielt ihn hoch. Tom nickte und bedeutete den anderen beiden, ihm zu folgen. Wenn sie überrascht waren, dass Tom, der für gewöhnlich eher zurückhaltend war, die Führung übernahm, ließen sie sich nichts anmerken.

      Peer fragte: „Was hast du vor?“, aber Charlie konnte es sich schon denken.

      „Du willst den Fußball über die Hecke schießen, damit dir jemand aufmacht?“, mutmaßte sie.

      Tom nickte. „Vielleicht kann ich dabei einen Blick ins Haus werfen und sehen, was drin vor sich geht.“

      „Meiner Meinung nach solltet ihr Griselbart einfach in Ruhe lassen. Ich glaub‘ nicht, dass er was Verbotenes tut.“

      Tom seufzte ungeduldig, während sie den Gartenzaun umrundeten. Kalte Nachtluft kitzelte ihn an der Nase, raunte ihm das Versprechen eines bevorstehenden Abenteuers zu. „Es geht nicht darum, ob er was Verbotenes tut, sondern ob er was Geheimes tut. Wenn du mich fragst, ist seine Villa ein Stützpunkt, das Basislager sozusagen, dieser geheimen, anderen Welt. Und in der gibt es Magie.“

      „Du hast eine blühende Fantasie“, sagte Charlie. Sie musterte ihn mit einem forschenden Blick, als wäre sie sich der Veränderung bewusst, die in dem Jungen vorgegangen war. Aber sie sagte nichts.

      Charlie hatte von Anfang an Zweifel geäußert, seit sie von ihren Anstrengungen, eine Zaubererwelt aufzudecken, Wind bekommen hatte. Aber sie war dennoch interessiert, sie zu begleiten, war sportlich und recht hübsch, also hatten die beiden Jungen nichts dagegen.

      Vor der Hecke ließ Tom den Ball fallen und versetzte ihm gleichzeitig einen Tritt mit dem Fuß; obwohl er nicht besonders viel Kraft anwendete, setzte der Ball in hohem Bogen über die Hecke, beinahe wie von Zauberhand getragen sozusagen, und landete mit einem dumpfen Plumps auf der anderen Seite. Tom spurtete zurück zum Weg und machte sich alleine auf zu Griselbarts Villa, die anderen wollten etwas abseits auf ihn warten. Peer wirkte direkt erschrocken und wisperte: „Keine zehn Pferde könnten mich da jetzt hinbringen! Vergiss nicht den Typ mit dem Wolfsschwanz!“

      Merkwürdigerweise war das Tor, das zu Griselbarts Grundstück führte, mittlerweile verschlossen; Tom hätte schwören können, dass der letzte Besucher ohne zu klingeln hinein marschiert war. Er drückte den Knopf. Während er wartete, spürte er sein eigenes Herz schmerzhaft schnell gegen den Rippenbogen pochen. Eine Weile geschah nichts – dann.

      „Ja?“, schnarrte eine Stimme aus der Leitung.

      Tom beugte sich näher ran. „Guten Abend, Herr Griselbart, ich bin Tom Winter. Ich habe meinen Fußball aus Versehen über Ihre Hecke geschossen und wollte fragen, ob ich ihn mir wiederholen könnte.“ Er wartete und kreuzte die Finger.

      Ein leises Lachen ertönte. Es herrschte so lange Schweigen, dass Tom meinte, der Gesprächspartner habe aufgelegt. Dann sagte Griselbart:

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