Das Teufelskraut. Michael Hamberger
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Die beiden nächsten, die den Bären gesehen hatten, waren zwei Wanderer. Ein Mann und eine Frau. Die waren im Gegensatz zu dem Beamten des Kantons auch sofort zu einem Gespräch bereit und zu Laylas Überraschung saßen sie genau in dem Kaffee, wo sie sich in einer Stunde mit dem Förster treffen wollte. Deshalb ging Layla gleich zu dem Kaffee, bei dem sie gut fünf Minuten später eintraf. Mittlerweile schneite es richtig stark und so wie es schien, blieb der Schnee auch liegen.
Als Layla in das Lokal trat, konnte sie die beiden auch sofort erkennen. Sie schienen das ganze Lokal mit ihrem Abenteuer zu unterhalten und es schien ihnen auch nicht aufzufallen, dass die Leute sie von ganzen Herzen auslachten. Auch Layla musste sich auf Anhieb ein Lachen unterdrücken. Der Mann war im Eifer des Gefechtes auf seinen Stuhl gestanden, um dort besser sehen zu können und natürlich auch gesehen zu werden. Es war auf den ersten Blick klar, dass der Mann ein furchtbarer Angeber war. Er war circa 1,90 Meter groß und Solariums gebräunt. Er hatte Kleidung an, der man auf den ersten Blick ansah, wie teuer sie war und in seinem schulterlangen, blondierten Haar war immer noch eine Ray Ban Sonnenbrille. Auch seine Freundin sah nicht anders aus. Ein Möchtegern Modell mit langen Fingernägel und mehr Schminke als Haut im Gesicht. Auch sie war aufgesprungen, um ihren Freund bei seinen Schilderungen tatkräftig zu unterstützen. Layla war von der ersten Sekunde an klar, dass sie hier eine sinnvolle Befragung vergessen konnte. Also wollte sie die beiden erst einmal beobachten. Vielleicht fand sie ja dadurch etwas heraus, dass sie dann bei dem Förster gezielt nachfragen konnte. Also setzte sich Layla an einen freien Tisch, der etwas Abseits des Spektakels lag, ihr aber trotzdem noch eine gute Sicht bot.
Augenblicklich näherte sich ihr ein Kellner. Layla sah ihm an, dass er sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen konnte. Deshalb fragte sie ihn, nachdem sie sich einen großen Milchkaffee bestellt hatte, direkt nach den beiden, denen offenbar immer noch nicht aufgefallen war, dass sie zum Gespött wurden. Der Kellner beugte sich verschwörerisch zu ihr herunter und sagte mit breitem Schwyzerdütsch:
„Die sind total bescheuert. Die behaupten doch tatsächlich einen riesigen Urzeitbären gesehen zu haben. Der Typ sagt, er hätte vor kurzem einen Bericht im National Geographic über diese Bären gesehen. Lustigerweise sollen diese riesigen Bären Kurznasenbären geheißen haben!“
Jetzt konnte der Kellner sein Lachen nicht mehr zurückhalten und blies Layla eine Rotweinfahne entgegen.
Layla erinnerte sich an den Bericht, den sie selbst im TV gesehen hatte. Es handelte sich bei diesem Bär um eines der größten Raubsäugetiere, die je gelebt hatte. Er hatte im Pleistozän vor circa 15'000 bis 40'000 Jahren gelebt, aber war soweit Layla sich erinnerte nur in Nordamerika heimisch gewesen.
Der Kellner entfernte sich wieder und kam kurz später mit Laylas Kaffee zurück, den die mit Genuss trank, während sie den Angeber betrachtete, der sich immer mehr in Rage redete und versuchte, jeden seiner Wörter mit eindrucksvollen Gesten zu unterstreichen. Mittlerweile schien ihm auch aufgegangen zu sein, dass die Leute ihn auslachten, doch anstatt sich hinzusetzen und verschämt die Klappe zu halten, wurde er immer noch lauter. Dann sah er plötzlich Layla und erinnerte sich offenbar an ihre Verabredung. Er sprang von seinem Stuhl herunter, näherte sich Laylas Tisch und setzte sich ungefragt zu ihr. Er sah ihr in kurz die Augen, dann aber über ihren kompletten Körper, soweit er ihn hinter dem Tisch erkennen konnte. Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck. Offensichtlich wollte er mit ihr flirten, obwohl seine Freundin nicht einmal fünf Meter weit entfern saß. Layla kam fast die Galle hoch. Allzu oft hatte sie es in ihrer Tätigkeit als Journalistin mit solchen Prachtexemplaren der Gattung Mann zu tun. Er prostete Layla zu und sagte mit einschmeichelnder Stimme:
„Sind sie nicht die Tussi von der Spezialorganisation, die mit mir reden wollte?“
„Erst einmal bin ich keine Tussi und ich glaube, ich habe schon genug gehört!“
„Ach ja und sie wollen keinen Spezialbericht?“
„Nein, es ist wirklich nicht nötig!“
„Darf ich Sie trotzdem zu einem kleinen Sekt einladen!“
„Das ist schon zweimal nicht nötig. Ich glaube, Ihre Freundin hat ihr Glas schon leer. Der können Sie ja noch einen ausgeben!“
Der Mann sah Layla beleidigt an. Das war Layla jedoch total egal. Je eher der Mann wieder ging, desto besser für sie. Und tatsächlich stand der Mann wieder auf und ging zu seiner Freundin zurück, die ihn gleich mit einem dicken Kuss begrüßte, wobei sie es sich aber nicht nehmen ließ, Layla einen triumphierenden Blick zuzuwerfen.
Obwohl Layla sich selbst nicht als Schönheit bezeichnete, passierte es ihr leider sehr oft, dass ihre männlichen Gesprächspartner in reines Balzgehabe ausbrachen, wenn Layla sie interviewte. Layla vermutete, dass sie durch ihre Werwolf Seite eine „animalische“ Ausstrahlung zeigte, die manche Männer fast magisch anzog. Gut, Layla war mit Sicherheit nicht hässlich. Sie war circa 1,60 groß und sportlich durchtrainiert. Sie wirkte sehr jugendlich, manche sagen sogar mädchenhaft und nicht, wie eine bald 27 jährige junge Frau. Außerdem konnte sie, wenn sie wollte, mit ihren tiefblauen Augen sehr unschuldig schauen und zusammen mit ihren blonden, schulterlangen, naturgelockten Haaren, die sie gerne zu einem Pferdeschwanz zusammenband, bewirkte dies, dass sie von ihren Gesprächspartner oft unterschätzt wurde. Layla förderte dieses Image auch sehr gerne, weil sie dadurch oft an Informationen kam, die sie sonst niemals bekommen hätte. Sie besaß ein angeborenes, unerschütterliches Selbstbewusstsein, das durch ihre Werwolf Natur noch weiter vertieft worden war.
Nachdem der Angeber wieder zu seiner Freundin zurückgekehrt war, würdigte ihn Layla keines weiteren Blickes, obwohl sie merkte, dass er mit seiner Freundin über sie sprach. Layla holte ihre Tasche hervor, in der sie ihren Laptop hatte. Sie wollte bevor sie mit dem Förster sprach, schnell im Internet über Bären recherchieren. Vielleicht fand sie ja etwas, dass sie zu einigen Fragen führte, die sie dem Förster stellen wollte. Doch bevor der Laptop richtig aufgestartet hatte, klingelte plötzlich ihr Handy. Es war der Förster. Er war richtig aufgeregt, sodass Layla ihn zuerst nicht verstehen konnte, da er ebenfalls ein breites Schwyzerdütsch redete, das ihr große Schwierigkeiten bereitete. Aber dann verstand sie ihn doch. Offenbar war der Bär wieder gesichtet worden. Layla fragte den Mann, ob sie ihn begleiten könne, doch der war gar nicht begeistert. Es sei zu gefährlich. Layla fluchte innerlich. Wenn der jetzt in die Berge verschwand und sie hier zurückließ, dann konnte sie eine brauchbare Recherche vergessen. Nichts war für einen Journalisten schlimmer, als eine erkaltende Spur. Layla versuchte erst gar nicht, den Mann zu überreden. Er hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, was er von einer Begleitung hielt. Vielleicht bekam sie aber dennoch etwas heraus. Deshalb fragte sie so unverfänglich wie möglich, wo denn diese Sichtung gewesen sein. Und tatsächlich erwischte sie den Mann in seiner Aufregung auf dem falschen Fuß, dass er ihr den ungefähren Standort nannte.