Der Tag des Präsidenten. Dirk Fettig
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Wie gesagt: der Mann hatte viele Talente...
„Guten Morgen, Herr Präsident. Wünsche wohl geruht zu haben.“
Benjamin erlaubte sich eine vornehme, lediglich angedeutete Verbeugung.
„Guten Morgen, mein lieber Wolffsohn... Sie sind schon so munter? Ich denke, ich muss Ihnen ein umfangreicheres Quantum an Arbeit zuschanzen, was meinen Sie? Ansonsten sind Sie mir zu ausgeruht...“
Der Präsident war nun seinerseits vollends wach und kicherte, ob des ihm geglückt scheinenden Scherzes vergnügt, während er zugleich nach dem `Tilt´ griff und sich auf dem Diwan gegenüber des Kamins niederließ.
„Sie sind allerdings bisher immer sehr gütig zu mir gewesen, Herr Präsident.“
Benjamin Wolffsohn erlaubte sich eine erneute halbe Verbeugung mit der vollendeten Grazie eines englischen Butlers.
„Ach Wolffsohn, nennen Sie mich doch bitte ab heute einfach `durchlauchtigste Hoheit´!“ meinte der erste Mann im Staat eher beiläufig, während er zunächst den Sportteil des `Tilt´ aufschlug.
Er hielt es nicht für angebracht, dem Untergebenen im Zuge der Äußerung dieses merkwürdigen Wunsches in die Augen zu schauen. Statt dessen vergewisserte er sich lieber, dass sein geliebter FC Bleiern den gestrigen Gegner im laufenden Pokalwettbewerb nach allen Regeln der Fußballkunst in Grund und Boden gespielt hatte. Dass die Hinterfragung der Unparteilichkeit des Schiedsrichtergespannes allgemein als Relativierung der sportlichen Leistung des Rekordmeisters aufgefasst wurde, störte ihn dabei nicht weiter. Er war bloß rückwirkend ärgerlich, dass solch ein lästiger Empfang zu Ehren des Besuches eines Staatschefs ihn von der Verfolgung der Live-Berichterstattung der Partie entbunden hatte! Aus welchem dunkelamfrikasischen Land, von dem kein Europästralier nach seinem Dafürhalten auch nur das Geringste überhaupt wissen müsste, kam der Knilch von gestern noch einmal? Der Präsident hatte es längst vergessen. Überhaupt war der Abendempfang von ausgesprochen dürftigem Gehalt gewesen und insgesamt ermüdend verlaufen... Ja, das stimmte ihn auch nun nochmals ein wenig ärgerlich... Ein wenig ärgerlich - und das war lediglich von kurzer Dauer; der Präsident schien überhaupt seine Gefühlsempfindungen regelmäßig auf recht überschaubare Zeiteinheiten angelegt zu haben, bevor sie durch andere, bisweilen gar gerade entgegengesetzte Gefühlsempfindungen abgelöst wurden; und jene wiederum durch andere...
Diese Sprunghaftigkeit erleichterte dem Betreuer des Präsidenten nicht eben die Arbeit. Mitunter glaubte jener gar in dem Präsidenten erste zarte Ansätze einer multiplen Persönlichkeitsstörung entdecken zu können!
Doch diesen Verdacht – nein, das war allzu streng gesprochen – diese vage Möglichkeit ließ Wolffsohn wohlweislich vorerst in seinem Innersten verschlossen. Er getraute sich kaum einmal diesem erschütternden Gedanken in sich selbst Auskeimung zu gewähren!
Das wäre ihm viel zu riskant erschienen...
So stand Benjamin einigermaßen verdattert inmitten des Raumes und wusste nicht, was dass nun wieder sollte.
„Aber Herr Präsident, ich verstehe nicht recht...“, tastete er sich vorsichtig in unbekanntes Gelände hinein.
Der Präsident geriet erneut ins Schmunzeln.
„Schon gut, schon gut, mein Lieber. Das war natürlich nur ein dummer kleiner Scherz von mir, mein lieber Wolffsohn... Entschuldigen Sie schon. Sie wissen doch, ich habe bisweilen des Morgens den Schalk im Nacken hocken...“
Der so Beschwichtigte schaute skeptisch dem Präsidenten geradewegs in die Augen.
„Ach so... Ich verstehe... und ich dachte bereits -“ Er wurde leiser und leiser, bis er sich zuletzt unterbrach, da der strenge Blick des Herrn Erwusch die Oberhand behielt - und mit dem Absenken des Erwuschen´ Blickes sank rhythmisch vereinbar die Stimme Benjamins.
Georg Joachim Erwusch schien auf genau diese unbestimmte Aussage gelauert, ja spekuliert zu haben. Das Einhaken in diese Äußerung jedenfalls ging mit harpunenartiger Geschwindigkeit vor sich. „Was dachten Sie sich schon?“ Und mit festsitzendem Widerhaken wurde der Fang eingeholt. „Sie dachten, dass ein `Euer Gnaden´ mir bereits entgegen käme? Nun ja, da stottern Sie gar nicht einmal allzu knapp am Ziel vorbei, mein lieber Wolffsohn. Die Anrede `Euer Gnaden´ ist mir tatsächlich auch recht angenehm. Das können wir noch gelten lassen! Dafür erhalten Sie neunundneunzig Gummipunkte und einen Kasten Lebertran von mir... Das war ganz große Klasse. Ich gratuliere zum Hauptgewinn!“ Und begeistert stürzte der Präsident auf seinen jugendlichen Betreuer zu, um diesem die Hand zu quetschen.
Während er noch seine Finger sortierte, kehrte die Verblüffung in die Gesichtszüge des Jungakademikers zurück. Doch außer eines uninspirierten „Äh ...“ wusste der aufstrebende Jüngling sich keiner angemessenen Äußerung zu bedienen.
Noch mehr allerdings irritierte ihn, dass der Präsident dieses „Äh...“ ohne mit der Wimper zu zucken auf beinahe kindliche Weise nachäffte und sich schier ausschütten wollte vor Lachen! Es kam selten vor, dass der Mann hinter den Kulissen das Gefühl hatte, eine falsche Strippe gezogen zu haben... Diesmal aber war er sich sicher: der Präsident hatte ihm eine Stolperfalle gestellt. Jedoch warum?
Noch ehe Benjamin Wolffsohn mit sich selbst über eine mögliche Antwort ins Reine gelangt war, wurde seine Aufmerksamkeit bereits wieder in Anspruch genommen.
Präsident Erwusch hatte sich wohl soeben die letzten Schlafensreste aus den Augen und dem Gemüt gerieben, dabei zugleich eine Frage an Benjamin gerichtet, die dieser allerdings nicht erfasst hatte...
„Entschuldigen Sie bitte, Herr Präsident, ich - “
„Euer Gnaden!“
„Wie bitte?“
„Hatte ich Ihnen nicht eben erst, vor gerade einmal zwei Minuten, erklärt, dass ich ab heute als `Euer Gnaden´ tituliert zu werden wünsche? Also bitte, richten Sie sich gefälligst danach... Ansonsten müsste ich mir noch eine weitaus vertracktere Titelsammlung zulegen. Wie wäre es dann zum Beispiel mit: `Eure Heiligkeit´? Oder was hielten Sie von `Durchlauchtigste Seligkeit´? `Sohn des Himmels und der Erde´ würde sich auch nicht schlecht machen, nicht wahr? Klingt allerdings allzu asifrimatisch, was meinen Sie? Man müsste sich hierfür freilich Schmalaugen zulegen, oder? Ansonsten wirkt der Titel wohl nicht. Nein, das ist mir dann doch allzu fragwürdig. Da sieht man gewiss nur die Hälfte von allem, mit solchen Schmalaugen... Aber, im Kino zum Beispiel, muss man dennoch den vollen Preis bezahlen, nicht wahr?“
Erneut schüttete der Herr Erwusch sich aus vor Lachen.
„Eindeutig geeigneter wäre ja doch ein Titel wie der einer europästralischen `kaiserlichen Unfehlbarkeit´! - `Eure kaiserliche Unfehlbarkeit´! Das ist doch einmal ein Titel, was? - Den hat nicht jeder aufzubieten! Da kommt man nicht so leicht daran, an solch einen Titel! Nur ein ganz ausgewählter Kreis menschlicher Erdenbürger hätte ein Anrecht und überhaupt das notwendige Empfinden, von charakterlicher Größe ganz zu schweigen, solch einen oder einen ähnlichen Titel tragen zu dürfen!“
Der Adjutant schien noch immer nicht begriffen zu haben, worauf der Präsident hinauswollte. Das Unverständnis stand ihm nur allzu deutlich ins Antlitz geschrieben.
„Ich sage Ihnen, mein lieber Wolffsohn, eines Tages“, fuhr Georg Joachim Erwusch fort und ein beängstigender Anflug von Ernsthaftigkeit erzitterte nun in den präsidialen Stimmbändern, „eines Tages, da werde ich auch diesen Titel, ich