Der Tag des Präsidenten. Dirk Fettig
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Читать онлайн книгу Der Tag des Präsidenten - Dirk Fettig страница 3
Der Vertraute war allem Anschein nach diesem Wettangebot nicht recht zugeneigt. „Also, ich weiß nicht...“
„Ach was, Wolffsohn, diese gesamte künstliche Ziererei unterlassen wir nun einmal. Ich bin jetzt Ihr Freund, Ihr Buddy gewissermaßen, Ihr Kumpel... Verstehen Sie? Das ist doch nur eine kleine Wette zwischen uns, eine Wette unter guten Freunden... Der Einsatz ist Ihnen zu gering? Nun gut, von mir aus können wir den Einsatz erhöhen... Aber über die tausend Talergrenze sollten wir nicht gehen, da wird es unanständig... Also los, kommen Sie, schlagen Sie schon ein...“ Und er reichte dem Jüngling die Rechte hin.
Dieser stand benebelt und glaubte sich inmitten einer reichlich merkwürdigen Phantasmagorie.
Als Präsident Georg Joachim Erwusch jedoch ohne weitere Vorwarnung die Hand des Untergebenen ergriff und sie wie zum Spaß und zum Beweis seiner Manneskraft erneut ausführlichst drückte, presste, ja quetschte, da wurde Benjamin Wolffsohn sogleich schmerzhaft bewusst, dass er sich nicht in den Tiefen einer Zauberwelt befand. Er war durchaus wach und bei klarem Verstand. Ob er dies von seinem Gegenüber auch behaupten könne, schien ihm zu diesem Zeitpunkt dagegen nicht wirklich sicher. Er war zwar von seinem Präsidenten bereits einiges gewohnt, doch dies hier, das war in der Tat mehr als merkwürdig. Gleichwohl erinnerte er sich nun, da er es recht überdachte, an verschiedene andere, wahnwitzige kleinere Begebenheiten der letzten Tage...
Wie war das doch erst gestern gewesen?
Ja, richtig, Präsident Erwusch hatte während des Studiums des `Tilt´ nach einer Schere verlangt und – nachdem er das Werkzeug erhalten hatte – das Foto des sich räkelnden, leichtbekleideten Mädchens von Seite eins ungeniert ausgeschnitten und in seiner Bademanteltasche verschwinden lassen... Gestern noch hatte Benjamin diesem Vorfall keine allzu tiefe Bedeutung beigemessen, doch heute nun, nach dem gerade eben erfahrenen verbalen Irrsinn, da übermannten ihn doch ernsthafte Sorgen.
„Wolffsohn!“
Der Präsident zerrte ihn aus seinen Gedanken.
„Wolffsohn, träumen Sie? Sie sollten nicht träumen! Alles, was zu Träumen verleitet ist gefährlich! Und nicht nur das: Träumen ist ungesund und führt zu Wahnvorstellungen... Wir sollten einen Warnhinweis im Impressum der Bücher zur Verpflichtung machen. Wolffsohn, setzen Sie sich doch bei nächstmöglicher Gelegenheit mit dem Gesundheitsministerium in Verbindung. - Was meinen Sie, Wolffsohn, warum ich keine Bücher lese... na? - Weil sie die Phantasie anregen und Phantasie führt zu Träumen und Träume sind gefährlich! Ich träume überhaupt nie! Das habe ich mir schon abgewöhnt, als ich noch ein kleiner Junge war. Während die anderen Jungs damals in meiner Kindheit davon träumten berühmte Fußballspieler, Formel-Eins-Piloten oder berüchtigte Piraten zu werden, da arbeitete ich daran – wohlgemerkt, ich arbeitete! – späterhin ein großer Staatsmann zu werden. Indem ich nämlich diesen Jungs im Gegenzug zu gewissen Gefälligkeiten, die sie mir erwiesen, Versprechungen machte, die ich bei Einlösefälligkeit mit anderen Versprechungen austilgte, von denen mir natürlich von Anfang an klar war... – Aber das bleibt unbedingt unter uns, das zeugt von meinem Vertrauen zu Ihnen, mein Kumpel! - Mir war natürlich von Anfang an klar, dass ich letztendlich nie und nimmer in meinem Kinderleben auch nur eine einzige Versprechung wirklich würde einlösen können! Aber die Hohlköpfe von damals haben mir alles abgekauft, sie konnten irgendwann gar nicht mehr anders, denn in einer zu schmalen Sackgasse kann man nicht unbeschadet wenden und zurück rudern ist einfach nur peinlich!
Einige dieser Hohlköpfe von damals erweisen sich übrigens auch heute noch als meine Gönner – um sie einmal wertneutral so zu benennen. Ich habe mir also schon als ganz, ganz kleiner Junge damals zu meinem persönlichen Glück das Träumen abgewöhnt, um nicht zu sagen geradezu abtrainiert! Und das war auch gut so, denn sonst wäre ich längst nicht das, was ich heute bin: der mächtigste Mann der Welt! – Also merken Sie sich Wolffsohn, wenn Sie noch etwas werden wollen, dann gewöhnen Sie sich schleunigst das Träumen ab, haben wir uns verstanden?“
„Jawohl, mein Präsident, ich habe Sie unbedingt verstanden...“
Das Pflichtbewusstsein dem Herrn und Meister gegenüber war in diesem Augenblick noch stärker als das kritische Bewusstsein und daher ließ es der Vertraute zunächst mit seinen Überlegungen bewenden und erteilte die erwartete Antwort. Zudem kehrte er sich nun dem aktuellen Tagesgeschehen zu. „Sagen Sie mir aber jetzt bitte: was steht denn heute an, mein Präsident? Damit ich mich auf den weiteren Tagesablauf einstellen kann.“
Der Präsident wurde ernsthaft. Er setzte eine tiefgreifende, eine bedeutungsschwangere und geheimnisvolle Miene auf... Dann sprach er die geradezu historisch anmutenden Worte: „Heute werden wir zur Abwechslung einmal die Welt retten!“
Der beratende Adjutant wurde bleich. Erschrockenheit sprang ihm ins Angesicht. Und furchtsam, ja ungläubig wagte er die Nachfrage: „Gleich die ganze Welt? Geht es denn nicht erst einmal um ein Weniges kleiner? Sollten wir nicht vielleicht erst einmal mit... ähm... tja, womit könnte man denn einmal anfangen, ohne sich gleich so ganz und gar auf das spiegelglatte und gefahrvolle Parkett der Weltbühne begeben zu müssen?“
Er überlegte eine ganze Weile; dann glätteten sich unvermittelt die Besorgnis aussprechenden, tiefen Denkfurchen in der jugendlichen Stirnpartie. Benjamin Wolffsohn hatte eine Idee. „Sollten wir nicht vielleicht zunächst einmal eine seltene Vogelart vor dem Aussterben bewahren? Das käme sicherlich bei der Bevölkerung gut an, wenn wir einen Hilfsfond zum Schutz der heimischen, bedrohten Vogelwelt auflegen würden... - Oder aber wie wäre es, wenn wir ein hungerndes Kind in Afrimerika oder Südostastralien oder irgendwo sonst da unten auf der Weltkugel durchfüttern würden? Nur ein Kind, zunächst zumindest einmal... Symbolisch gesehen quasi, als Zeichen unserer inneren Anteilnahme an den immensen, ungelösten Problemen der Drittel-Welt-Länder! Und doch könnte uns niemand vorwerfen, wir würden unsere Nase zu breit oder tief oder quer in Angelegenheiten stecken wollen, die uns nichts angehen. Na, was meinen Sie, Herr Präsident?“
„Ach was, Wolffsohn, mein Guter, wie langweilig... Nun seien Sie man bloß nicht so bescheiden. Sie wissen doch so gut als ich, dass die Welt nach uns verlangt... Das ohne uns nichts, aber auch gar nichts läuft... Das wir diejenigen sind, die den Laden am Kacken halten. Wir sind die Heilsbringer, wir sind der Maßstab, wir sind das X und das Y und wer... wer, wenn nicht wir, soll Fußballweltmeister werden?!“
Da musste der Präsidialberater mit seinem jugendlichen, gewinnenden Lächeln nun doch ein scheinbares Verstehen nach außen kehren. Und erleichtert sprach er: „Ach so, ich begreife... Das war natürlich auch nur als Scherz von Ihnen gemeint, Herr Präsident, was die heutige Rettung der Welt betrifft...“
Er lag allerdings hier mit seiner Deutung falsch.
Georg Joachim Erwusch jedenfalls blieb ernst und streng. Und er ließ sich seine Irritation anmerken, als er nun sprach: „Aber mein guter Sohn, was ist dies? Ich bin enttäuscht... Sie glauben nicht wirklich an unser Sendungsbewußtsein? Sie zweifeln insgeheim an der höheren Aufgabe, die uns beschieden ist? Aber wieso denn jetzt das? Was fällt Ihnen denn ein?“ Der Präsident wurde geradezu störrisch und knatschig. „Das stimmt doch wohl alles, mit der Rettung, mit der Befreiung, mit der Freiheit! Das haben wir doch letztens erst wieder erlebt... in... äh... wie schimpft sich denn das Land noch einmal, wo unsere Jungs den Eingeborenen so nebenbei gezeigt haben, wo’s lang zu gehen hat auf der Welt... Na, ist ja auch egal. Auf jeden Fall zieht es sich historisch belegbar quer durch unsere Geschichte und Geschicke! Das ist nun einmal nicht weg zu leugnen, dass wir schon etwas besonderes sind! Nirgendwo sonst auf der Erdkugel haben wir schließlich so viele gut ausgebildete Landsleute, wie hier in unserem eigenen Land! Und dann