Patrick und die rote Magie. Peter Schottke

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Patrick und die rote Magie - Peter Schottke

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von ihr fort. „Ich habe lange genug mitgemacht in eurem komischen Märchentheater! Mich geht das hier alles nichts an! Macht es unter euch aus! Ich verabschiede mich! – O nein, nicht nötig, keiner muss mich hinausbegleiten, ich finde schon den Weg!” Er stapfte entschlossen die Hochebene aufwärts.

      „Bist du sicher?”, ließ ihn die Stimme der Fee innehalten.

      Patrick gab sich einen Ruck. „Aber klar”, behauptete er. „Ich kenne mich inzwischen aus, das können Sie mir glauben.” Er bückte sich und hob das längste Stück des Seils auf, mit dem die Wachen ihn festgebunden hatten. „Die Grenzschlucht? Pah! Spinnenfadenbrücken? Kein Problem. Grenzlandhyänen? Ha, da hab’ ich inzwischen ganz anderes erlebt! Und deshalb gehe ich jetzt nach Hause zurück!” Er wickelte sich das Seil um den Bauch und knotete es zu. Diesmal würde er auf die Schlucht besser vorbereitet sein. Er wandte sich ab, vollends entschlossen, sich diesmal nicht aufhalten zu lassen.

      „Patrick, hiermit mache ich meinen zweiten Wunsch geltend!” Die Stimme der Fee klang scharf, schärfer als je zuvor.

      Vor dem entfernten Lärm des Kampfgeschehens verstrich auf der Hochebene eine Minute tiefen Schweigens.

      Dann fragte Patrick: „Wen?”

      „Du erinnerst dich doch: Du bist mir drei Wünsche schuldig.”

      Patrick knirschte mit den Zähnen. Er dachte kurz daran, wie die Fee in seinen Kopf eingedrungen war und dort diesen unerträglichen Zwang ausgeübt hatte. Ein paar Schritte lief er auf und ab. Dann kickte er ein Steinchen weg, das sich erdreistet hatte, ihm im Weg zu liegen, und sagte: „Na schön. Wenn ich Ihnen damit eine Freude machen kann.”

      Die Fee lächelte und streckte ihm die Hand entgegen.

      „Nicht nötig”, wehrte Patrick ab. „Ich komme allein zurecht.” Und tatsächlich schwang er sich ohne größere Schwierigkeiten hinter Pryssalia auf den Pferderücken.

      Niemand war davon mehr überrascht als Patrick selbst.

      Kapitel 5: Gruselgruft

      Selten hatte Obeidian Birnweich, seines Zeichens Minimister am Kleinzwergonischen Königlichen Hof, die Gruft betreten, deren Stufen er nun hinabstieg. Eine Pechfackel in der Hand, suchte er sich seinen Weg Stufe um Stufe abwärts. Glitschig war die Steintreppe, eng der Gang, muffig die Luft. Er tastete sich voran und die zwei Angehörigen der Wache folgten ihm. Sie wechselten beunruhigte Blicke, schwiegen aber.

      Obeidians Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Anlässlich zweier Begräbnisse war er hier gewesen, doch das letzte lag bereits Jahrzehnte zurück. Zwergulin der Einundzwanzigste, Zwergulin der Zwanzigste … Nur noch Namen waren das, kaum erinnerte man sich noch an die Persönlichkeiten, die Zwergoniens Geschichte bestimmt hatten … Was hatten sie bewirkt?… Und vor ihnen, noch früher? Wer war damals maßgebend gewesen?

      Mit jeder Stufe, mit jedem Schritt, hatte Obeidian das Gefühl, dass die Geister der Vergangenheit sich ihm entgegenstemmten; er spürte einen Widerstand wie von strammer Luft und getraute sich kaum einzuatmen.

      Endlich war das Ende der Treppe erreicht. Obeidian streckte die Hand mit der Fackel vor. Ein finsteres Gewölbe lag vor ihm, von steinernen Pfeilern gestützt. Er tat einen Schritt und schon musste er husten, denn Spinnweben legten sich vor seinen Mund, Staub drang in seine Lungen. Er ging noch zwei, drei Schritte und versuchte sich zu orientieren. Richtig, hier waren die Ruhestätten der zuletzt Verstorbenen. Im flackernden Schein der Fackel sah Obeidian die Sarkophage links und rechts neben sich, in Wandnischen, jeweils zwei übereinander, auf Steinplatten ruhend, wie in Hochbetten.

      Obeidian hüstelte. Einer seiner Begleiter nutzte die Gelegenheit und äußerte sich ebenso.

      Der Minimister spähte in die Dunkelheit, die der Fackelschein nur notdürftig erhellen konnte. Viele Schritte lagen vor ihm. Ein langer Weg in die Vergangenheit …

      Er wandte den Kopf nach links. Die eingemeißelten Inschriften auf den Sarkophagen waren noch gut lesbar. Zwergulin der Einundzwanzigste, las Obeidian. Und darunter: Micrania, Gemahlin Zwergulins des Einundzwanzigsten. Er schaute nach rechts und entzifferte: Zwergulin der Zwanzigste. Maliniana, Gemahlin Zwergulins des Zwanzigsten.

      Obeidian schritt weiter voran. Er zog die Stirn kraus. Ein Gedanke hatte sich in seinem Kopf festgekrallt. Er konnte ihn noch nicht recht fassen, aber …

      An zahlreichen verblichenen Herrschern ging er vorüber, fegte Spinnweben beiseite und verwehrte dem Staub das Eindringen in seine Atemwege erst mit seinem Tüchlein, dann, als der Staub lästiger wurde, mit seinem Ärmel.

      Schritt um Schritt drang er in die Tiefe des Gewölbes vor. Die aufgeschichteten Grabmale der Königsfamilie nahm er immer beiläufiger wahr. Flüchtige Eindrücke der Geschichte fingerten nach seinem Bewusstsein. Generationen von Herrschern strichen an ihm vorbei. Tiefer und tiefer tauchte er in die Vergangenheit. Mit jedem Schritt näherte er sich dem Ursprung.

      Zwergulin der Zehnte. Mia, seine Gemahlin.

      Was war das für ein Gedanke, den er nicht fassen konnte?

      Sandkörnchen knirschten unter seinen Sohlen. Die Flamme der Fackel wurde kleiner. Je tiefer er in die Gruft eindrang, desto knapper wurde der Sauerstoff. Obeidian schritt weiter voran. Zwergulin der Sechste. Seine Gemahlin. … Zwergulin der Fünfte. Gemahlin. …

      Zwergulin der Zweite. Migralia, seine Gemahlin. Diese Sarkophage befanden sich links von Obeidian. Er wandte seinen Blick nach rechts. Dort lag nur ein einziger Sarg in einer Wandnische. Die Inschrift lautete: Milprania, Gemahlin Zwergulins des Ersten.

      Von Ehrfucht erfüllt betrachtete Obeidian die Ruhestätte der Stammmutter. Niemals zuvor war er bis hierhin vorgedrungen. Jetzt fragte er sich: Wo war der Sarkophag des ersten Zwergenkönigs? Er suchte das Gewölbe ab. Dann entdeckte er einen schmalen, niedrigen Durchgang.

      „Kommt!”, befahl er den beiden Zwergenposten, die zögernd der Aufforderung folgten. Das Licht ihrer Fackeln erhellte die Szenerie. Alle drei traten in die Kammer, die sich hinter dem Durchgang befand.

      Obeidian hielt den Atem an.

      Der Boden bestand aus einer einzigen Steinplatte. Darauf eingraviert war: ‚Hier ruhet Seine Minoritaet Zwergulin & wehe jedwedem, der es waget, seinige Ruhe zu stoeren!‘

      Obeidian schluckte. Dann sah er an der gegenüberliegenden Wand …

      Die Stele.

      Und auf dieser stand -

      Natürlich wusste der Minimister, was es damit auf sich hatte. Er hatte davon gehört, sie jedoch niemals selbst erblickt. Wie ein Denkmal ragte sie auf der Stele empor – die rotgoldene Rüstung des allerersten Zwergenkönigs.

      Erfreut lief Obeidian über den Boden, streckte die Arme nach der Rüstung aus – und merkte, wie sein Herz einen Schlag lang aussetzte.

      Denn mit scharfem Knirschen glitt die steinerne Bodenplatte beiseite und gab einen unermesslichen Abgrund frei, aus welchem ein heulender Wind aufstieg, der die Zwergenwachen erfasste und mit unerbittlicher Umklammerung nach unten sog.

      Obeidian krallte sich an der Stele fest und verfolgte entsetzt die Katastrophe. Die Schreie der Männer gellten in seinen Ohren und Obeidian sah sie in unwirkliche Welten stürzen, die sich unter ihm schwarzfunkelnd auftaten.

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