Dem Leben dienen. Peter Spönlein
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Ein nüchterner Blick auf den humanen, sozialen und ökologischen Notstand unserer modernen Zivilisation und auf die politischen Spannungen und Krisen in der Welt läßt begründete Zweifel aufkommen, ob sich der ethische Anspruch der „Ehrfurcht vor dem Leben“ innerhalb der gegebenen Lebensverhältnisse verwirklichen läßt. Außerdem ist die Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit bis heute noch nicht aus der Welt geschafft. Wir müssen uns deshalb heute eine entscheidende Frage stellen, – und wenn ich „wir“ sage, so meine ich damit keine anonyme Instanz wie Ökonomie, Politik oder Gesellschaft, sondern ich meine Menschen wie du und ich. Die Frage lautet: Auf welchem Weg können wir die religiöse Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ zum praktischen Anfang einer neuen menschlichen Kultur werden lassen, die künftig allem Leben dieser Erde eine Heimat bieten kann?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, werfen wir zunächst einen Blick auf die Problematik unserer Zeit, um den geistigen und historischen Standort auszumachen, an dem wir heute stehen. Erst von hier aus läßt sich dann die neue Richtung und schließlich auch der Weg erkennen, den wir künftig einschlagen können, um uns auf dieser Erde einer praktischen Lebensform der „Ehrfurcht vor dem Leben“, des Friedens, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung schrittweise anzunähern. Die beiden folgenden Abschnitte über die sogenannte „Globalisierung“ und die „Risikogesellschaft“ erheben nicht den Anspruch einer vollständigen Analyse. Sie wollen lediglich einige Fakten in Erinnerung rufen, welche die Tatsache beleuchten, daß die gegenwärtige Entwicklung der Menschheit, die von Vertretern der Wissenschaft, Technologie, Ökonomie und Politik als segensreicher Fortschritt gepriesen wird, in Wirklichkeit hinter ihrer glänzenden Fassade einen rasanten Fortschritt der Not, des Elends, des Zerfalls und der Zerstörung in allen Bereichen des Lebens auf dieser Erde erzeugt.
Die heutige Epoche der sogenannten „Globalisierung“
Wenden wir uns zunächst dem Phänomen der sogenannten „Globalisierung“ zu. Die historischen Wurzeln der Globalisierung reichen zurück bis in die Zeit der Kolonialisierung im 19. Jh. In gewissem Sinne ist das, was wir heute Globalisierung nennen, lediglich eine Weiterentwicklung der Kolonialisierung: Denn selbst wenn die Entwicklungsländer inzwischen politische Unabhängigkeit erreicht haben, so werden sie durch die großen Industrienationen und die Mechanismen des Welthandels doch immer noch ausgebeutet und in ihrer eigenen wirtschaftlichen Selbständigkeit behindert. Gleichzeitig wächst aber auch in den Industrienationen die soziale Not durch eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft zwischen arm und reich.
Die rasante wirtschaftliche Expansion hat seit dem zweiten Weltkrieg dazu geführt, daß die großen Industrienationen ihre Märkte über den ganzen Globus ausgeweitet haben. Immer mehr Firmen gehen dazu über, Teile ihrer Produktion in sogenannte Billiglohnländer zu verlegen, was einen wachsenden Druck auf das Lohnniveau im Mutterland zur Folge hat. Dadurch wird der internationale Wettbewerb gewaltig angeheizt. Dieser verschärfte Wettbewerb hat wiederum zur Folge, daß Unternehmen zunehmend große Zusammenschlüsse bilden, um auf dem Weltmarkt besser bestehen zu können.
Dadurch erhalten derartige Zusammenschlüsse eine enorme Wirtschaftsmacht, die nicht nur den Markt beherrscht, sondern auch zunehmend die Politik und die sozialen Verhältnisse. Verstärkte Rationalisierung und Automatisierung erlauben es, Arbeitsplätze zu streichen, um billiger produzieren zu können. Einen entscheidenden Schub erhielt diese Entwicklung durch die stürmischen Innovationen auf dem Gebiet der Informationstechnologie.
Mit ihrer Hilfe ist es nun möglich geworden, ein internationales Netz von assoziierten Firmen von einem Zentrum aus spielend leicht zu dirigieren. Die großen Firmenzusammenschlüsse wurden schließlich mit ihren Riesengewinnen zu Wertmaßstäben an den Börsen. Der Einzug der Informationstechnologie an den internationalen Börsen und Finanzmärkten hat es ermöglicht, daß nun ein global vernetztes ökonomisches Machtimperium entstanden ist, das in der Lage ist, die ganze Welt zu regieren und in ein einziges globales Dorf zu verwandeln.
Damit einher geht nun auch der Anspruch der Wirtschaft, alle Lebensbereiche dem ökonomischen Prinzip zu unterwerfen und damit das traditionelle Verständnis von Demokratie zu untergraben. In seinem Buch Die Machtwirtschaft schreibt Christian Nürnberger: „Den Sinn allen Wirtschaftens in höheren Dividenden und Aktienkursen aufgehen zu lassen, schon das allein ist inakzeptabel für eine Gesellschaft, die sich laut Verfassung als soziale Demokratie versteht. Vollends unzumutbar für demokratische Gesellschaften ist das Bestreben der Shareholder-value-Verfechter, ihre ökonomische Sichtweise auf andere gesellschaftliche Bereiche auszuweiten und zu verlangen, die Politik, das Bildungswesen, die Wissenschaft, der Sport, die Medien und sogar die Kultur hätten sich um der internationalen Wettbewerbsfähigkeit willen ökonomischen Prinzipien zu unterwerfen. Das wird zwar so von niemandem explizit gesagt, aber die Summe aller vorgetragenen öffentlichen Forderungen aus der Wirtschaft läuft genau auf diesen Ökonomismus hinaus.“
Das bedeutet nun auch, daß gleichzeitig die Menschen als Arbeitende, als Kunden und Konsumenten in eine völlige Abhängigkeit von der Ökonomie geraten und ihre Selbständigkeit und Freiheit verlieren. Denn der Herrschaft des modernen techno-ökonomischen Imperiums kann sich heute niemand mehr entziehen. So hat sich z.B. die Technologie der elektronischen Datenverarbeitung bereits über den ganzen Globus verbreitet. Prompt haben auch die europäischen Regierungschefs auf ihrer Gipfelkonferenz in Lissabon im Jahre 2000 vereinbart, in ihren Nationen die perfekt vernetzte „Informationsgesellschaft“ einzuführen: Jeder Bürger solle künftig durch eine entsprechende Ausbildung Anschluß ans Netz bekommen, und bereits die Kinder sollen in den Schulen mit der neuen Technologie vertraut gemacht werden. Inzwischen muß jeder Bürger um die Sicherheit seiner persönlichen Daten bangen, die in den Institutionen von Ökonomie und Bürokratie gespeichert werden. Gleichzeitig drängt auch die Gen-Technik überall unaufhaltsam auf den Markt. Ethische Bedenken vermögen den Vormarsch dieser Technologie nicht aufzuhalten. Das nüchterne Prinzip der neoliberalen Ökonomie und Technologie heißt: Zuwachs an Gewinn und Macht – um etwas anderes geht es schon längst nicht mehr!
Noch vor etwa vierzig Jahren wurde die zunehmende Automation gepriesen als ein Mittel zur Humanisierung der Arbeit: Eintönige Arbeit werde künftig von elektronischer Technologie übernommen, so hieß es, und die Menschheit gehe einem goldenen Zeitalter, der sogenannten Freizeitgesellschaft, entgegen. Heute ist davon nichts mehr übriggeblieben: Im Jahr 2001 gibt es 34 Millionen Arbeitslose allein in den reichen Nationen und weltweit zwei Milliarden Menschen, deren Einkommen unter zwei Dollar am Tag liegt. Wir haben uns bereits daran gewöhnt, dass unsere ständig wachsende „Volkswirtschaft“ jedes Jahr einige Millionen Menschen in die „Arbeitslosigkeit“ entlässt. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes als Reaktion auf die neue Computertechnologie war bereits seit Jahrzehnten vorauszusehen, aber es wurde nichts unternommen, um diesem sozialen Problem rechtzeitig gegenzusteuern. Bereits 1978 prognostizierte Dieter Balkhausen in seinem Buch Die dritte industrielle Revolution folgende Trends: „Weniger Arbeitsplätze, wo die Mechanik durch Elektronik ersetzt wird. Freisetzungen, wo die Automaten kontrollieren, messen, steuern und Arbeitsvorgänge einsparen. – Die Gesamtzahl der Arbeitsplätze nimmt ab. – Die Zahl der weniger Qualifikationen erforderlichen Jobs nimmt besonders stark ab. – Traditionelle Facharbeiter- und Sachbearbeiterstellen werden ebenfalls weniger. – Vergleichbare Qualifikationen wachsen nur langsam nach. – Die Zahl der Hochqualifizierten steigt; die Anforderungen an die Höchstqualifizierten steigen ständig.“
Führende Wirtschaftskreise gehen bereits heute davon aus, daß