Dem Leben dienen. Peter Spönlein

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Dem Leben dienen - Peter Spönlein

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bezeichnen kann und die in der Kulturgeschichte der Menschheit „Gott“ genannt wurde. Der Physiker Albert Einstein (1879-1955) wurde kurz vor seinem Tod von einem Kollegen und Freund gefragt: „Ist das Weltall, wie Sie es kennen, ohne einen Schöpfergott denkbar?“ Albert Einstein antwortete: „Wenn dieses Universum in all seiner millionenfachen Ordnung und Präzision das Ergebnis eines blinden Zufalls sein sollte, so ist das so glaubwürdig wie wenn eine Druckerei in die Luft geht, worauf alle Druckbuchstaben wieder herunterfallen in der fertigen und fehlerlosen Form des Duden-Lexikons.“

      Der Naturwissenschaftler Max Planck (1858-1947), der als Physiker auch der Lehrer von Albert Einstein war, faßt seine Sicht der Wirklichkeit folgendermaßen zusammen: „Als Physiker, also als Mann, der sein ganzes Leben der nüchternen Wissenschaft, der Erforschung der Materie diente, bin ich sicher von dem Verdacht frei, für einen Schwarmgeist gehalten zu werden. Und so sage ich nach meinen Erforschungen des Atoms Folgendes: Es gibt keine Materie an sich! Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Atoms zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente noch eine ewige Kraft gibt (es ist der Menschheit noch nie gelungen, das heiß ersehnte Perpetuum mobile zu erfinden), so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewußten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie. Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre ... So scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu nennen, wie ihn alle alten Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott!“ Max Planck ist der Überzeugung, daß „sich Religion und Naturwissenschaft in der Frage nach der Existenz und nach dem Wesen einer höchsten über die Welt regierenden Macht begegnen. Und hier werden die Antworten, die sie beide darauf geben, wenigstens bis zu einem gewissen Grade vergleichbar. ... Sie lauten übereinstimmend dahin, daß erstens eine von den Menschen unabhängige vernünftige Weltordnung existiert, und daß zweitens das Wesen dieser Weltordnung niemals direkt erkennbar ist, sondern nur indirekt erfaßt, beziehungsweise geahnt werden kann. ... Beide Wege divergieren nicht, sondern sie gehen einander parallel, und sie treffen sich in der fernen Unendlichkeit an dem nämlichen Ziel. ... Es ist der stetig fortgesetzte, nie erlahmende Kampf gegen Skeptizismus und Dogmatismus, gegen Unglaube und gegen Aberglaube, den Religion und Naturwissenschaft gemeinsam führen, und das richtungsweisende Losungswort in diesem Kampf lautet von jeher und in alle Zukunft: Hin zu Gott!“

      Das materialistische Weltbild ist überholt seitdem wir erkennen, daß alle sichtbaren Erscheinungen der Schöpfung letztlich energetische und geistige Strukturen sind. Daß Gott die innerste Wirklichkeit von allem ist und daß es deshalb im Grunde nichts außer Gott gibt, das haben bereits Mystiker aller Zeiten erfahren und behauptet. Neu ist jedoch die Tatsache, daß uns heute dieselbe Naturwissenschaft, die sich ursprünglich als Frucht der Aufklärung dem Rationalismus und Materialismus verschrieben hatte, bis an jene Grenze menschlichen Forschens und Erkennens führt, jenseits derer eine reale, aber rational nicht definierbare geistige Macht in Erscheinung tritt, die der Ursprung von allem und in allem gegenwärtig ist. Damit hat die Aufklärung ihren Höhepunkt erreicht und vermag überzuleiten zu einer neuen Epoche menschlicher Kultur: Ursprünglich hatte die Aufklärung die überlieferte dogmatische Lehre von der Existenz Gottes beiseite geräumt, um der Erkenntnis der menschlichen Vernunft freie Bahn zu gewähren. Heute stößt die Vernunft auf diesem Weg ebenfalls auf die Wirklichkeit des Mysteriums göttlicher Macht als Ursprung von allem, was ist, wobei dieser letzte Grund in allem Seienden gegenwärtig ist. Damit erhält Mystik heute eine neue, vertiefte Grundlage und eine neue Aktualität für die künftige ethische und kulturelle Weiterentwicklung der Menschheit.

      Unsere gegenwärtige Epoche eines menschheitsgeschichtlichen Wandels zeigt zwei Gesichter wie das Bild des doppelgesichtigen römischen Gottes Janus, dessen eines Gesicht nach rückwärts, das andere nach vorwärts gerichtet ist: Wir haben uns heute von der Aufklärung insofern zu verabschieden, als sie dem modernen Rationalismus und Materialismus den Weg bereitete und die Menschheit an den Rand der Selbstvernichtung gebracht hat. Andererseits hat uns die Aufklärung auf eben diesem Weg der Vernunft und Wissenschaft einen völlig neuen Zugang zum göttlichen Geheimnis und Ursprung allen Lebens eröffnet, das in allen Gestalten des Lebens gegenwärtig ist, wirkt und sichtbar wird.

      Das nach rückwärts gewandte Gesicht unserer Epoche des Wandels hat der Sozialpsychologe Erich Fromm in zwei Äußerungen über das menschliche Klima in unserer modernen Industriegesellschaft charakterisiert: „Wir haben den Kontakt zu unseren Mitmenschen und zur Natur verloren und stehen nur noch mit jenem kleinen Ausschnitt der Welt in Verbindung, den wir selbst hervorgebracht haben. In Wirklichkeit ängstigen wir uns sehr, etwas Tiefgreifendes zu berühren.“ Aus dieser Feststellung zieht er den Schluß: „Es sieht so aus, als ob unsere Industriegesellschaft langsam untergeht, und zwar vor allem, weil sie eine Gesellschaft ohne Liebe und Freude ist. Sieht man tiefer, dann wird die Vitalität des Menschen durch den Mangel an Liebe und Freude geschwächt. Ich glaube, in der modernen Industriegesellschaft hat das Leben keinen Reiz und keine Vision mehr.“€

      An die Stelle von Liebe und Freude ist Gleichgültigkeit und Berechnung, Lust, Fun, Coolness und eine „tristesse moderne“ getreten, die alle Bereiche der Kultur durchzieht. Dies sind die Begleiterscheinungen der verdrängten Angst, die zum beherrschenden Lebensgefühl unserer Zeit geworden ist, obwohl die moderne Zivilisation ja ursprünglich im Geiste der Aufklärung dazu angetreten ist, „den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen“, wie Theodor Adorno das Ziel der Aufklärung charakterisiert hat.

      Das nach vorne in die Zukunft gerichtete Gesicht der Aufklärung strahlt Versöhnung und eine neue Zuversicht aus, die den Weg öffnet für den nächsten Schritt menschlicher Kulturentwicklung. Das Bekenntnis des Physikers Max Planck weist erstaunliche Verwandtschaft auf mit dem 2000 Jahre alten lapidaren Satz aus dem Hebräerbrief des Neuen Testamentes: „Das Sichtbare ist aus dem Unsichtbaren hervorgegangen“ (Hebr 11.3). Und mit noch größerem Staunen und tieferer Überzeugung als frühere Jahrhunderte können wir heute der Erkenntnis aus der hebräischen Bibel im Buch der Weisheit zustimmen: „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis“ (Weish 1.7). Hier deutet sich eine Versöhnung zwischen Vernunft und Religion an, zwei Weisen menschlichen Geistes, die bisher unter der Herrschaft des materialistischen Fortschrittes als unversöhnlich galten. Albert Schweitzer bekennt: „Wir haben viele Kenntnisse, doch das Leben bleibt ein Wunder.“ Das ist nicht etwa eine unzeitgemäße romantische Sichtweise der Natur, sondern ebenfalls eine Andeutung der Versöhnung: Neben den vielen Kenntnissen der Naturwissenschaft bleibt das Wunder des Lebens nicht nur bestehen, sondern es gewinnt die Bedeutung des tragenden Ursprungs alles Lebendigen. So wird das schlichte Wort Albert Schweitzers zu einer nüchternen Feststellung über die Art der Wirklichkeit, mit der wir uns in der gesamten Schöpfung konfrontiert sehen: Alle sichtbaren und erkennbaren Dinge wurzeln letztlich in einem Mysterium, das real ist und dessen Gegenwart und Wirkungsweise erkannt werden kann, sich aber rationalem Begreifen letztlich entzieht. Die Aufklärung hat uns auf einem langen und abenteuerlichen Weg der Vernunft und der Naturwissenschaft auf eine neue Weise an das Mysterium der Religion herangeführt. Der Historiker Arnold Toynbee (1889-1975) hat in seinem letzten großen Werk Menschheit und Mutter Erde (1974) geschrieben: „Unser Wissen vom Wirken des Universums mag zunehmen; doch wird uns die Wissenschaft kaum, ebensowenig wie bisher, dazu befähigen, zu verstehen, welche Kräfte das Weltall bewegen und warum es überhaupt existiert. ... Die Religion ist in der Tat ein wesentlicher und entscheidender Zug der menschlichen Natur; sie ist die notwendige Antwort des Menschen auf die Rätsel der Phänomene, die seine einmalige Fähigkeit des Bewußtseins herausfordern.“ Die angemessene ethische Beziehung des Menschen zur Schöpfung kann darum nur in der „Ehrfurcht vor dem Leben“ bestehen und im tätigen, ebenso vernünftigen wie frohen und liebevollen Dienst am Leben von Mensch und Schöpfung. Alles Forschen und Wissen wird nur dann segensreich sein können, wenn es sich diesen Dienst zur Aufgabe macht. Darin besteht der Anfang und der Weg einer künftigen neuen Kultur der einen Menschheit im gemeinsamen Lebensraum der einen Erde.

      Menschheit in der Pubertät

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