Dem Leben dienen. Peter Spönlein

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Dem Leben dienen - Peter Spönlein

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und gerade kein traditionelles Relikt, sondern ein Produkt der Moderne ist, und zwar in ihrem höchsten Entwicklungsstand. Kernkraftwerke – Gipfelpunkte menschlicher Produktiv- und Schöpferkräfte – sind seit Tschernobyl auch zu Vorzeichen eines modernen Mittelalters der Gefahr geworden. Sie weisen Bedrohungen zu, die den gleichzeitig auf die Spitze getriebenen Individualismus der Moderne in sein extremstes Gegenteil verkehren. ... Gegen die Bedrohung der äußeren Natur haben wir gelernt, Hütten zu bauen und Erkenntnisse zu sammeln. Den industriellen Bedrohungen der in das Industriesystem hereingeholten Zweitnatur sind wir geradezu schutzlos ausgeliefert. Gefahren werden zu blinden Passagieren des Normalkonsums. Sie reisen mit dem Wind und mit dem Wasser, stecken in allem und in jedem und passieren mit dem Lebensnotwendigsten – der Atemluft, der Nahrung, der Kleidung, der Wohnungseinrichtung – alle sonst so streng kontrollierten Schutzzonen.“

      Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte sind es nicht mehr die natürlichen Krankheiten und Katastrophen, die uns bedrohen, sondern die Krankheiten und Katastrophen, die wir durch unsere so fortschrittliche zivilisatorische Lebensweise selbst produzieren und auslösen: Die wachsende Zahl der Zivilisationskrankheiten, die nicht abreißende Kette von Lebensmittelskandalen, die BSE-Krise, die unabsehbaren Gefahren der Atomenergie und der Atomwaffen, die Not und das Elend in den armen Ländern der Erde und die wachsende Armut in den reichen Ländern. Die Bedrohung der westlichen Welt durch den Terrorismus ist letztlich nur eine Reaktion auf die Überheblichkeit und die Ungerechtigkeit des reichen Teiles der Welt gegenüber dem armen. Die Gefahr des Terrorismus ist nicht kalkulierbar und letztlich wohl auch nicht mit Gewalt zu besiegen, sondern nur dadurch, daß die Ursachen beseitigt werden, die Terrorismus entstehen lassen: Die Arroganz des westlichen, insbesondere des amerikanischen Imperialismus. Solange dies nicht geschieht, werden Terroristen zu allem bereit sein. In der Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West konnte die Gefahr eines atomaren Krieges noch durch gegenseitige Abschreckung gebannt werden. Heute ist die Atomgefahr völlig unberechenbar geworden. „Ich behaupte sogar“, so Erhard Eppler in einem Interview, „sie war noch nie größer als heute. Die Geheimdienste aller großen Nationen sind inzwischen zu einem beträchtlichen Teil mit den Gefahren atomaren Terrors beschäftigt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man die ganze Erde mit Atomkraftwerken voll pflastern kann, ohne daß es zu einem atomaren Terrorismus kommt. Und der atomare Terrorismus wäre das Ende unserer Zivilisation.“ Derzeit sind in Europa 200 Atomkraftwerke in Betrieb und weltweit 443 in 31 Ländern.

      Die Gefahren für die biologische Umwelt sind unabsehbar geworden. Obwohl die katastrophalen ökologischen, humanen und wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels bekannt sind, ist eine wirksame weltweite Initiative zur Reduzierung der Treibhausgase noch immer nicht in Sicht. Vor fast vierzig Jahren hat der Club of Rome seine berühmte Studie über die Grenzen des Wachstums veröffentlicht. Er warnte vor den Folgen eines ungezügelten Wirtschaftswachstums und hielt einen „geistigen Wandel kopernikanischen Ausmaßes“ für erforderlich, um die Katastrophen zu vermeiden, die uns bei unveränderter Entwicklung der modernen Industriegesellschaft drohen. Ein zweiter Bericht des Club of Rome über Die neuen Grenzen des Wachstums stellte zwanzig Jahre später (1992) fest, daß die Grenzen bereits überschritten sind. Bis heute sind die Bemühungen des Club of Rome erfolglos geblieben.

      Aber die Stimmen der Mahner sind seither nicht verstummt. Die „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“, eine Einrichtung der Vereinten Nationen, veröffentlichte 1987 unter dem Titel „Unsere gemeinsame Zukunft“ den sogenannten Brundtland-Bericht, ein Konzept für eine Entwicklung, die die Menschheit vor künftigen Katastrophen bewahren soll und die „den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Ernst-Ulrich von Weizsäcker veröffentlichte 1989 eine umfangreiche Studie mit dem Titel „Erdpolitik.“ Er äußert darin die Befürchtung, daß künftig eine neue Form von Diktatur entstehen kann, die sich genötigt sieht, „die begrenzten Ressourcen zu rationieren, das Wirtschaftsgeschehen im Detail zu lenken und von oben festzulegen, was Bürger um der Umwelt willen tun und lassen müssen.“ Auch Klaus Wiegand, der Initiator der „Stiftung Forum für Verantwortung“ und einer zwölfbändigen Dokumentation zum Thema Nachhaltigkeit (S. Fischer Verlag, Frankfurt, Januar 2007), sieht diese Gefahr, wenn wir nicht die Chance wahrnehmen, „eine gerechtere und lebenswertere Zukunft für uns und die zukünftigen Generationen zu gestalten.“ Ein Haupthindernis, dieses Ziel zu erreichen, sieht er in den „kurzfristigen Zielsetzungen in unserer Wirtschaft wie Gewinnmaximierung und Kapitalakkumulierung.“

      Im Juni 2008 stellt die Internationale Energie-Agentur (IEA) fest: „ Trotz der weltweiten Anerkennung des Problems (des Klimawandels) sind die Emissionen (von Treibhausgasen) in den vergangenen Jahren immer schneller angestiegen.“ Die IEA schätzt die notwendigen Investitionen für den Klimaschutz bis 2050 auf 45 Billionen Dollar. Sie empfiehlt, bis zur Mitte des Jahrhunderts weltweit 1300 weitere Atomreaktoren und 710 000 Windkraftanlagen zu bauen. Mit immensen Summen Geldes und einer dreifachen Steigerung lebensfeindlicher Atomtechnik glaubt man, der umfassenden und globalen Lebenskrise Herr werden zu können. Derartige Perspektiven zeigen nur allzu deutlich: Solange die herkömmliche Denk- und Lebensweise und die Ansprüche der modernen Zivilisation aufrecht erhalten bleiben, erweist sich das herkömmliche ökonomische und politische System als hilflos und ohnmächtig gegenüber der Lebenskrise, die es verursacht hat. Abhilfe und Überwindung der Krise ist nur in dem Maße möglich, wie die geistige Basis des alten Systems grundsätzlich in Frage gestellt wird und eine neue, religiös und ethisch motivierte Beziehung zum Leben von Mensch und Schöpfung an dessen Stelle tritt. Und nur auf dieser neuen geistigen Grundlage wird ein völlig neuer menschlicher Lebensstil und neue soziale Lebensformen und Wirtschaftsweisen entstehen können, die geeignet sind, der Wohlfahrt des Lebens von Mensch und Schöpfung zu dienen.

      Aber nach der kurzsichtigen und geistig wie ethisch recht anspruchslosen Logik der neoliberalen Ökonomie ist eine freiwillige und rechtzeitige Kurskorrektur nicht zu erwarten. Man wird so lange mit dem Risiko der Erschöpfung der Ressourcen und der Zerstörung der Biosphäre spielen, wie noch irgend eine Gewinnmaximierung im globalen Wettbewerb und Krieg aller gegen alle zu erzielen ist, bis dann schließlich das Risiko unabänderlich umschlägt in die Katastrophe des globalen ökologischen Zusammenbruches. Eine Vorahnung für die Art künftiger Auseinandersetzungen zwischen Umweltpolitik und Wirtschaft liefert ein aktuelles Beispiel: Im Januar 2007 forderte die Umweltkommission der Europäischen Union die europäische Autoindustrie auf, bis 2012 bei neu zuzulassenden Fahrzeugen den Kohlendioxid-Ausstoß von derzeit 160 auf 120 Gramm pro Kilometer zu senken. Die deutschen Autobauer sahen sich in diesem Fall genötigt, die Werke für größere und stärkere Autoklassen zu schließen und ins Ausland zu verlegen und bis zu 65 000 Mitarbeiter zu entlassen. Klaus Wiegand kommt für die Zukunft zu folgender Einschätzung: „Wir können so weitermachen wie bisher, doch dann begeben wir uns schon Mitte dieses Jahrhunderts in die biophysikalische Zwangsjacke der Natur mit möglicherweise katastrophalen politischen Verwicklungen.“

      Ebenso grauenhaft wie die Risiken der Selbstvernichtung, mit denen die Gesellschaft der materialistischen Fortschritts-Zivilisation lebt, ist zweifellos das Risiko zunehmender sozialer Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Sie gilt im offiziellen System von Wirtschaft und Politik heute bereits als normal und wird sachlich begründet mit den sogenannten Realitäten, die mit dem Prozeß der Globalisierung einher gehen. Der frühere deutsche Bundesminister für Arbeit und Soziales, Norbert Blüm (CDU), hat dafür deutliche Worte gefunden, denen nichts hinzuzufügen ist und die ich hier wiedergeben möchte: „Die Moral der Wirtschaftsbosse ist ruiniert. Sie predigen Wasser, saufen Wein, sahnen ab, wie nie zuvor. Ihre Mitarbeiter behandeln sie wie leblose Ersatzteile. Werte wie Loyalität zählen nicht mehr. Für Post-Boss Klaus Zumwinkel sind nach eigenem Bekunden nur Dinge wertvoll, die sich in barer Münze ausdrücken lassen. Herrschaften wie Deutsche-Bank-Chef Ackermann setzen trotz Rekordgewinnen tausende Arbeitnehmer auf die Straße. Den verbliebenen Mitarbeitern würden sie am liebsten rumänische Hungerlöhne zahlen. Das ist pervers. ... Wir erleben die Wiederauferstehung des Proletariats. Immer mehr Menschen leben von der Hand in den Mund. Sie werden degradiert zu Job-Nomaden, sie verlieren ihre Heimat. Der Neo-Liberalismus macht Ehe und Familie kaputt. ... Wenn wir das System von Ausbeutung, Unterdrückung

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