Dem Leben dienen. Peter Spönlein

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Dem Leben dienen - Peter Spönlein

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im Prozeß der Globalisierung nicht in ihrem organischen Zusammenhang der Menschheitsentwicklung als ganzer gesehen, so werden sie sich als einzelne Symptome weder wirklich verstehen noch überwinden lassen. Einem linearen Geschichtsdenken muß es als ein Ärgernis oder doch jedenfalls als eine übertriebene Dramatisierung erscheinen, die heutige Lebenskrise der Menschheit als eine epochale Wendezeit einzuschätzen, die eine „geistige Wende kopernikanischen Ausmaßes“ (Club of Rome, 1972) erfordern würde, um eine globale Katastrophe von der Menschheit abzuwenden. Schwerste Krisen, Kriege, Hungersnöte, Epidemien, Völkerwanderungen, Aufstieg und Niedergang von Kulturen hat es zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte gegeben, aber das Leben ist doch schließlich immer wieder weitergegangen. Der Gedanke, daß ausgerechnet der letzte Entwicklungsschritt hin zu einem materialistischen Fortschritt in Technik und Ökonomie, einem Fortschritt, der den Menschen über die Abhängigkeit von der Natur erheben sollte, zugleich der gefährlichste und verhängnisvollste in der Entwicklungsgeschichte sein sollte, so daß er überwunden werden müßte, - dieser Gedanke muß einem „gesunden Menschenverstand“ als absurd erscheinen, der gerne die Kirche im Dorf lassen und die Dinge einfacher sehen möchte, damit die Harmonie des Weltbildes, an das man sich gewöhnt hat, erhalten bleiben kann.

      Umsturz eines Weltbildes

      Aber es bedarf nur des Hinweises auf die Forschungsergebnisse, die das Weltbild der Antike und des Mittelalters zu revolutionieren vermochten, um darauf aufmerksam zu machen, daß sich die Wirklichkeit durchaus anders, ja geradezu im umgekehrten Sinne verhalten kann, als es der gewohnte Augenschein nahelegen möchte. Um noch genauer sehen zu können, wo wir heute stehen, ist es deshalb hilfreich, über die Aufklärung hinaus noch ein wenig weiter zurückzugehen in der Geschichte, in die Zeit der großen Entdeckungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, in die Zeit von Christoph Columbus (1451–1506), Vasco da Gama (1469–1524), Nikolaus Kopernikus (1473–1543), Giordano Bruno (1548–1600), Galileo Galilei (1564–1642) und Johannes Kepler (1571–1630). Es ist kaum erst 500 Jahre her, daß ein viele tausende von Jahren altes Weltbild, das als unerschütterlich galt, völlig auf den Kopf gestellt wurde: Seitdem Menschen den Himmel betrachten, haben sie wohl mit größter Selbstverständlichkeit geglaubt, daß sich die Sonne um die Erde herum bewegt, und sie hätten jeden ausgelacht, für verrückt erklärt oder geächtet, der eine andere Ansicht vertreten wollte. Giordano Bruno wurde erst vor vierhundert Jahren seiner anderen Weltanschauung wegen auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und Galilei mußte widerrufen, was er als richtig erkannt hatte.

      Das neue Weltbild war in einem sehr viel weitreichenderen Sinne revolutionär, als daß sich die Himmelskörper lediglich umgekehrt als der Augenschein zueinander verhielten. Mit dieser Entdeckung veränderten sich die kosmischen Relationen so grundlegend, daß die Erde nun plötzlich aus ihrer zentralen Stellung in der Welt herausfiel und zu einem völlig unbedeutenden Staubkorn in einem unermeßlichen Universum wurde. Diese Entdeckungen stellen keineswegs einfach nur neue astronomische Erkenntnisse dar, sie haben vielmehr einen gravierenden Wandel im Selbstbewußtsein der Menschheit zur Folge. Die Zeit der revolutionierenden Entdeckungen über die Stellung der Erde im Kosmos fällt zusammen mit der vollständigen Entdeckung der Erde selbst. Es ist noch nicht lange her, dass alle Länder der Erde entdeckt wurden und alle Völker der Erde voneinander Kenntnis erhielten. Daß alle Menschen nun eine gemeinsame Völkerfamilie in dem einen Lebensraum der Erde bilden, ist eine neue und sehr junge Erfahrung in der Menschheitsgeschichte.

      Verschleppte Pubertät

      Diese Entdeckungen über die wahre Stellung der Erde im Universum und über die eine Menschheit als Schicksalsgemeinschaft im Lebensraum der Erde markieren einen revolutionierenden Wendepunkt in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Wendepunkte der Entwicklung gibt es im organischen Leben: Es durchläuft die Wandlungsphasen von Keimung (Geburt), Reifung (Pubertät) und Tod. Diese drei Phasen der Wandlung vollziehen sich rasch, um das Gleichgewicht des Lebens nicht allzu schwerwiegend zu stören. Die beiden Phasen, die jeweils dazwischen liegen, die Phasen des Wachstums (Kindheit) und der Reife (Erwachsenenalter), dauern dagegen lange.

      Es besteht kein Anlaß anzunehmen, daß die Menschheit als Teil der Evolution des Lebens in ihrer Entwicklung eine Ausnahme machen sollte von diesen Gesetzmäßigkeiten des Lebendigen. Wenn es uns zunächst befremdlich erscheinen will, solche Gesetzmäßigkeiten des Lebendigen auf den Entwicklungsprozeß der Menschheitsgeschichte zu übertragen, so deshalb, weil wir nicht gewohnt sind, organische Entwicklungsprozesse als Äußerung und Erscheinung von energetischen und geistigen Prozessen zu verstehen.

      Heute ist die Menschheit nach einer viele Jahrtausende währenden Entwicklungsgeschichte am Extrempunkt ihrer Kindheit und ihres Wachstums angelangt und steht am Übergang zu ihrem Erwachsenenalter, den sie jedoch noch nicht vollzogen hat. Die Menschheit befindet sich gewissermaßen in einer verschleppten Pubertätskrise. Diese Entwicklungskrise besteht darin, daß einerseits die Wahrnehmung der Ganzheit einer globalen Menschheitsfamilie in der Lebensgemeinschaft mit der ganzen irdischen Schöpfung eine ganz neue Erfahrung in der Geschichte der Menschheit darstellt, aber andererseits die geistigen, seelischen und sozialen Fähigkeiten zu einer allseitigen Ergänzung allen Lebens in der Menschheit noch nicht ausgebildet sind. Bis heute hat die Menschheit die Fähigkeit zur Erhaltung ihrer Art als ganzer noch nicht erworben. Aber gerade diese Fähigkeit macht die Reife des Erwachsenenalters aus. Das persönliche Lebensgefühl des einzelnen Menschen und sein geistiger Orientierungssinn, mit dem er sich in der Welt einrichtet und bewegt, seine sozialen, wirtschaftlichen und politischen Formen der Regulierung des Lebens gehören noch ganz der alten Epoche der nebeneinander existierenden und miteinander rivalisierenden Völkerschaften der Erde an, die noch nicht mit der Erfahrung der einen Menschheitsfamilie und den „Grenzen des Wachstums“, die die Erde setzt, konfrontiert waren. Die Entdeckung und Entwicklung geistiger, kultureller, wirtschaftlicher und technischer Fähigkeiten, das gegenseitige Messen der Kräfte, das Streben nach wirtschaftlicher und politischer Macht waren die Lebensprinzipien der späten Kindheitsepoche der Menschheit.

      Der Umsturz des uralten Weltbildes, der mit Kopernikus, der Renaissance und der Aufklärung einsetzte, hat die Menschheit in die letzte Phase ihrer Pubertätskrise getrieben. Eine stürmische Entwicklung der geistigen Emanzipation des Menschen gegenüber der Natur setzte ein in der Entfaltung der Naturwissenschaften, der Technologie, der Industrialisierung und der damit verbundenen Steigerung wirtschaftlicher, politischer und militärischer Macht. Eine geistige und seelische Bewältigung der neuen Lebenskrise der Menschheit blieb jedoch aus. Man trat lediglich eine Flucht nach vorne an. Mit einem vielfachen Energieeinsatz wurde fortgeschrieben, was die Menschheit schon seit Jahrtausenden gelernt und getrieben hatte: Häuser und Städte bauen, Handel treiben und Geschäfte machen, Länder erobern und beherrschen, Menschen unterdrücken und ausbeuten, die Natur als Rohstoffquelle im wirtschaftlichen und technischen Wettbewerb benutzen. Anstatt die notwendige Anpassung an die Erfordernisse der neuen geschichtlichen Situation zu vollziehen und Abschied zu nehmen von alten Lebensformen der Kindheit, des Wachstums und der Selbstbehauptung, versucht man heute auf die neue gemeinschaftliche Herausforderung der Menschheit dadurch zu antworten, daß man die alten Überlebenstechniken auf die Spitze treibt: Die alten Einrichtungen wirtschaftlicher und politischer Macht schließen sich zu gigantischen Blöcken zusammen, um dem brutalen Machtkampf in einem immer schärferen globalen Wettbewerb gewachsen zu sein. Aber das ist ein hilfloser und vergeblicher Versuch, die überholten Positionen der Macht und die veralteten Methoden der Lebensbewältigung aus der Kindheitsepoche der Menschheit aufrechtzuerhalten.

      Die „unsichtbare Hand“ – oder die Ambivalenz der Pubertät

      Im Laufe weniger Jahrhunderte konnte sich das altgewohnte geographische und kosmische Weltbild der Menschheit vom Kopf auf die Füße stellen. Das alte geozentrische Weltbild entsprach ganz dem Lebensgefühl der Kindheit: Das Kind fühlt sich

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