Die Wolf. Jan-Hillern Taaks
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Helene erzählte auch von sich, von der Promotion, von ihrem täglichen Leben, von den Kindern. Bernd ließ sie reden. Er hörte zu, lächelte dabei, und fuhr immer wieder mit seinen Händen über ihren schlanken, warmen Körper. Sie liebte diese Berührung, und sie liebten sich erneut, auch beim zweiten Mal mit großer Leidenschaft. Sie hatte es gebraucht, und wie!
Bernd verschwand wieder. Helene lag noch lange wach in ihrem Bett, und sie überlegte sich, was für ein Mensch dieser Bernd eigentlich war. Ja, er war ein wunderbarer Körper, aber das konnte es ja nicht gewesen sein. Jetzt war er bei einem Holzschnitzer? War das eine künstlerische Tätigkeit? Vielleicht - und darüber schlief sie endlich ein. Am nächsten Tag hatte sie das Gefühl, als habe sie von Bernd nur geträumt, als sei er gar nicht da gewesen. Das war natürlich Unfug, denn die Hinterlassenschaften der Liebe im Wohnzimmer und im Badezimmer sprachen eine sehr deutliche Sprache.
Helene sprach mit Gerlinde über den nächtlichen Besuch ihres Mannes, denn sie wollte mit jemandem reden. Und als Onkel Otto kam, redete sie auch mit ihm darüber.
"Das ist mir eine sehr komische Ehe, die Ihr führt", war sein Kommentar. Aber dann meinte er noch: "Das ist Eure Art zu leben, und ich wünsche mir nur, dass dich das nicht kaputt macht."
Nein, Helene ging nicht kaputt - um Ottos Worte zu benutzen. Und als sie nach einiger Zeit merkte, dass sie wieder schwanger war, fühlte sie sich glücklich. Ja, ein drittes Kind, das würde vielleicht mehr Arbeit bringen - aber auch mehr Freude.
Im Oktober 1989 kam Louise zur Welt. Helene hatte dem gesunden Mädchen diesen Namen auf Bitten von Otto gegeben, denn Louise war Helenes Mutter und Ottos einstige Geliebte gewesen. Helene hatte dem Wunsch gern entsprochen. Wie Heinrich war auch Louise bereits zu Beginn ihres Daseins eher ein stilles Kind, ganz anders als Charlotte. Wo Charlotte war, gab es Unruhe. Man musste auf sie aufpassen, denn sie war praktisch überall da, wo auch Gefahren lauern konnten. Sie war nun ebenfalls im Kindergarten, und sehr bald erfuhren Helene und Gerlinde, dass Charlotte stets Mittelpunkt des Geschehens war. Bei Spielen war sie oft die Prinzessin, um die man sich zu bemühen hatte, und wenn nicht, so konnte sie richtig böse werden. Heinrich hingegen hatte zwei gleichaltrige Freunde gefunden. Das Trio spielte zusammen, bastelte - es war nicht nötig, ständig auf die drei Jungen aufzupassen.
16. Kapitel
Es war eine Zeit, in der Otto geschäftlich sehr viel zu tun hatte. Er lebte und arbeitete nach wie vor in den zwei Wohnungen, die eine Wohnung war sein Büro, das von einem Herrn Roggers geleitet wurde, und der anderen Wohnung lebte er. Herr Roggers war praktisch Privatsekretär und Bürochef, er hatte eine Dame namens Gisela Hegert und einen jungen Mann namens Robert Schamm als Mitarbeiter. Gisela war die Sekretärin mit sehr vielfältigen Funktionen. Robert war Computerspezialist, der für Otto die Verbindung zur gesamten Finanzwelt und zu den eigenen Unternehmen aufrechterhielt.
Fast täglich saßen die Herren Roggers, Schamm und Otto zusammen, diskutierten, und Otto traf dann Entscheidungen, meistens über Kauf oder Verkauf von Papieren oder "Objekten". "Objekte" waren meist Immobilien, Unternehmen, Papiere oder auch Rechte - kurz: Alles, was einen Markt hatte, interessierte Otto, mit Ausnahme des Kulturmarktes. Die Märkte waren Ottos Welt, eine andere brauchte er nicht und wollte er auch nicht. Seine Mitarbeiter waren so etwas wie Familienersatz. War der eine oder andere mal krank, so sorgte er sich um sie oder ihn. Was den Kulturmarkt anging, so verstand er ihn nicht. Allein schon mit dem Begriff "Kultur" konnte er nichts anfangen.
Otto firmierte ganz einfach unter "Otto Mundt", und das stand auch auf einem kleinen Messingschild an der Haustür zu lesen. Kaum ein Mensch - wenn überhaupt - hatte eine Ahnung, was sich dahinter alles verbarg. Otto hatte vier Fonds, zwei davon waren internationale Wertpapierfonds ganz unterschiedlicher Zusammensetzung, dann gab es einen europäischen Immobilienfonds, schließlich einen Anlagefonds, der sich mit Kapitalsammelstellen befasste, also mit Versicherungen, Banken und anderen Fonds.
Wie bekannt´, hatte Otto ganz bescheiden mit einer Immobilie angefangen, die er kaufte, umbaute und dann ausgesprochen gut verkaufte. Das war 1971 gewesen, und Otto fiel keinem Menschen auf. Innerhalb weniger Jahre wurde es mehr. Andere Geschäfte kamen hinzu, und bereits 1981, also zehn Jahre später, galt er als vermögend, und zwanzig Jahre später galt er als reich. Obwohl Otto sehr bescheiden lebte und die Öffentlichkeit mied, wurde man auf ihn aufmerksam. Das lag nicht zuletzt daran, dass er in Aufsichtsräten größerer Aktiengesellschaften und Banken saß, und dass seine Transaktionen oft die Millionengrenze überschritten.
Gesellschaftlich war Otto nirgendwo anzutreffen. Abende, von Verbänden oder der Handelskammer arrangiert, interessierten ihn nicht. Einladungen zu Empfängen, und die gab es, ließ er von Herrn Roggers absagen. Otto Mundt, ein großer, hagerer Mensch, kleidete sich auch sehr unauffällig. Meist trug er einen grauen Anzug, wenn er an Sitzungen oder Besprechungen teilnehmen musste, oder wenn er zu reisen hatte. Ansonsten sah man ihn auch in Jeans und T-Shirt, was ihn zu einem Durchschnittsmenschen der unteren oder mittleren Schicht machte. Im Straßenverkehr fiel er nicht auf.
Er war ein Mensch sehr schneller Entscheidungen, auch wenn er oft langsam sprach, oft vor sich hinlächelte oder ganz einfach den Mund hielt. Er las gern, allerdings fast ausschließlich Zeitungen, die sich auch mit Märkten befassten.. Und er ging gern spazieren, wobei er sich neugierig Baustellen ansah, oder auch mal in die eine oder andere Kneipe ging, um sich umzuhören.
Otto hatte zwei Schwestern, beide etwas älter als er. Er hatte keine Verbindung zu ihnen. Er wünschte, sie würden nicht existieren. Als er damals wegen Randale verurteilt worden war, hatte sich seine Familie von ihm abgewandt, und es ihm auch zu verstehen gegeben. Niemand hatte ihn damals besucht, seine Briefe kamen ungeöffnet zurück. Seine Eltern waren zu der Zeit bereits gestorben. So kam es denn auch, dass er zwar wusste, dass die Schwestern verheiratet waren und Kinder hatten, er wusste sogar, wo sie in Hamburg zu finden waren, aber das war es auch schon.
Die um sieben Jahre ältere Schwester war Grete Heuter, die drei Kinder großgezogen hatte. Sie war die Witwe eines Bankangestellten. Gretes jüngster Sohn, Jürgen Heuter, war Leiter der Finanzabteilung der HS-Bank in Hamburg. Er wusste, dass Otto Mundt im Aufsichtsrat der Bank saß. So etwas weiß man als einer der leitenden Bankangestellten. Aber dass Otto Mundt sein Onkel war, davon hatte er keine Ahnung. Er hatte ihn auch noch nie gesehen, denn er nahm an den Sitzungen des Aufsichtsrates nicht teil.
Die andere Schwester war die vier Jahre ältere Elisabeth Baerber. Sie hatte zwei Töchter großgezogen, die wiederum verheiratet waren und Kinder hatten. Otto wusste, wo sie wohnten und was sie taten, aber er mied jeden Kontakt. Otto hatte lange gebraucht, um den nötigen Abstand zu den Schwestern zu gewinnen, und wenn er mal an sie dachte, so mit Bitterkeit.
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