Die Wolf. Jan-Hillern Taaks
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Die Hochzeit fand genau vier Wochen vor der Geburt von Heinrich Wolf statt. Zur Hochzeit gab es nichts, was feierlich gewesen wäre. Es gab das Brautpaar und die Trauzeugen, sie kamen im Standesamt zusammen und gingen anschließend wieder auseinander. Bernd hatte als Trauzeugen eine Kollegin mitgebracht, für Helene war es ihr Stiefvater, begleitet von Onkel Otto, der Bernd den Umschlag mit dem Geld heimlich zusteckte. Bernd nahm den Umschlag entgegen, und er verabschiedete sich von Helene mit einem sehr flüchtigen Kuss.
Helene war nicht enttäuscht. Irgendwie verstand sie, dass Bernd die Trauung nicht gewollt hatte, und dass ihn irgendetwas dazu gezwungen hatte. Dennoch war sie froh, jetzt Helene Wolf zu sein, und ihr Kind sollte auch Wolf heißen. In der Geburtsurkunde sollte nicht "Vater unbekannt" stehen, wie bei ihr selbst.
"Und was machen wir jetzt?", fragte Ralf nach dem Nachhauseweg.
Otto lud Ralf und Helene zu einem Essen ein, dann allerdings müsse er sich seiner Arbeit widmen. Und Helene sagte, sie habe noch an einer Seminararbeit zu arbeiten, und sie sei froh, dass sie dafür die Zeit habe.
Eine kirchliche Trauung hatte es nicht gegeben. Es wurde darüber gar nicht gesprochen. Helene wusste nicht einmal, welcher Konfession Bernd angehörte. Vielleicht war er aus der Kirche ausgetreten, wie Ralf. Das würde zu ihm passen, sinnierte Helene flüchtig.
9. Kapitel
Die Geburt des Jungen Heinrich fand im Krankenhaus statt, es gab keine Komplikationen. Helene war auch während des Geburtsvorganges voller Freude, und als sie das kleine Bündel im Arm hielt, war sie ganz einfach glücklich. Nur zwei Tage später war sie wieder zu Hause - und sie war zunächst ein wenig ratlos. Sie hatte den Jungen, sie hatte auch genügend Milch für ihn, sie hatte das Studium, und sie hatte auch den Haushalt. Gewiss, für den Haushalt gab es Hilfe, was aber sollte sie nun mit ihrem Studium tun, und was mit ihrer Arbeit in der Kanzlei? Es war wunderbar, dass sowohl Ralf als auch Onkel Otto zuhörten und Hilfe schafften. Helene wusste, dass es nicht selbstverständlich war, so viel offene Ohren und Hilfe zu bekommen. Sie wusste es zu schätzen, und sie sagte es auch - und sie zeigte es auch.
Ralf stellte Gerlinde vor, eine Frau von 32 Jahren, die in der Filiale gearbeitet hatte, die Ralf leitete. Die Filiale sollte im kommenden Jahr, spätestens in zwei Jahren, geschlossen werden, was Ralf seinen Mitarbeitern in einer Versammlung ganz offen gesagt hatte. Gerlinde war geschieden, sie hatte vor drei Jahren ihr Kind verloren, und sie hatte vor einiger Zeit ihrem Chef gestanden, dass sie am liebsten Kindergärtnerin oder "Kinderfrau" sei, was immer dass heißen mochte. Ralf hatte zugehört, und jetzt hatte er sich an das Gespräch erinnert.
Gerlinde war eine mittelgroße, rundliche Frau, die immer freundlich war. Allerdings hatte Ralf noch nie gehört, dass sie laut gelacht hätte. Überhaupt war sie nie laut. Eine Schönheit war sie nicht, dafür hatte sie viel "zu runde Konturen". Ralf fragte sie, ob sie für seine Tochter - für seine Stieftochter - als Kindermädchen arbeiten wolle. Ja, das wolle sie tun. Und bereits am Abend brachte er Gerlinde mit und stellte sie vor.
"Gerlinde Moeller würde gern als Kindermädchen, als Kinderfrau, für uns arbeiten", sagte Ralf, und er ließ Helene und Gerlinde allein, damit sie sich kennenlernen würden.
Gerlinde war für Helene eine ideale Lösung, wie sie schnell beim ersten Gespräch feststellte, Sie mochte Gerlinde, die den Kleinen liebevoll in die Arme nahm. Allein die Art, wie Heinrich Gerlinde ansah, so ohne Furcht, freute Helene. Gerlinde erzählte ein wenig von dem Kind, das sie verloren hatte, von dem Mann, von dem sie geschieden war, und davon, dass sie keine Kinder mehr bekommen könne. Gerlinde könne sofort anfangen - das heißt, sie brauche eine Woche Zeit, denn sie habe noch einige Behördengänge zu tun. So verblieben sie, wobei Helene noch sagte, dass ihr Stiefvater mit ihr einen Vertrag schließen werde.
Helene sagte später zu Ralf, dass Gerlinde eine wunderbare Hilfe sein würde.
"Warum tust du das für mich?", fragte Helene, als die Beiden am Abend allein im Wohnzimmer saßen. Sie hatten zu Abend gegessen, Helene hatte den Jungen gestillt und ins Bett gebracht. Helene fuhr fort:
"Für dich bin ich doch eine Last ohne Ende, und das wird ja auch weiter so gehen. Ehe ich wirklich Geld verdiene, wird noch viel Zeit vergehen, vielleicht zwei oder drei Jahre."
Ralf Boring schwieg eine kleine Weile. Er hatte die Frage nicht erwartet, und er wusste nicht sofort, was die richtige Antwort sein könnte. Schließlich antwortete er:
"Weißt du, es gibt so etwas wie Liebe. Meine Liebe hört nicht einfach auf, weil du einen Mann hast, oder weil du Mutter bist." Ralf war verlegen, und die Worte kamen nur zögernd heraus.
"Ralf, dieser Liebe werde ich nie richtig würdig sein." Helene errötete.
"Nun, nimm meine Liebe - und die von Onkel Otto, der das Seine dazu beiträgt, einfach an."
"Onkel Otto", murmelte Helene. Und dann fragte sie:
"Seid Ihr ein Paar?"
Ralf schaute überrascht auf. Dann musste er lachen und entgegnete:
"Wir sind gut befreundet - aber wir sich kein Paar, kein Liebespaar. Beantwortet das deine Frage?"
Es gab noch eine Neuerung: Ralf und Onkel Otto schenkten ihr einen gebrauchten Golf, weil sie meinten, dass Helene mobil sein müsse. Die öffentlichen Verkehrsmittel seien zwar gut, aber Helene habe sehr viele Termine: Zum Kinderarzt, zur Universität, zur Kanzlei und dann dürfe man auch die Behördengänge nicht vergessen. Helene hatte bereits einen Führerschein, den sie vor ihrem 18. Geburtstag gemacht hatte, und sie durfte fahren. Natürlich probierte sie in Begleitung von Onkel Otto, mit dem Wagen im Straßenverkehr zurechtzukommen, und es zeigte sich, dass sie eine sehr umsichtige Fahrerin war, vor allem, wenn sie das Kind mitzunehmen hatte.
10. Kapitel
Bernd zeigte sich in den nächsten paar Wochen überhaupt nicht. Helene selbst war viel zu sehr mit dem Jungen, dem Studium, ihrer Arbeit in der Kanzlei und mit sich selbst beschäftigt, um sich wegen ihres Mannes große Gedanken zu machen. Natürlich fragte sie sich, welche Rolle Bernd, ihr Ehemann wider Willen, in ihrem Leben spielte oder spielen sollte. War er nur der Körper, den sie liebte? Einen Dialog über Gefühle oder über das Kind gab es einfach nicht, weil Bernd nicht da war. Und wenn sie ehrlich war, musste sich Helene sagen, dass sie Bernd im Augenblick nicht gebrauchen konnte. Und er? Brauchte er sie? Sie hatte keine Antwort darauf. Sie gab zu, dass ihre Ehe mit Bernd alles andere als normal war. Aber was ist denn schon normal?
Ganze vier Monate nach der Geburt von Heinrich stand Bernd vor der Tür. Es war später Herbst, es regnete, aber er stand da in nassen Jeans, Hemd und tropfender Lederjacke. Er sah unverändert aus, und sein gewinnendes Lächeln hatte sich nicht geändert. Sie brauchte ihn nur anzusehen, und schon fühlte sie die körperliche Erregung.
"Ich wollte dich holen - können wir zu mir gehen?", fragte er.
Helene errötete leicht, dann bat sie ihn in die Wohnung. Ralf war in seinem kleinen