Lebenszeiten. Georg Satirev
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Lebenszeiten - Georg Satirev страница 3
Ich winkte, er bemerkte mich und setzte sich. “Ich freue mich. Wie geht’s?“
„Beschissen. Ich bin Opfer eines Gehirntumors und habe vielleicht noch drei Monate zu leben. Eine Operation ist nicht möglich .Noch kann ich denken, reden, mich bewegen .Das wird sich jedoch bald ändern. Ich weiss es seit gestern. Doch wollte ich unser Treffen dennoch wahrnehmen.“
5
Eine mögliche Variante zu beginnen, könnte so formuliert werden:
Als Realist war sich Paul Poth klar, dass er gelebt hatte, dass vor ihm eine dem reinen Überlebenswillen geschuldete, an sich sinnlose medizinisch indizierte Prozedur des Hinauszögerns des Todes durch Massnahmen wie Bestrahlung, Chemotherapie und Medikation war. Der verzögerte Exitus sollte sich auch möglichst schmerzfrei einstellen.
Dies war unvermeidlich und letztlich in den jeweiligen Schritten zwar nicht im Detail, aber doch im grossen Ganzen vorherdefiniert. Was Paul Poth aber noch wollte und dies war der Akt der Freiheit, dies konnte er noch entscheiden und sich bewusst machen: Er wollte für sich klären,wie er gelebt hatte .Was hatte er richtig gemacht, was hatte er recht gemacht, was war unvermeidlich, was wäre, bei anderer Entscheidung seinerseits, vielleicht anders gegangen.
Er wollte sterben in dem Bewusstsein nicht nur äusserlich testamentarisch seine Angelegenheiten geregelt zu haben, sondern sich selbst über sein Leben Rechenschaft abgelegt , sozusagen das jüngste Gericht für sich vorgezogen zu haben.
Um dies zu realisieren, wandte er sich an mich, seinem ältesten Freund, um ihm quasi als Sparringspartner oder als Therapeut gegenüberzustehen. Lange Zeit hatten wir als
Abiturienten und beginnende Studenten, anstatt früh schlafen zu gehen, darüber diskutiert, ob es das richtige Leben im falschen gäbe und wenn, wie ein solches zu formulieren wäre.
Wir verabredeten uns in meiner Kanzlei.Wir setzten unsere Gespräche auf mindest dreimal wöchentlich, ausser Samstag und Sonntags, um jeweils17 Uhr fest und gaben uns maximal drei Stunden pro Tag.
6
Allen Potentialitäten zum Trotz muss doch eine Entscheidung, und die ist frei, zur Realität führen, in diesem Fall zum konkreten Beginn:
Südlich von München liegt, eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft und vor sich in einigem Abstand, daher keineswegs erdrückend und einengend, die Nordalpenkette, der Starnbergersee , im Gegensatz zum Ammersee, dem Bauernsee, auch Fürstensee genannt.
Offiziell ist der Name erst seit 1962 gültig, so dass zu der Zeit, in welcher ein Teil unserer Geschichte spielt, Würmsee die amtliche Bezeichnung wäre.
Am Starnberger See liegt auch das gleichnamige Städtchen, jedoch kein Wald oder gar ein Schloss mit diesem Namen. Dagegen gibt es viele Villen und Landhäuser, die wohlhabende Bürger sich in unterschiedlichsten Stilformen seit Mitte des 19.Jahrhunderts überwiegend - damit der Bahnlinie folgend - auf dem Westufer des Sees errichtet haben.
Auf dieser Seite des Sees, am nördlichen Ende einer Einbuchtug findet sich der Ort Seeberg und eine dieser Villen, in denen die Grosseltern Paul Poths in 2.Generation, man kann zu Recht sagen, residierten.
Denn die Villa „Seeblick“ lag inmitten eines Parks, der doch, wie der Name schon sagt, den Blick sowohl auf den See wie auf die Alpen und zuvörderst die Zugspitze freigab. Sie war von einem Münchener Architekten neuklassizistisch gebaut, was heisst, dass Stilelemente vergangener Epochen eklektisch zusammengesetzt wurden. In diesem Falle aber durchaus nicht protzig, neureich, sondern zurückgenommen mit Gefühl für Stil und Geschmack .
Der Vater von Konsul Dr. Poth war Kunsthändler und hatte einen angesehenen Architekten der Münchener Szene beauftragt, ihm ein angemessenes Landhaus zu planen und zu realisieren - zwölf Jahre nach der Fertigstellunng seines Stadthauses in der Briennerstrasse, in dessen 2. Stock nun mein Anwaltsbüro eingerichtet war, das als Treffpunkt des Sich –Bewusstmachens des gelebten Lebens meines Freundes Paul Poth diente.
7
Ich sage Freund. Ja Paul Poth war und ist mein Freund.
Freundschaft speist sich aus gemeinsamen Erfahrungen, wie der Schulzeit oder Studentenzeit.
Wir hatten schon als Kleinkinder gemeinsam gespielt, als Schüler in der Oberstufe, obwohl an verschiedenen Gymnasien und verschiedenen Orten uns von einem Studenten der Germanistik, Mitglied der Rotzeg, der sogenannten Roten Zelle Germanistik, gemeinsam in Dialektik – derjenigen von Hegel als notwendiger Vorläufer von Karl Marx – schulen lassen. Wir hatten verschiedene Fächer an verschiedenen Unis studiert, ich in München Jura und nebenbei bei den Jesuiten Philosophie, Paul in Frankfurt Philosophie und Volkswirtschaft, aber gemeinsam dieselben enttäuschenden Erfahrungen mit den Ausläufern der Studentenbewegung gemacht, um uns im amerikanischen Cambridge an der Harvard Universität wiederzusehen: Paul machte den Master of Business Administration, ich den Master of Laws, den „legum magister“, den LL.M.
Wir arbeiteten auch später beruflich zusammen, als Paul als operativer Manager bei einem LBO, also einem „leveraged buy out“, oder heute populärer einer Heuschreckenübernahme agierte und ich die notwendigen Verträge ausfertigte. Wir sind gegenseitig Paten unserer Kinder, ich habe Pauls Ehe geschieden und war ihm in dieser, für ihn sehr schweren Zeit mit vielen ausführlichen Gesprächen gewiss eine Stütze.
Wir haben eine gemeinsame Lebensauffassung oder genauer Haltung .Wir verabscheuen jegliche aufgesetzte Attitüde sei sie intellektueller, geschäftlicher oder privater Art. Insofern haben wir ein durchaus so zu bezeichnendes elitäres Selbstverständnis, dessen Charakteristikum es aber gerade ist, es nicht nach aussen zu tragen. Gemeinsam können wir uns dann bestens amüsieren über die Eitelkeiten und aufgeblasenen Sprüche sogenannter Leistungsträger, deren Erfolg immer wieder verwunderlich erscheint.
All das genügt aber nicht für eine Freundschaft. Hinzu müssen intellektuelle Gemeinsamkeiten kommen, die wiederum aus den Studieninhalten stammen können, aber auch aus gemeinsamen Vorlieben für bestimmte Literatur, Kunst oder sonstiges.
In unserem Fall war es die Vorliebe für gewisse Romane. Paul und ich liebten Proust, Thomas Mann, Fontane, Flaubert, aber auch Musil, Joyce und nicht zuletzt die Lebensweisheiten eines Shakespeares.
Wir waren uns einig, dass von den aktuellen Autoren allenfalls Philipp Roth trotz seiner uns beide störende „Sexsucht“ an diese heranreichte. Dass er noch keinen Nobelpreis erhalten hatte und ihm etwa die Österreicherin Jelinek vorgezogen wurde, hielten wir für einen Skandal.
Da wir beide ständig Bücher der genannten Autoren lasen, teilten wir uns bei regelmässigen gemeinsamen Treffen immer wieder kleine Details mit wie: „Ich habe neulich in der Gefangenen “ – dem 5.Band der „Recherche…“ – „einen Hinweis auf den möglichen Namen des Erzählers gefunden, indem Albertine unter der Prämisse dem Erzähler denselben Namen wie dem Verfasser zu geben, welch ironische Distanzierung, diesen >Mein Marcel< oder >Marcel Liebling< nannte “ oder „Was Fontane den alten Stechlin über das Telegraphieren sagen lässt, könnte man heutzutage auf die e-mail Sucht anwenden :>Die feinere Sitte leidet ganz gewiss.< Solche Hinweise gingen über in Diskussionen über Fragen wie generell geltende Wahrheiten von Romanen oder inwieweit der Roman oder die Kunst allgemein und nur diese gelebtes Leben verewige.
Wahre Freundschaft wird erst in fortgeschrittenem Alter bewusst. Mit dem Freunde konnte man Dinge besprechen intimster Art und war doch gesichert, dass die Kenntnisse