Ernteplanet. Rolf-Dieter Meier

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Ernteplanet - Rolf-Dieter Meier

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musste schmunzeln und erst jetzt fiel ihm bei diesem Anblick auf, was seiner Aufmerksamkeit bisher entgangen war: es wurde nicht geerntet. Üblicherweise waren die Blätter hellgrün und die Adern, die sie durchzogen, waren normalerweise fast weiß, wenn sie geerntet wurden. So war es bisher immer gewesen, hatte er es doch oft genug gesehen. Diese Blätter aber wiesen ein dunkles Grün auf und die Adern hatten bereits eine violette Färbung angenommen. Diese so kostbaren Gewächse waren also nicht rechtzeitig geerntet worden. Er war sich sicher, dass diese Pflanzen nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck geeignet waren. Sein Puls beschleunigte sich, während sich seine Gedanken zu der einen Frage formten: Was war geschehen?

      Der alte Mann spürte ein erneutes Frösteln, wobei er nicht zu unterscheiden wusste, ob die Aufregung, die ihn erfasst hatte, der Grund dafür war oder der kühle Wind, der an Stärke zugenommen hatte. Er wendete seinen Rollstuhl, sodass er wieder der Sonne zugewandt saß. Sein Rücken, der ebenfalls schweißnass war, war durch die Rückenlehne seines Rollstuhls geschützt. Von vorne wärmte ihn die Sonne, die unverändert dem Horizont entgegen strebte. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, versuchte die gewonnene Erkenntnis zu erklären. Aber seine Erinnerungen gaben keine Hinweise auf eine Lösung dieses Rätsels. Die Sonne sank in einen dunstigen Schleier herab und nahm eine rote Färbung an, die sich über den Himmel ausbreitete. Der Kopf des alten Mannes war herabgesunken. Am Donnerstag, den 25. August 2174 um 19:52 Uhr starb Edvard Stendahl; er war der letzte Mensch.

      2.1. Anzeichen

      „Mein Name ist Edvard Stendahl und dies ist die Geschichte meines Lebens. Allerdings habe ich noch ein paar Monate draufgesattelt, um vor allem die Zeit vor meiner Zeugung bis zur Geburt zu erfassen, die, wenn man es recht betrachtet, eigentlich die bedeutsamste in meinem Leben war und daher auch den größten Anteil an meiner Geschichte hat. Wie man sich denken kann, ist es mir nicht möglich, diese Zeit und meine frühe Kindheit aus eigener Erinnerung zu beschreiben. Aber mir ist, dank meines guten Gedächtnisses, viel von den Erzählungen und Berichten meiner Eltern und der sonstigen Verwandten und Anverwandten in Erinnerung geblieben, sodass ich mir sicher bin, ein umfassendes Bild der wichtigsten Geschehnisse aus dieser Zeit liefern zu können. Hilfreich waren auch einige Aufzeichnungen meiner Mutter, die sporadisch so etwas wie ein Tagebuch geführt hat. Etwas altmodisch, aber für mich von unschätzbarem Wert, weshalb es ebenfalls zu den Reliquien gehört, die ich aufbewahrt habe. Da, wo dem eigenen Wissen natürliche Grenzen gesetzt sind, habe ich zum besseren Verständnis der Ereignisse auch andere mir zugängliche Quellen herangezogen.

      Ich habe, wie man so schön sagt, das Licht der Welt am 1. Februar 2048 erblickt. Fast ein Wunder, denn meine Zeugung war eine äußerst knappe Angelegenheit und wurde durch ein Ereignis der besonderen Art zunächst weit in den Hintergrund gedrängt. Aber alles der Reihe nach …“

      Freitag, 29.03.2047

      Erik Stendahl strebte schnellen Schrittes auf das Blumengeschäft zu, das sich durch die vor dem Schaufenster drapierten Sträuße und ihrer üppigen Farbenpracht wohltuend, wie er fand, vom eher kühlen Design der übrigen Geschäfte abhob. Mit seinem dunklen Anzug und einer dazu passenden rot-schwarz gestreiften Krawatte unterschied er sich nicht wesentlich von all den anderen Artgenossen, die wie er mit einem Rollenkoffer durch die Gänge des Flughafens eilten. Die Maschinen, die in der letzten Stunde gelandet waren, kamen überwiegend aus den Metropolen dieser Welt und hatten augenscheinlich eher Geschäftsleute als Touristen an Bord. Diese waren deutlich in der Unterzahl und unschwer erkennbar an der Freizeitbekleidung, sportiven Jacken, Jeans und sonstigen schlabbrigen Hosen, wie sie dem Stil der Zeit entsprachen und natürlich an der größeren Zahl an Gepäckstücken, die sich auf Gepäckwagen zu stattlichen Bergen türmten. Als Erik Stendahl den Blumenladen erreicht hatte, stellte er seinen Trolley in eine Parkposition und zog sich den hellen Übergangsmantel an, den er bis dahin über seiner Schulter getragen hatte. Dabei verschaffte er sich einen ersten Überblick über das Angebot an Blumensträußen, die in unterschiedlicher Größe und Gestaltung in kleinen Kübeln steckten. Ein Gong ertönte und eine angenehme Frauenstimme forderte die Passagiere auf, Gepäckstücke nicht unbeaufsichtigt zu lassen. Diese Information hatte er schon so oft vernommen, dass seine Aufmerksamkeit schon wieder erloschen war, als die Stimme begann, die Aufforderung auf Englisch zu wiederholen. Das entfernte Grollen einer startenden Maschine ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er sich immer noch auf dem Flughafen befand, den er eigentlich so schnell wie möglich verlassen wollte. Aber die vier Wochen Abwesenheit, er war als Consultant Senior Manager für ein weltweit agierendes Beratungsunternehmen bei einem Mandanten in Madrid tätig gewesen, waren diesmal Anlass genug, seine Frau mit ein paar Blumen zu überraschen. Kirstin liebte gelbe Rosen, also richtete er sein Augenmerk auf die entsprechenden Sträuße. Er war froh, dass die Auswahl in dieser Hinsicht sehr überschaubar war und er seine Entscheidung zügig treffen konnte. Zwischenzeitlich war die Verkäuferin aus dem Geschäft herausgetreten:

      „Kann ich Ihnen helfen?“

      „Den hätte ich gern.“

      Er wies auf den Strauß seiner Wahl und sie nahm ihn vorsichtig aus dem Behältnis und ging damit zurück ins Geschäft. Er packte den Griff seines Rollenkoffers und rumpelte damit hinter ihr her.

      „Haben Sie es noch weit?“ Sie blickte ihn fragend an.

      „Na ja, ich bin schon noch einige Zeit unterwegs, aber ich nehme ein Taxi.“

      „Dann schlage ich ihn nur normal ein, so kalt ist es ja nicht. Das macht dann 15 Euro.“

      Er griff in die linke Innentasche seines Jacketts und fingerte die Geldbörse heraus. Er zahlte passend und tauschte die Geldscheine und Münzen gegen den Blumenstrauß. Zufrieden mit seinem Einkauf verließ er das Geschäft und folgte den Hinweisschildern zum Ausgang des Flughafengebäudes.

      Unmittelbar am Terminalausgang befand sich der Taxistand, an dem wie an einer Perlenschnur aufgereiht die Taxis nahezu geräuschlos vorfuhren. Ein nicht versiegender Strom beigefarbener Autos, die kurz hielten, Gepäck und Passagiere aufnahmen und sich wieder zügig in den Verkehr einfädelten. Nur selten war das Geräusch eines Benzin- oder Dieselmotors zu vernehmen; Restbestände vergangener Motorisierung. Aber auch damit würde bald Schluss sein, da die Regierung bereits an einem Gesetz arbeitete, dass die ausschließliche Nutzung von Elektromotoren im innerstädtischen Bereich zum Inhalt hatte. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, wann nur noch erneuerbare Energien den Verkehrsfluss bestimmen würden. Um den Strom der Fahrgäste zu disziplinieren, gab es eine Art Schleusensystem wie es auch bei den Sicherheitskontrollen üblich war. Wenn ein Fahrgast abgefertigt war, machte der nachfolgende einen Schritt nach vorn. Dieser Vorgang setzte sich durch die Schlange der Wartenden wie eine Welle fort. „Der Pulsschlag des Wartens“, dachte Erik Stendahl und stellte erfreut fest, dass es zügig voran ging. Vor ihm standen noch drei Damen, die sich das Warten mit einem angeregten Gespräch verkürzten, das laufend durch ein Lachen unterbrochen wurde. Ein ausgesprochen heiteres Trio, das nun gemeinsam mit dem Fahrer versuchte, die drei Koffer und diverse Taschen und Tüten im Kofferraum des Taxis zu verstauen. Da sich dies nicht sofort erfolgreich umsetzen ließ, wurde noch einmal umsortiert, wobei eine größere Tüte zu Boden fiel und diese ihren Inhalt für alle sichtbar freigab: Schuhe.

      „Na, meine Damen, einen kleinen Einkaufsbummel gemacht?“, fragte der Taxifahrer, während er die Schätze der Damen einsammelte und wieder in der Tüte verstaute. Er fing an zu lachen und fuhr fort: „Gottseidank hat meine Frau diese Prachtexemplare nicht gesehen, sonst müsste ich gleich meine Tageseinnahmen abgeben.“

      Ein Herr weiter hinten in der Reihe fühlte sich wohl animiert, auch noch etwas zum Besten zu geben: „Wäre meine Frau hier, hätte ich gleich ein Ticket zu diesem Schuhparadies kaufen müssen.“

      Das heitere Trio gackerte gleich wieder los und der Taxifahrer sowie diverse Herrschaften in der Reihe der Wartenden fielen in das Gelächter ein. Auch Erik Stendahl konnte sich der

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