Das Dunkle Bild. Tristan Fiedler

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Das Dunkle Bild - Tristan Fiedler

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      Ich sah die Dringlichkeit in seinem Blick. Aber er sprach schon seit Wochen verworren, deshalb beachtete ich das gar nicht.

      Mein Vater musste das spüren. Er packte mich heftiger. „Es ist wichtig. Und ich schaff das nicht mehr. Deshalb musst du das jetzt machen.“

      Seine weiteren Worte gingen in einem Hustenanfall unter. Er ließ mich los, und ich beeilte mich, seine restlichen Sachen zu packen. Als er mich dabei abermals am Arm nahm, befreite ich mich eilig und versicherte ihm in ruhigem Ton, dass ich mich schon um alles kümmern werde.

      Das war das letzte Mal, dass wir miteinander sprachen.

      Als ich das Krankenhaus verließ und in den Regen hinaustrat, dachte ich an all die unbequemen Pflichten, die jetzt auf mich zukommen würden. Eine Beerdigung musste organisiert werden. Ich hatte in den letzten Wochen immer wieder mit dem Gedanken gespielt, schon vor der Operation alles in die Wege zu leiten, aber irgendetwas hatte mich davon abgehalten. Vielleicht war es Moralempfinden. Ich weiß es nicht. Jetzt ärgerte ich mich darüber. Wenigstens ein Grab hätte ich organisieren können. Aber die unangenehmste Arbeit würde das kleine Haus am Rand der Stadt bedeuten, das jetzt leer geräumt, renoviert und wieder zum Kauf angeboten werden musste. Da ich keine Geschwister habe und damit das letzte Überbleibsel der Familie bin, fiel diese Aufgabe ganz alleine mir zu.

      ~

      Es regnete noch immer, als am nächsten Morgen zwei Umzugswagen vor dem kleinen Haus vorfuhren, direkt am Rand eines Rapsfeldes. Die gelben Pflanzen tanzten unter den schweren Regentropfen, und ich erinnerte mich an den starken Geruch, der von diesem Feld ausging, wenn die Sonne schien. Meine Mutter liebte die Natur und ihre Düfte, Jasmin, Flieder und besonders Lavendel. Als sie noch am Leben gewesen war, hatte sie dieses Haus direkt am Feld ausgesucht, um hier gemeinsam mit meinem Vater in Ruhe ihren Lebensabend, wie sie es ständig nannte, verbringen zu können. Und das hatten sie dann auch getan, wenn auch der Lebensabend meiner Mutter um einiges kürzer ausgefallen war als der meines Vaters.

      Im Haus gab es nur einen Gegenstand, den ich gleich an mich nahm, um ihn zu retten: Ein altes Foto von meiner Mutter, das auf der Anrichte im Wohnzimmer stand. Ich nahm es behutsam in die Hand und betrachtete es, während mehrere Arbeiter die Anrichte unter mir anhoben und wegtrugen. Das Schwarzweiß-Bild zeigte eine junge Frau mit zarten Gesichtszügen. Meine Mutter konnte damals kaum älter als zwanzig gewesen sein. Die alte Aufnahme hatte mich immer schon fasziniert. Sie ließ erahnen, wie schön meine Mutter damals gewesen war. Ihre dunklen Haare waren ordentlich zurückgelegt und glänzten seiden. Nur eine Locke hatte sich gelöst und fiel ihr frech in die Stirn. Sie schenkte dem Betrachter ein mildes Lächeln, das, wie ich immer fand, sehr traurig wirkte. Was meine Mutter damals gedacht haben muss, habe ich nie erfahren. Wenn ich sie zu der Zeit befragte, in der die Aufnahme gemacht wurde, dann hielt sie sich bedeckt. Ich erinnere mich an den einzigen Moment, in dem sie etwas von dem Geheimnis ihrer Vergangenheit Preis gab, nachdem ich keine Ruhe geben wollte. Sie sah mich mit verklärtem Blick an und sagte: „Weißt du, das ist so lange her... Vielleicht ist es besser, wenn man die Vergangenheit einfach vergisst und nicht mehr anrührt.“

      „Entschuldigung?“

      Ich fuhr aus meinen Gedanken hoch, als einer der schwitzenden Männer mich zur Seite schob. Ich steckte das Bild ein und verließ den Raum.

      Mein restliches Interesse galt dem Weinkeller meines Vaters. Hier hielt ich mich fast die ganze Zeit über auf, während draußen herumgeschoben, -getrampelt und -geächzt wurde. Als die Arbeiter dann hereinkamen, um mir mitzuteilen, dass oben alles fertig war, wies ich sie an, auch hier alles auf den Müll zu werfen.

      „Wie?“ fragte ein muskelbepackter Mann ungläubig, dessen Glatze vom Schweiß so sehr glänzte, dass sich die Deckenlampe darin spiegelte. „Das alles?“

      Damit meinte er die knapp zweihundert Weinflaschen, die um uns herum aus den Wänden ragten.

      „Ja“, sagte ich. „Die sind wertlos.“

      Um meine Fachkundigkeit zu beweisen, zog ich eine Flasche hervor und deutete auf das Etikett. „Hier“, sagte ich. „Das ist ein Pinot Noir. Für den ist es viel zu kühl hier unten.“

      Ich warf dem Arbeiter die Flasche achtlos zu. Erschrocken fing er den Rotwein auf. Dann sah er hinunter auf das Etikett.

      „Alles wegschmeißen“, sagte ich.

      Der Glatzkopf zögerte, während er auf die Weinflasche hinuntersah, die er in seinen Pranken hielt. Dann blickte er mich an. „Also, wenn Sie das hier nicht mehr brauchen...“

      Ich erwiderte seinen Blick erwartungsvoll. Ich wusste schon, was er fragen wollte. Er hoffte ganz offensichtlich, ich würde ihm die Frage ersparen und einfach erlauben, dass er die Flaschen behielt. Aber ich wollte hören, wie er darum bat. Ich habe schon öfter gehört, ich hätte eine „schroffe Art“. Sogar mehr als einmal. Vielleicht stimmt das ja. Aber ehrlich gesagt: So ist es mir lieber, als wenn mir jemand zu nahe kommt. Ich finde es auf diese Art sogar angenehmer mit anderen in einem Raum zu sein. Schwer zu verstehen, dass es anderen nicht so geht. Der Glatzkopf jedenfalls sah mich nur verdattert an und sagte nichts mehr.

      „Dann können sie in den Müll“, beendete ich seinen Satz.

      Der Arbeiter nickte nur, und die Männer machten sich an die Arbeit.

      Nun ereignete sich etwas, das eben die Geschehnisse in Gang setzte, derentwegen ich angefangen habe, all das hier aufzuschreiben. Als eines der schwersten Möbelstücke, ein großer Eichenschrank, von zwei der Männer in den Lastwagen für Schrott gebracht wurde, kam dahinter eine Tür zum Vorschein. Sie war über all die Jahre hinter dem Schrank verborgen gewesen. Mein Vater musste von der Tür gewusst haben, immerhin hatte er den Schrank hierher gestellt. Die Tür schien aber seit vielen Jahren nicht geöffnet worden zu sein, denn vom Boden herauf zog sich ein dichter weißer Mantel aus Staub und Spinnweben.

      Ich zögerte einen Augenblick lang, ob ich die Tür öffnen sollte, um zu sehen, was dahinter war. Etwas an dem Gedanken, dass mein Vater mit Absicht diese Tür verbarrikadiert hatte, schreckte mich ab. Hatte er etwas verstecken wollen? Doch dann fand ich diesen Gedanken lächerlich. Wahrscheinlich hatte er einfach keinen Gebrauch von der Tür gemacht und den Schrank achtlos davor gestellt.

      Nur um sicherzugehen, dass ich nichts im Haus übersah, betätigte ich die Türklinke. Die Tür war nicht verschlossen und öffnete sich mit einem kurzen Knarren. Dahinter befand sich nichts weiter als ein kleiner, stockfinsterer Raum. Ich suchte einen Moment lang an der Wand neben der Tür nach einem Lichtschalter, fand aber keinen.

      Ich holte eine Taschenlampe und erhellte damit die Kammer. Der fensterlose Raum war nur sehr klein – und er war leer. Leer bis auf eine klapprige Staffelei, die einsam in der Mitte der Kammer stand. Sie war verhüllt von einem weißen Leintuch, das im Taschenlampenlicht gespenstisch leuchtete.

      Ich ließ den Taschenlampenkegel eine Weile auf den Falten des Leintuches ruhen, bis ich mich langsam näherte. Der helle Lichtkreis auf dem Tuch wurde schärfer, bis ich direkt vor der Staffelei stand und das Laken langsam zur Seite zog. Der dünne Staubfilm auf dem Laken löste sich und hüllte mich in eine unangenehme Wolke, als das Laken zu Boden fiel und das Bild enthüllte.

      Es war kein sehr großes Bild. Es maß vielleicht einen Meter in der Breite und einen halben in der Höhe, und es war eingefasst in einen schlichten Rahmen aus dunklem Holz. Es war anscheinend ein Ölgemälde, gehalten in sehr dunklen Tönen, soweit ich das im Licht der Taschenlampe beurteilen konnte. Es zeigte ein Haus, das einsam auf einer kleinen Anhöhe lag. Das Haus war sehr groß, es handelte sich eher um eine Art Anwesen, dessen

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