Taubenjahre. Franziska C. Dahmen
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Читать онлайн книгу Taubenjahre - Franziska C. Dahmen страница 25
»Wie bitte?« Hanna schaute ihn verblüfft an. Hatte er nicht eben noch davon gesprochen, dass sie nicht würde mitkommen können?
»Ich habe gesagt, dass wir zunächst einmal zu meiner Mutter gehen. Sie wird ihnen eine Tasse Kaffee einschenken und dann schauen wir weiter! Sie sehen mir danach aus, als könnten sie eine gebrauchen.«
»Was gebrauchen?«
»Na, eine Tasse Kaffee!«, lachte Rafael und ergriff ihren Arm.
Die ganze Zeit über hatte er sie beobachtet. Allem Anschein nach entwickelte sich dies zu einer Lieblingsbeschäftigung von ihm, dachte er kopfschüttelnd. Wenn das so weiterginge, würde er noch Stielaugen bekommen. Wie das wohl aussähe? Vielleicht würde man die dann im Personalausweis neben seinem abstehenden Zeh vermerken. Immerhin stände der dann nicht mehr so alleine da. Und das Zehen von Natur aus keine Einzelgänger waren, wusste schließlich jeder. Doch was war mit Hanna los? Er hatte gemerkt, dass sie ihm nicht zuhörte. Ihre Gedanken waren kilometerweit entfernt. Überhaupt schien sie stark verändert zu sein. Das Strahlen in ihren Augen war erloschen und ihre tänzelnden, luftigen Schritte waren zu einem erdigen Stampfen mutiert, gerade so, als ob sich unter ihren Füssen Schlick befände. Irgendetwas musste passiert sein. Nur was?
Vor einem grün angestrichenem Wohnwagen blieb er stehen. Auf dem Fensterbrett lag eine bunte Wolke frisch aufgeschüttelter Daunenbetten.
»Mutter?«
Dumpf scholl eine Stimme aus dem Wohnwagen heraus. Dann erschien eine Frau. Ihr dunkelbraunes Haar wurde von einem blau kariertem Tuch bedeckt.
»Mutter, Hanna ist zu uns gekommen. Du kennst sie. Sie war gestern bei uns und hat Numoi das Leben gerettet.«
»Aber ja doch!«. Ein Leuchten überflog ihr Gesicht. »Kommen sie. Setzten sie ... sich.« Rafaels Mutter war kurzfristig ins Stocken geraten, als sie Hannas Koffer erblickte, den Rafael immer noch in der einen Hand hielt. Fragend schaute sie ihren Sohn an.
Dieser schüttelte unmerklich den Kopf. »Sie ist erschöpft.«
»Natürlich. Kommen sie, setzten sie sich. Am besten dort hin.« Rafaels Mutter zeigte auf einen Baumstumpf. »Ich bringe ihnen eine Tasse Kaffee.«
»Danke!« Hanna wagte ihr kaum in die Augen zu blicken. »Wie ...«, radebrach sie, »wie geht es eigentlich … dem Jungen… Numo…i?«
»Unkraut vergeht nicht. Außer ein paar Brandblasen, die weh tun, ist nichts geschehen. Er ist schon mit den anderen Jungs bei den Pferden und kümmert sich um sie.«
»Ja, natürlich ...« Hanna verstummte und war froh als Rafaels Mutter mit einer Tasse Kaffee ankam. Dankbar nahm sie sie entgegen und sog den kräftig, erdigen Geruch des Getränks in sich auf. Dann nippte sie daran.
»Wenn sie wollen, können sie sich Fusco anschauen. Er macht sich.«
Hanna war im ersten Moment irritiert, dann erinnerte sie sich: Natürlich, Fusco war der Hengst, den er erst gestern – eine gefühlte Ewigkeit – erstanden hatte. Ein leichtes Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Gerne!«
»Was will die denn hier?«, hörte Hanna plötzlich eine harte, weibliche Stimme fragen.
»Ah, Kendera! Wie immer mit dem richtigen Fuß aufgestanden. Hanna, darf ich dir meine Schwägerin Kendera vorstellen?«
Eine kleine, dralle Frau hatte sich vor ihnen aufgebaut und blickte sie finster an.
Hanna streckte ihr etwas unsicher die Hand entgegen, doch Rafaels Schwägerin übersah sie geflissentlich. Stattdessen schleuderte sie ihren langen, dunkelbraunen Zopf nach hinten, sodass ihr grobknochiges Gesicht noch härter erschien, als es schon durch das leicht vorstehende Gebiss war.
Unwillkürlich erinnerte sie Hanna an einen Terrier aus der Nachbarschaft. Ein unmöglicher Köter, der jedem, den er nicht ausstehen konnte, zähnefletschend entgegenkam. Oft genug hatte sie die Straßenseite gewechselt, um ihm aus dem Weg zu gehen. Selbst am Gartenzaun, hinter dem er mit Vorliebe lauerte, war sie ungern vorbeigegangen. Rafaels Schwägerin konnte sich auf jeden Fall mit ihm die Hand reichen. Sie war ihr ebenso unsympathisch wie dieser Köter. Bestimmt war sie genauso verbissen und verbiestert wie er. Egal! Oder auch nicht. Denn dass diese Frau sie nicht ausstehen konnte, war mehr als offensichtlich.
»Was will die Gadje hier schon wieder?«
»Kendera! … Geben sie nichts auf ihre Bärbeißigkeit. Im Grunde genommen ist sie ganz nett. Aber gestern ist ihre Schwester Kalia verstorben und wir konnten sie noch nicht beerdigen.«
Unwillkürlich hatte Hanna das Bild der zur Fackel mutierten Frau vor Augen, die schreiend durch die Nacht gelaufen war. Es waren grausige Bilder, die sich in ihr Gehirn gebrannt hatten und die sie wohl ihr Leben lang nicht vergessen würde.
»Die Polizei hat ihre Leiche mitgenommen, um sie untersuchen zu lassen. Ich hoffe, dass mein Vater sie trotz allem nach Hause bringen wird. Es ist schlecht, wenn eine Leiche nicht unter die Erde gebracht werden kann. Die Seele muss Ruhe finden. Also nehmen sie es meiner Schwägerin nicht krumm!«
»Sie hat hier nichts zu suchen!«, wiederholte diese und spie ihr vor die Füße.
»Kendera!«
»Lassen sie sie!«, versuchte Hanna ihn zu beruhigen. »Sie hat recht. Ich habe hier nichts zu suchen.«
»Aber wo wollen sie hin? Vor allen Dingen in dem Zustand, in dem sie sich befinden? Nein! Nie und nimmer.«, hielt er ihr energisch entgegen. »Sie bleiben fürs Erste hier und warten bis mein Vater zurück ist. Dann sehen wir weiter!«
Die Bestimmtheit, mit der Rafael auftrat, tat Hanna gut. Es war so, als könne sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben einfach fallen lassen, weil jemand da war, der sie auffing.
Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung schloss sie die Augen, nur um sie im nächsten Moment wieder zu öffnen. Sie hatte ihm immer noch nicht erzählt, dass Karl für all das hier verantwortlich war: Er hatte die anderen aufgehetzt. Er hatte Kenderas Schwester auf dem Gewissen. Er hatte den Wohnwagen des Jungen angezündet, sodass dieser beinahe elendig darin verbrannt wäre. Und er hatte sie …, – nein, sie gestattete sich nicht, an das zu denken, was er mit ihr getan hatte – auf jeden Fall war er daran Schuld, dass sie von zu Hause weggelaufen war. Weiß Gott mehr als genug!
Hanna warf Rafael einen Blick zu und merkte, wie ihr Herz Anfing laut zu pochen. Hastig schaute sie woanders hin, nur um wieder unter halb gesenkten Lidern zu ihm zurückzukehren. Er hatte sich ihr gegenüber auf einen Baumstumpf gesetzt und trank seinen Kaffee. Hin und wieder sah er sie fragend an, sagte aber nichts. Er schaute sie einfach an und wartete, sonst tat er nichts.
Er trägt ja einen Ohrring am rechten Ohr!? Verblüfft starrte sie für einen kurzen Augenblick auf den silbernen Knopf, dann schaute sie wieder auf den Boden. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der so etwas trägt. Überhaupt, überlegte sie, war Rafael ganz anders als all die Männer, die sie bis jetzt in ihrem Leben kennengelernt hatte. Gut, es waren nicht gerade viele. Und die wenigen, die sie kannte, gehörten zum Freundeskreis ihres Bruders. Unwillkürlich verdüsterte sich ihr Gesicht. Insbesondere Hans war so ein mieser, sadistischer Giftzwerg. Im Laufe seiner körperlichen Entwicklung auf 1,60 m stehen geblieben, hatte seine geistige- beschlossen, es ihr gleich zu tun. Einzig und allein sein Einfallsreichtum hinsichtlich kleiner, sadistischer