Oskar trifft die Schwiegermutter. Jörgen Dingler
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»Das… das gibt‘s doch nicht!«, stammelte die Frau auf Französisch.
»Mais oui«, korrigierte die niedliche Stimme, die nun ebenfalls ins Französische wechselte. Im Dunkel blitzte erneut etwas Rundes mit Zacken auf. Was den Shuriken hielt, wurde sichtbar. Der Ursprung der niedlichen Stimme huschte in den schwach erleuchteten Bereich.
Die Frau richtete sich auf, erwartete das, was nun kommen würde: ihren Tod. Auch sie hatte keine Chance, niemand hatte eine Chance. Und nun wusste sie, dass sie sogar doppelt keine Chance hatte. Ihre Augen spiegelten, was sie sah:
zwei junge, schöne, zweibeinige, tödliche Katzen ganz in Schwarz.
Sie kannte diese beiden nur zu gut. Sie hatten sie gefunden, mehr noch, wussten um ihre Absichten. Aber dass sie im ‚Doppelpack‘ aufkreuzten, das war nun wirklich eine Überraschung… und mithin ein zweifach sicherer Tod.
Die Rassefrau hatte mehr als nur geahnt, dass der Vater der beiden einem dieser bildschönen, blutjungen Geschöpfe sein tödliches Handwerk beigebracht hatte. Aber beiden? Wie konnte das sein? Oder nein, halt! Sie waren Zwillinge, diese beiden waren Zwillingstöchter… ihre Zwillingstöchter. Sie war die Mutter. Ihre Zwillingstöchter waren unzertrennlich, noch bevor sie laufen oder sprechen konnten. Längst konnten beide viel mehr als nur laufen und mehrsprachig sprechen. Sie waren Hochseilartisten, unvergleichlich geschickt, angstfrei und schnell. Beide.
Nun standen also beide Töchter vor ihr – mit der Absicht, sie, die eigene Mutter zu töten. Eine Schwester musste der anderen das tödliche Handwerk beigebracht haben. Ja, es konnte nur so sein! Wie gesagt, die beiden waren unzertrennlich, nicht auseinander dividierbar – nicht eben eine Seltenheit bei eineiigen Zwillingen.
Wie stolz hätte sie sein können. Auf diese wohlproportionierten, langbeinigen Grazien, die da vor ihr standen und anscheinend nonverbal berieten, wer die Mutter denn nun töten sollte. Es kam der mediterranen Rassefrau wie eine Ewigkeit vor, und doch waren es nur wenige Sekunden. Genauso wie ihr ihre Gedanken wie viele Minuten vorkamen, real aber lediglich in Sekundenbruchteilen ihren schönen Kopf durchfluteten.
Die schwarzgewandeten Grazien hatten sich entschieden.
»Lebwohl, Maman«, kam es auf Deutsch-Französisch im Duett.
Die Rassefrau kniff ihre Augen zu Sehschlitzen und blitzte die Vollstreckerinnen an. Das Opfer wirkte gefährlicher als die Täter.
»Ich sehe euch wieder… in einem anderen Leben«, zischte sie.
Die zwei jungen Damen sahen sich an, drehten ihre Köpfe wieder nach vorn – ein einstudiertes Ballett tödlicher Zwillingsschwestern.
»Sehr unwahrscheinlich«, konterte die später Erschienene. Eiseskälte ergriff Besitz von ihrer niedlich-frechen Stimme.
Nicht einmal ein Zwinkern später spuckten die rechten Handflächen beider Phantome gleichzeitig je einen Wurfstern aus.
Hier hilft nichts mehr!
Die Rassefrau war schneller als normale Menschen, der Vater der beiden war außergewöhnlich schnell, aber diese zwei jungen Frauen – Mädchen eher – toppten alles Bekannte. Alles. Selbst die geübten Augen der Frau waren mit dieser Schnelligkeit überfordert. Reflexe waren ohnehin nicht mehr gefragt, abgerufen zu werden. Zu spät, zu schnell.
Schmerz. Bohrend, stechend, Agonie auslösend. Sehen war schon spüren. Sie hatte kaum die Shuriken auf sich zufliegen sehen, schon spürte sie sie in ihrer Stirn. Und sie wusste, wie sich ihr Liebhaber nur wenige Minuten zuvor gefühlt haben musste.
Sie kippte, ihr Körper sackte über die Seitenwand des Beibootes, sie fiel, ließ sich fallen. Schmerz, immer noch dieser Schmerz. Dann das Eintauchen. Der Sommer 2000 war ein außergewöhnlich warmer Sommer, sogar im wenig sonnenverwöhnten Hamburg. Das Wasser war nicht kalt, aber brackiges Hafenwasser, brrr! Alles war schwarz. Sie blutete, zwei Wurfsterne hatten sich in ihre Stirn gebohrt, sie sank in die Tiefe.
Aber sie war nicht tot.
Sie erblickte den Kiel des Großseglers. Noch vor Minuten hatte sie gut zehn Meter weiter oben gesessen, ein köstliches Mahl vor sich. Merde! In Filmen stellen sie es immer so dar, als könnten Menschen unter Wasser fast wie an Land sehen. Menschliche Augen sind auf den Brechungsindex der Luft abgestimmt, nicht auf den des Wassers. Verschwommen nahm sie die Konturen des Päckchens wahr, das sie am hinterem Kiel hatte anbringen lassen. Da, wo sich der Rumpf verschlankte, um nahtlos ins Ruder überzugehen. Zudem lag diese Stelle unweit der hinteren Rettungsboote. Tiefe Nacht, Dunkelheit, Sehen unter Wasser ohne Schwimm- oder Taucherbrille, sie war schwerverletzt – hier gab es mehr als eine Höchstschwierigkeit. Dann waren da noch ihre Töchter an Deck, die sie soeben ‚getötet‘ hatten. Die würden sicherlich nachhelfen, falls sich die Tötung als Tötungsversuch herausgestellt haben sollte.
Die Frau tauchte zu dem Päckchen, das sie bewusst in eine helle Ummantelung einschlagen ließ. Ihr Sommerkleid umwehte geradezu mystisch ihre schönen Beine, aufgewirbelt durch das Wasser und ihre Schwimmbewegungen. Die Highheels hatte sie längst abgestreift, die sanken zu Boden des Hafenbeckens, schlugen sanft auf, wirbelten Schlick auf, versanken dann halb in ihm. Sie zerrte das Päckchen hervor, riss es auf. Sie war top in Form, trank selten, rauchte so gut wie nie, und doch ging ihr die Luft aus. Die Schmerzen spürte sie kaum noch. Gut. Eine Sorge weniger. Die Frau nestelte nach dem Inhalt des Päckchens, legte es frei, riss die letzten Fetzen der Verpackung weg, ärgerte sich darüber, dass es ihre ‚dienstbaren Geister‘ nahezu tödlich gut eingepackt hatten.
Aber sich ärgern kostet zusätzliche Luft!
Runterkommen, M ä dchen, runterkommen …
Als Trost dies: Falls sie es überleben sollte, würde sie sich ihre dienstbaren Geister nochmal vornehmen – gleichermaßen als Genugtuung wie Geldeinsparung. Wer es sich mit ihr verschiss, war so gut wie tot. Falls es sich nicht gerade um ihren Mann oder die beiden da oben handelte.
Sie hatte endlich den Inhalt von der Verpackung befreit. Noch etwas länger, und sie hätte sich nicht mehr tot zu stellen brauchen. Sie klemmte die Mitte des silbernen Röhrchens zwischen die Lippen und sog gierig ein. Sonderbares, blubberndes Zischen setzte ein, und es kam… nichts. Das war das Ende. Ein Ende als leichtbekleidete Leiche in einem Hafenbecken. Das sollte ihre Bestimmung sein? Mais non! Ihr war danach, das letzte Quäntchen Luft zum Schreien zu nutzen. Aus Angst? Weit gefehlt. Weder Verzweiflung noch Angst, sondern Ärger ergriff sie. Wenn sie schon mit einer Emotion sterben sollte, dann sollte es Wut sein. Halt! Nach dem dritten Zug kam etwas, nun immer mehr. Der Sauerstoffabscheider, der dem Wasser Sauerstoff entzog und für Luftatmer nutzbar machte, tat seinen Dienst. Dieses Behelfsmittel war noch im Erprobungsstadium, die US-Navy führte seit Jahrzehnten Versuche durch, von der Serienreife war es immer noch weit entfernt. Aber es funktionierte gut genug – hier und jetzt. Und es rettete ihr Leben. Hier und jetzt.
Das andere, was ihr Leben gerettet hatte, war eine Applikation auf ihrer Stirn. Sie atmete wieder, lebte wieder. Nun war es an der Zeit, auch das andere, was sie am Leben gehalten hatte und in dem das steckte, was sie ‚getötet hatte‘, von der Stirn zu reißen. Es tat weh, Blut schoss unter Wasser aus ihrer Stirn. Sie riss den Hitech-Überzug ab, der ebenso wie der Unterwasser-Atmer ein Prototyp war – Silikon, eine dicke Gummischicht, dann Kevlar, dann eine Schicht aus geflochtenem Stahldraht und schließlich wieder Gummi. Es sah absolut echt aus, kaum ein Unterschied zu ihrer natürlichen