Oskar trifft die Schwiegermutter. Jörgen Dingler

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Oskar trifft die Schwiegermutter - Jörgen Dingler

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hasste Änderungen des Plans, vermied Improvisation. Am meisten hasste sie aber, dass nun der neue, aus einer nur angeblich vertrauenswürdigen Quelle stammende Plastiksprengstoff zum Einsatz kommen musste. Die mit der blauen Strähne ließ es darauf ankommen. Sie nickte in Richtung Seitenwand. Direkt dahinter befand sich ein Badezimmer. Man musste nicht die zwischenzeitlich geschlossene, stabiler als die Wände erscheinende Metallzwischenwand überwinden, um reinzukommen.

       Einfach die Wand sprengen und wir kommen rein!

      Dann schnell die Zielperson schnappen, den Heli rufen, den der jüngere Halbbruder der beiden pilotierte… und weg!

      Es war riskant genug. Der Vorraum war zwar geräumig, aber Plastiksprengstoff hat eine sehr hohe Sprengkraft, die sich innerhalb dieses begrenzten Raumes gefährlich wichtig machen würde. Doch diese beiden jungen Frauen mit den geschwärzten Augenpartien waren alles andere als Weicheier. Einfach in die am weitesten entfernte Ecke gehen, sich wie Katzen einrollen, Mund etwas auf, Ohren zuhalten und zünden!

      Die mit der blauen Strähne griff in ihr Halfter und entnahm ein faustgroßes Stück Plastiksprengstoff. Beide hatten dieselbe Menge in ihrem Halfter… für alle Fälle. Sie begab sich zur Seitenwand, knetete die plastilinartige Masse an die Wand und entnahm als Letztes einen per Funk auslösbaren Zünder. Die mit der roten Strähne stand einige Meter von ihr entfernt und beobachtete sie mit einer Mischung aus Skepsis und Ungeduld. Skepsis, weil es sich um neues Material aus einer noch ungeprüften Quelle handelte, Ungeduld, weil bis jetzt schon einiges nicht nach Plan verlief.

      Sie wollte im selben Moment losschreien. Es gibt ganz sichere Gefühle, die man nicht erklären kann. Jetzt und hier trat so eins auf den Plan.

       Halt! Irgendwas stimmt hier nicht!

      Zu spät. Die zweibeinige Katze mit der blauen Strähne steckte soeben den Explosivzünder in die graue Masse. Als ein unsichtbarer zweiter Kontakt die ohne Zünder kaum gefährliche Knetmasse berührte, geschah, was erst in einigem Abstand per Druck auf den Auslöser erfolgen sollte. Dank blitzschnellem Auffassungsvermögen merkte, ja spürte sie, was passieren würde. Ihre außergewöhnlichen Reflexe ließen ihre stärkeren, der Wand näher seienden Glieder – als Rechtshänderin den rechten Arm und das rechte Bein – sich mit aller Wucht von der Wand abstoßen, die das Verheerende, das Zerstörerische trug. Zeitgleich riss sie ihren Kopf nach links, also Kopf und Gesicht soweit wie möglich vom Explosionsherd fort. Sekundenbruchteile später explodierte der Zünder – aus welchem verfickten Scheißgrund auch immer!

      Sie war geradezu übernatürlich schnell. Aber nicht schnell genug.

      In diesem Moment ließ der explodierende Zünder den eigentlichen Explosivstoff seiner Bestimmung nachgehen.

       Bummmmmm!

      ‚Explosion‘ ist ein schwaches Wort für das Inferno, das sich aus einem grellen Lichtblitz, einer unbeschreiblichen Wucht, die den Vorraum in Schallgeschwindigkeit durchflutete und einem überraschend aushaltbaren, weil dumpfen Knall zusammensetzte. Es war mehr der Druck, der die Ohren belastete, als der Klang. Der Sound klang nicht mal ‚gefährlich‘, schon gar nicht tödlich – wie ein extragroßer, kräftiger, basslastiger Silvesterkracher. Zudem hörten sie ihn nicht zum ersten Mal. Dennoch würden sie diesen Ton niemals in ihrem Leben vergessen. Niemals.

      Weniger aushaltbar war das, was die einige Meter entfernt Stehende erkennen konnte, bevor Reflexe ihre Augen schlossen und sie an die Wand gedrückt wurde: umherwirbelnde Körperteile.

      Noch weniger aushaltbar war dieses Szenario für diejenige, deren Körperteile umherwirbelten. Die, die am Explosionsherd gestanden hatte.

      Es war vorbei. War es vorbei? Die junge Frau ganz in Schwarz stützte sich auf alle Viere – Katze. Ihre schwarze, nun zerzauste Pagenkopfperücke mit der roten Haarsträhne bedeckte doch tatsächlich noch ihre zusammengesteckten echten Haare. Die Perücke wiederum war vom Staub der zerborstenen Wand bedeckt. Ihr Gesicht mit der geschwärzten Augenpartie war von Staub und Blutspritzern übersät. Ihre Ohren dröhnten – Tinnitus. Hören war also keine Option. Sehen, sie musste sehen! Sie öffnete vorsichtig ihre Augen. Es war dunkel. Nicht nur, dass die heruntergelassenen Metallzwischenwände das Licht aus dem Inneren abschirmten (das taten sie schon vor der Explosion), war nun auch jede Außenbeleuchtung erloschen, die zuvor durch die gläserne Seite des Vorraums geschienen hatte. Diese Glasfläche war nach wie vor intakt, was auf Panzerglas – zumindest dünneres – schließen ließ. Auch innen war alles dunkel… und scheinbar unbelebt, wie das Loch in der Mauer erkennen ließ. Die Explosion hätte Bewohner des Hauses auf den Plan gerufen.

      Sie lebte noch… und griff nach ihrem Multifunktionsgürtel, drückte mehrfach hintereinander auf den Knopf in der Mitte der Schnalle, drückte geradezu verzweifelt das Funksignal, auf das hin der Helikopter sie einsammeln sollte. Dann fingerte sie in Richtung der Stablampe.

      Die andere musste tot sein, keine Frage. Zum ersten Mal seit vielen Jahren zitterten ihre Finger. Zuletzt hatten ihre Finger gezittert, als ihr Vater von ihr erwartet hatte, dass sie das einstudierte Trapezkunststück bei der Generalprobe schaffen sollte. Davor hatte sie nicht einmal gezittert, als ihr Vater sie und ihre Schwester zum ersten Mal ganz mit nach oben genommen hatte. Da waren sie gerade mal sechs. Im Gegenteil – sie hatte sich sogar darauf gefreut. Aber jetzt zitterte sie wieder.

      Ihre Finger zerrten die Stablampe aus dem Gürtel – neue Technologie, LEDs. Sie schaltete sie ein. Nun zitterte sie erst recht.

       Sie muss tot sein!

      Ihre Schwester musste tot sein. Körperteile waren durch den Raum geflogen, große Körperteile. Es hatte ihre Schwester in Stücke gerissen.

      Das Rauschen in ihren Ohren ließ nach, das bislang vom Tinnitus übertönte Stöhnen wurde hörbar. Sie richtete ihre Stablampe in die Richtung, aus der sie die Laute vernahm, und robbte dort hin.

      Auf dem Boden lag ein blutendes Etwas, das mal ihre Schwester war. Sie ließ den Strahl der Stablampe flink und angstvoll über den am Boden liegenden Körper huschen. Und sie war weißgott nicht ängstlich. Der Körper war nicht mehr intakt, richtiger wäre: nicht mehr ganz.

      Nun wusste sie, dass sie in Sekundenbruchteilen richtig gesehen hatte. Bei der Explosion war nicht nur ein Arm, sondern auch ein Bein durch den Raum geflogen. Aber das war nicht alles. Die auf dem Boden liegenden Überreste dessen, was noch vor wenigen Minuten ihre geliebte, genau wie sie wunderschöne Schwester war, waren offensichtlich allem beraubt, was sich auf der Seite befunden hatte, die der Explosion näher war. Außer einem blutenden Stumpf unterhalb der rechten Schulter und der Entsprechung unterhalb des rechten Hüftgelenks, war auch die rechte Gesichtshälfte ein dunkler, blutiger Brei. Die schwarze Pagenkopfperücke mit der blauen Strähne hatte es ihr vom Kopf gerissen – wie ihre richtigen Haare, von denen nurmehr schwarze, verbrannte Stoppeln zeugten. Hätte sie nicht den Kopf nach links, also in der Kürze der Zeit so weit wie möglich von der Explosion fortgerissen, wäre hier kein Kopf mehr gewesen. Kaum zu glauben, dass dieses Horrorszenario trotzdem das unter diesen Umständen bestmögliche, nur mit unglaublichen Reflexen Erreichbare war.

      Das blutige, staubige, verstümmelte Etwas sah das naturgemäß nicht so. Den ebenfalls zerrissenen Lippen entwich in diesem Moment mehr als nur ein Stöhnen. Ein leises, kaum zu verstehendes

      »Töte mich.«

      Dieses Etwas, das auf dem Boden lag, und einmal ihre Schwester war…

      … war immer noch ihre Schwester.

      Weil es lebte.

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