Wie im Paradies. Klaus Melcher

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Wie im Paradies - Klaus Melcher

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ihren Stühlen, unfähig, sich zu bewegen. Selbst das Küchenpersonal, das seine Arbeit endlich abschließen wollte, wagte nicht, auch nur einen Laut zu geben.

      Als Preuss und Fromm sich endlich aufrafften und das Lesezimmer aufsuchten, taten sie es ganz leise, kaum hörbar für die anderen, und doch drehten sich alle Köpfe ihnen zu.

      „Gott bewahre, dass wir jemals so werden“, stöhnte Preuss.

      „Warst du eigentlich verheiratet?“

      Fromm verstand nicht.

      „Na, die beiden waren bestimmt nicht verheiratet, so verschroben wie sie sind. Früher hätte ich gesagt, sie sind nicht …“.

      Er hatte wohl bemerkt, dass seine Bemerkung nicht ganz fein sein würde und hatte sie gerade noch rechtzeitig verschluckt. Trotzdem hatte Fromm sie verstanden und nickte zustimmend.

      Natürlich konnte die Schrulligkeit der beiden auch andere Gründe haben.

      Aber Männer denken häufig etwas einseitig.

      8. Hennings Geschichten

      Natürlich war Fromm gespannt auf das Erscheinen der beiden Freundinnen am nächsten Morgen.

      Hatten sie sich zusammengerauft? Ließen sie sich noch die Verstimmung vom letzten Abend anmerken?

      Albern war das?

      Mag sein, doch so viel passierte hier nicht, dass man die kleine Abwechslung nicht dankbar wahrgenommen hätte.

      Er ging sogar fast eine halbe Stunde früher als gewöhnlich in den Speisesaal. Weil er heute besonders großen Hunger hätte, machte er sich vor.

      Er nahm sogar in Kauf, auf das Frühstücksbuffet warten zu müssen, denn es war natürlich noch nicht aufgebaut.

      Die Tür zur Küche öffnete sich, und der Küchenwagen, beladen mit Müslis, Milch, Marmeladen und Wurst, Brötchen und Brot wurde herein geschoben, hielt vor der langen Tafel, und dann begannen die Köchinnen damit, das Frühstücksbuffet herzurichten. Das geschah in ungeheurer Professionalität. Ruhig und präzis, wie nach einem unsichtbaren, aber sorgfältigen Plan.

      Von beiden Seiten der Tafel konnte man sich vorarbeiten.

      Ganz außen standen die Teller mit den Backwaren, drei Sorten Brötchen, leckeren weißen und gesunden hässlich gekörnten, die von ihm natürlich verschmäht wurden, Brot und Kuchenscheiben. Es folgten Butter und Margarine, Marmeladen und Honig. Fromms Betätigungsfeld waren die Aufschnittplatten mit verschiedenen Wurst- und Schinkensorten und mit Käse. Obst, Gemüse und Müslis bildeten den Abschluss, auf den er allerdings verzichtete.

      Und wenn er dann die Armen betrachtete, die sich zum Buffet schleppten, dann konnte er ohne Schwierigkeit vorhersagen, was sie wählen würden: ein Vollkornbrötchen, ein Schächtelchen Margarine, eine Tomate, zwei Gurkenscheiben, ein Schälchen Müsli mit etwas Magermilch und zum Abschluss eine Banane, vielleicht auch eine Clementine. Aber die war schon schwer verdaulich. Sie würde einem den halben Tag schwer im Magen liegen.

      Was hatten die Armen verbrochen, dass sie im Angesicht dieses Buffets sich so kasteiten?

      Gerade dachte er darüber nach, da öffnete sich die Tür, und die ersten Hungrigen betraten den Speisesaal. Der Oberst mit seinem Gefolge, das er immer um sich scharte, steuerte zielstrebig die Tafel an, machte wohl gerade einen Scherz, worauf die Damen dankbar lachten.

      Es folgten einige Eigenbrödler, die jede Form von Gesellschaft ablehnten und wie verbissen ihr Müsli selbst zusammenstellten, jede einzelne Rosine, jede Nuss genau abzählten und die Flocken genau dosierten, und die, die eigentlich nie auffielen, die Unscheinbaren, die grauen Mäuse, die, die froh waren, wenn man sie nicht beachtete und in Ruhe ließ.

      Und dann kamen sie.

      Aschgrau im Gesicht, betrat Emma Evers den Raum, schien ungeheure Mühe zu haben, ihre Füße über das Parkett zu heben, wurde von Anneliese Hohenstedt mehr geschoben, die sie wie am Abend zuvor am Arm hielt und sie zu ihrem Stuhl zu dirigieren versuchte.

      Sie war ein Bild des Jammers, das über das Parkett schlurfte und, sich auf der Tischkante vorsichtig abstützend, auf ihrem Stuhl zusammensank. Dort blieb sie reglos sitzen, hielt ihre Hände gefaltet und sah vor sich auf den Tisch.

      Nichts schien an sie heran zu dringen, nicht das leichte Geklapper, das einsetzte, als die ersten Bewohner sich am Buffet bedienten, nicht das Rücken der Stühle, auch nicht dass die Hohenstedt ihr den Teller, den sie für sie gefüllt hatte, fast auf die Hände knallte. Sie sah nicht einmal auf.

      Die Hohenstedt schob ihn weiter, gegen ihre Hände. Mechanisch nahm sie sie vom Tisch, sah unendlich müde ihre Freundin an, bevor sie wieder in ihre reglose Starre versank.

      Was war aus dieser Frau geworden?

      Sicher, Fromm kannte sie kaum, die wenigen Male, die er mit ihr gesprochen hatte, kann man nicht ‚kennen’ nennen. Und er hatte auch wenig Lust verspürt, sie kennen zu lernen. Beide, sie und ihre Freundin, hatten etwas an sich, das ihn störte.

      Doch jetzt tat sie ihm nur leid.

      Heimlich, damit sie es nicht merkte, beobachtete er sie, vergaß fast das Essen, beugte sich zu Gustav Preuss, um ihn auf das bedauernswerte Bild aufmerksam zu machen, aß nur mal einen Bissen, um seine Tarnung nicht aufzugeben.

      In Wirklichkeit sah er nur sie.

      Gut eine Viertelstunde saßen die beiden Frauen am Frühstückstisch, hatte sich die Hohenstedt dreimal nachgeholt. Sie hatte es aufgegeben, ihrer Freundin weiter zuzureden, es hatte ja doch keinen Sinn, und die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen schien sie schließlich ärgerlich zu machen.

      Akkurat faltete sie ihre Serviette und legte sie in ihre Serviettentasche, Frau Evers’ lag immer noch ungebraucht neben ihrem Teller.

      „Komm!“

      „Komm schon!“, wiederholte sie, als ihre Freundin nicht reagierte.

      „Mein Gott, bist du hier angewachsen?“ Jetzt war Frau Hohenstedt wirklich ärgerlich und fasste Frau Evers unsanft am Oberarm, so dass die zusammenzuckte, sich mühsam aufrichtete und ihren Stuhl so abrupt hinter sich schob, dass

      er fast umgefallen wäre.

      Einen Augenblick wandten sich aller Augen den beiden zu, erschrocken, ungläubig.

      Wie eine Gefangene schob Frau Hohenstedt ihre Freundin vor sich her, ohne jeden Anflug von Erbarmen.

      Erst als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, begannen zögernd wieder die Gespräche, klapperten wieder Geschirr und Bestecke.

      Als schließlich Anne und die anderen Schwestern und Pfleger den Speisesaal betraten, von Tisch zu Tisch gingen, den Alten freundlich in die Augen blickten, während sie fragten, ob sie Kaffee nachschenken dürften, da war der unerfreuliche Vorfall schon wieder vergessen.

      Zufrieden genoss Fromm sein zweites Croissant, stippte den kleinen Rest in seinen Kaffee, wartete einen Augenblick, bis er sich voll gesogen hatte und steckte ihn erst dann in den Mund. Dabei hielt er die Augen geschlossen,

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