Wie im Paradies. Klaus Melcher
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Wer sagte ihm, dass er hier bleiben wollte?
Er hatte eine schöne Wohnung, alle Geschäfte, Ärzte und was man in seinem Alter sonst noch so braucht, in unmittelbarer Nähe.
Warum sollte er wohl hier bleiben wollen?
„Hör zu, ich habe mit Dr. Freise gesprochen. Am Samstag kannst du wahrscheinlich das Krankenhaus verlassen.“
Er war also im Krankenhaus! Hatte er sich irgendwie schon gedacht.
Gerade wollte er fragen, in welchem Krankenhaus er war und warum, da unterbrach sein Sohn seine Gedanken.
„Aber in deine Wohnung kannst du natürlich nicht wieder zurück!“
Da war er wieder, so ein Tiefschlag, wie er ihn von seinem Sohn eigentlich hätte erwarten müssen.
Er wollte lautstark protestieren, schließlich bestimmte er immer noch selbst, wo er wohnte, da unterbrach ihn sein Sohn und hörte nicht auf zu reden, bevor er ihm in seiner unbestechlichen Logik auseinandergesetzt hatte, dass er unmöglich in seine alte Wohnung zurückkehren könnte. Er könnte die Verantwortung nicht übernehmen.
Als ob er das je getan hätte und er ihn darum gebeten hätte!
So ein Schlaganfall könnte jederzeit wieder kommen, und dann läge er unter Umständen tagelang alleine in der Wohnung, bis …
Fromm hatte also einen Schlaganfall erlitten!
„Hörst du mir überhaupt zu?“
Sein Sohn schien ärgerlicher geworden zu sein.
Er stand von dem Bettrand auf, auf den er sich gesetzt hatte, da kein Stuhl frei war, wandte sich zum Fenster und sah einen Augenblick in die Dunkelheit, gerade kurz genug, um seinen Vater nicht wieder zu Worte kommen zu lassen.
„Ich habe dir ein Appartement in der“, er zog einen Zettel aus der Tasche, entfaltete ihn und warf einen Blick darauf, „in der ‚Weserresidenz’ besorgt. Du wirst von hier direkt dorthin entlassen.“
Fromm wollte etwas sagen, wollte protestieren, ihn fragen, wie er dazu käme, über seinen Kopf hinweg zu entscheiden, wollte ihm Unfreundlichkeiten an den Kopf werfen, ihn beschimpfen, doch er kam nicht dazu.
„Das ist alles besprochen“, fuhr er fort. „Einige Möbel, der Lehnstuhl, die Barockkommode und der kleine Sekretär, deine Wäsche, soweit sie noch anständig ist, und einige Erinnerungsstücke sind schon drüben. Bett und Schrank stellt das Haus. Die Bilder habe ich in einen großen Karton gepackt, sie stehen im Lager. Der Hausmeister wird dir beim Aufhängen helfen.“
Er holte Luft, und Fromm nutzte die unerwartete Pause.
„Ich denke nicht daran, in dieses … - wie heißt es noch mal? – ist ja auch egal, in dieses Altersheim zu ziehen!“
Endlich hatte er es geschafft, hatte ihm seinen Willen unmissverständlich mitgeteilt.
Ein für allemal, er bestimmte selbst über sein Leben! Und wenn er in der Wohnung verrottete, war das allein seine Angelegenheit!
Ein süffisantes Lächeln umspielte die Lippen seines Sohnes.
Er gab sich noch nicht geschlagen. Er hatte noch einen Trumpf.
„Willst du auf der Straße sitzen?“, fragte er, und nach einer Weile, während derer er seinen Vater von der Seite beobachtete, setzte er fort: „Deine Wohnung ist nämlich gekündigt und ausgeräumt.“
Alexander Fromm hatte schon von ähnlichen Fällen gehört, hatte sie aber nicht ganz ernst genommen, denn das konnte ja nicht passieren, und wenn doch, dann musste schon Gravierendes vorgefallen sein. Er jedenfalls – da war er sich sicher – würde sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Man würde gar nicht erst wagen, ihn zu bevormunden.
Und nun offenbarte sein Sohn ihm so ganz nebenbei, was er für ihn geplant hatte.
Alexander Fromm hatte das Gefühl, in einem Aufzug zu sitzen, der in rasender Geschwindigkeit abwärts fuhr. Seine Beine wurden ihm fortgezogen, im Kopf rauschte es, und obgleich er nichts gegessen hatte, meinte er sich übergeben zu müssen.
Er musste wohl recht entgeistert ausgesehen haben, denn sein Sohn lachte.
„Siehst du, du hast gar keine andere Wahl. Ich wusste, was das Beste für dich ist, und habe es getan.
Also, du ziehst von hier direkt in die Residenz.“
Er zog einen bunten Prospekt hervor und legte ihn achtlos auf die Bettdecke.
„Du kannst dich ja schon mal vertraut machen. Du wirst sehen, es ist wie im Paradies.“
Er knöpfte seinen Mantel zu, nickte seinem Vater knapp zu und ging zur Tür, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Es gab für ihn keinen Grund, Liebe oder auch nur Verbundenheit zu heucheln.
Dass er trotzdem dieses sündhaft teure Heim gewählt hatte, war nur seiner eigenen gesellschaftlichen Stellung geschuldet.
Was hätten seine Bekannten und Kollegen von ihm gedacht, hätte er seinen Vater in irgendeinem Heim untergebracht!
Nein, es musste schon ein besonderes sein!
2. Willkommen im Paradies
Der Umzug in sein neues Zuhause gestaltete sich erstaunlich undramatisch.
Obgleich er absolut nicht einverstanden war mit dem, was sein Sohn über ihn verfügt hatte, leistete er keinen Widerstand, sondern ließ alles über sich ergehen.
Anfangs hatte er sich aufbäumen wollen, vermutlich ein letztes Mal in seinem Leben, hatte er etwas pathetisch gedacht, hätte vielleicht einen Tobsuchtsanfall simulieren können, aber dann wären die Männer mit den weißen Jacken gekommen und hätten ihn dorthin gebracht, wo er noch viel weniger gerne sein würde.
Auch Tabletten, in wenigen Tagen gesammelt und von anderen Patienten zusammengebettelt, würden ihm zu einem theatralischen Abgang verhelfen und vielleicht seinen Sohn in Schwierigkeiten bringen, doch das würde nur seine Freiheit ganz erheblich einschränken.
Das Altersheim – seien wir ehrlich und nennen das Kind beim Namen – würde ihm nicht erspart bleiben, auch wenn er sich noch so dagegen sträubte. Andere hatten für ihn die Entscheidung getroffen, und er würde unter ständiger Beobachtung stehen, wenn er Schwierigkeiten machte. Und er könnte es dem Personal nicht einmal verdenken.
Er könnte Essen und Trinken verweigern. Das würde ihm im Augenblick nicht einmal schwer fallen. Aber man würde ihn künstlich ernähren, und das war ihm noch mehr zuwider.
Und so saß er nun, nicht glücklich, aber doch gefasst auf dem Rücksitz eines Krankenfahrzeugs für Sitzendtransporte, wie es im Amtsdeutsch so schön heißt.
Die Innenstadt von Hannover hatten sie hinter sich gelassen, Linden erkannte er von früher, den Ricklinger Kreisel.
Dann