Wie im Paradies. Klaus Melcher
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Gerade wollte Fromm den warmen Duft, der ihrem Dekolletee entströmte, wie ein Ertrinkender in sich aufsaugen, da servierten sie das Hauptgericht, zwei Scheiben Rinderbraten in dicker brauner Sauce, ein Klacks Rotkohl, drei Kartoffeln.
„So ist das immer“, sagte der Nachbar und stocherte auf seinem Teller herum, schob das Fleisch von der einen Seite zur anderen, dass es von allen Seiten in der Sauce gebadet wurde.
„Erst machen sie einem den Mund wässrig, lassen einen in ihrem Duft baden, und dann das! Servieren nur Sauce.“
Er machte eine Pause, aus der die tiefste Enttäuschung sprach, derer ein Mensch fähig war.
„Können sie nicht endlich mal das Versprechen einlösen?“
Sein Nachbar nickte mit dem Kopf in die Richtung, in der sich die letzte Serviererin entfernte.
Auch sie ging kerzengerade, kaum merklich schwangen ihre Hüften, und dann wurde sie von der Küchentür verschlungen.
„Dafür nehme ich selbst das Essen in Kauf“, sagte er, und nach einer Weile fuhr er fort: „Und auch all das andere hier.“
Während Fromm noch überlegte, was sein Nachbar wohl gemeint hatte, sagte er: „Ich heiße übrigens Gustav Preuss.“
Während das Geschirr klappernd wieder abgeräumt wurde und in der Küche verschwand und man auf den Nachtisch wartete, den Höhepunkt fast jeden Mittagessens, begannen die ersten leisen Gespräche. Jetzt hatte man Zeit, verpasste nichts, auch nicht den Nachschlag, der gerne gewährt wurde.
Man wartete geduldig und voller Erwartung.
Augenblicklich verstummte das Raunen im Speisesaal, als die Wagen, voll beladen mit den Dessertschälchen, herein geschoben wurden.
„Bestimmt wieder Vanillepudding mit Schokoladensauce“, mutmaßte Gustav Preuss, „vielleicht auch mit Obst aus der Dose. - Ganz besonders lecker sind die tiefgefrorenen Himbeeren. Aber die gibt es nur an besonderen Feiertagen.“
Sehnsüchtig sah er ihrer zuständigen Serviererin entgegen, und der Grund war jetzt sicher Vanillepudding und nicht die überhaus süße kleine Person, die ihn servierte.
Als Fromm sah, wie verzückt sein Nachbar diese alberne Nachspeise genoss, schob er ihm sein Schälchen zu.
„Ich bin Alexander“, sagte er wie zur Entschuldigung oder Begründung.
„Gustav“, stellte Preuss sich noch einmal vor und zog den Teller zu sich heran.
Nachdem er auch seinen zweiten Pudding verschlugen hatte, legte er seinen Teelöffel in das leere Schälchen, wischte sich den Mund und verstaute die sorgfältig zusammengefaltete Serviette in der Serviettentasche.
Mit einer weit ausholenden Geste, die den ganzen Speisesaal umfasste, wandte er sich wieder Fromm zu.
„Sehen Sie sich in diesem Raum mal um. Was sehen Sie hier?“
Als Fromm nicht gleich antwortete, fuhr er fort: „Lauter alte Leute, alle fast scheintot. Und warum sind hier lauter Gruftis? Weil wir nicht mehr in der Gesellschaft der Jungen gelitten sind. Früher, ja, da waren wir willkommen, als sie uns brauchten. Aber jetzt machen wir nur Umstände, und sie haben für uns einen Platz gesucht weit ab vom Schuss.“
Er lachte bitter.
„Wir sollen einen schönen Lebensabend haben, sagen sie, und das hier wäre wie ein Paradies, gerade richtig für uns, wir hätten uns das schließlich verdient. Aber ganz ehrlich, in Wirklichkeit geht es denen nur darum, dass wir auch beim Sterben keine Umstände machen.“
Ob Alexander Fromm hier bleiben würde, würde sich noch zeigen.
Noch jedenfalls war er nicht davon überzeugt.
Und nur die hübschen Serviererinnen anzustarren, war zwar reizend, aber ob das auf die Dauer ausreichen würde?
3. Der Sinn des Lebens
Als Fromm in sein Zimmer zurückkehrte, erwartete ihn eine Überraschung. Auf dem Tisch standen eine Schale mit etwas Obst, eine Flasche Wasser und vor allem eine reich bebilderte Broschüre mit dem Titel ‚Weserresidenz – Das Paradies im Weserbogen’.
Er setzte sich in seinen Lehnstuhl und schlug das Heft auf. Hübsche farbige Bilder vom Haus, einem ehemaligen Schloss, mit einigen ansehnlichen Nebengebäuden, die wie um einen kleinen Dorfplatz gruppiert waren, und dem Schlosspark sollten Lust auf Entdeckungen wecken.
Gerade hatte er das Heft zur Seite gelegt und wollte ein wenig die Augen schließen, da klopfte es, und die nette Pflegerin betrat das Zimmer.
„Darf ich Ihnen beim Aufhängen der Bilder helfen?“
Sie bemerkte, dass sie offensichtlich störte, hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, stammelte eine Entschuldigung und wollte schon wieder gehen, als Fromm sie – gerade noch rechtzeitig – bat, doch zu bleiben.
Natürlich wäre er ihr dankbar, wenn sie ihm helfen würde, versicherte er ihr. Er hätte zwei linke Hände, hätte noch nie einen Nagel gerade in die Wand bekommen, ohne dass die halbe Wand anschließend gespachtelt und übergestrichen werden musste, und was man dergleichen für Albernheiten sagt, maßlose Übertreibungen, die niemand ernst nimmt und die deshalb vom eigenen Unvermögen ablenken sollen.
Sie machte ihre Arbeit gut, viel besser als er es geschafft hätte.
Hatte sie einmal einen Nagel angesetzt, fixierte sie ihn mit einem doppelten vorsichtigen Pinkern und trieb ihn anschließend mit drei weiteren Schlägen tiefer in die Wand, ohne dass ein Krater rund um ihn heraus brach.
Es war eine Freude, ihr zuzusehen.
„Sie sollten mal das Haus erkunden“, schlug sie vor, als sie auch noch die Bilder aufgehängt hatte, „wenn Sie sich wieder stark genug fühlen.“
Stark genug! Als ob er etwa erschöpft wäre! Sah sie nicht, dass er topfit war?
„Lohnt es denn?“, fragte er und versuchte sich seine leichte Verärgerung nicht anmerken zu lassen.
Sie sah ihn von der Seite an, etwas spitzbübisch, wie ihm schien, aber das konnte er sich auch einbilden. So eine Tochter oder Enkeltochter hätte er sich gewünscht.
Praktisch, zupackend und doch sehr, sehr weiblich.
Und was hatte er?
Einen kaltherzigen Stiesel von Sohn, für den nichts zählte als der berufliche Erfolg, der auf der ständigen Jagd nach Erfolg alles Menschliche verloren hatte, wenn er es überhaupt jemals besessen hatte.
„Na, wie wär’s?“, unterbrach sie Fromms Gedanken.
Schlafen konnte er auch nachher. Die Chance, in netter Begleitung das Haus zu erkunden, kam vielleicht nie wieder.
Das Haus war weitläufiger als