Wie im Paradies. Klaus Melcher

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Wie im Paradies - Klaus Melcher

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      Am dritten Tag machte Fromm sich ernsthafte Sorgen. Was lässt jemanden mit einem Brauch brechen, der wichtiger Bestandteil seines Lebens ist?

      Er suchte ihn in seinem Appartement auf.

      Als er auf sein Klopfen nur ein leises Gemurmel hörte, interpretierte er es als „Herein!“ und öffnete die Tür.

      Preuss saß in einer Art Liegesessel, der vor seinem laufenden Fernsehapparat stand, und schlief. Den Ton hatte er abgeschaltet, sein Kopf war etwas vornüber geneigt, der Mund war albern geöffnet, und ihm entströmten regelmäßige, tiefe Schnarchtöne.

      Obgleich Fromm es kaum für möglich hielt, musste er ihn geweckt haben, denn Preuss schreckte hoch, riss die Augen auf, und sein Schnarchen brach augenblicklich ab.

      „Entschuldigung“, stotterte Fromm, „ich hatte angeklopft und hatte gemeint, Sie hätten ‚Herein!’ gerufen.“

      Er wollte sich möglichst schnell und diskret zurückziehen, aber Preuss rief ihn zurück.

      „Ich habe mir Sorgen gemacht“, sagte Fromm und nahm den angebotenen Platz auf dem kleinen Sofa gerne an. Es befand sich an der Stelle, an der in seinem Zimmer die Kommode stand, und man hatte von hier einen wirklich schönen Blick in den winterlichen Park und über die angrenzenden Felder mit ihren weiß gepuderten Wegen.

      „Sie haben es schön hier“, sagte Fromm und sah sich erst jetzt in Preuss’ Appartement um.

      Es hatte den gleichen Zuschnitt wie Fromms, auch die hauseigene Möblierung unterschied sich nicht von seiner. Der einzige Unterschied waren die Sitzecke und der doppelt so große Tisch an Stelle seines Sekretärs.

      „Entschuldigen Sie die Unordnung, aber ich war auf Besuch nicht vorbereitet“, sagte Preuss und zeigte auf die rechte Tischhälfte, auf der tatsächlich ein wildes Durcheinander von Notebook, Büchern, Zetteln und Schreibstiften herrschte. Und zwischen allem stand eine leere Tasse mit altem Kaffeerand und dicker Zuckerkruste. Sie stammte nicht von heute, das sah man auf einen Blick.

      „Sie sind heute nicht zum Kaffee gekommen. Geht es Ihnen nicht gut?“, begründete Fromm seinen Besuch.

      „Doch, doch. Aber ich habe keine rechte Freude mehr daran.“

      Er schien traurig.

      „Wissen Sie, das klingt albern, das weiß ich, aber dieser Vorfall damals - Sie wissen? – hat mir den Spaß verdorben.“

      Er machte eine Pause, als überlegte er, wie weit er seinen Besucher einweihen sollte.

      Er stand auf, nahm die Kaffeetasse vom Tisch und ging mit ihr in die Kitchenette.

      Einen Augenblick hantierte er dort. Klapperte mit Geschirr, setzte Wasser zum Kochen auf, und als es blubberte, goss er es in eine French Press, die er schon vorbereitet zu haben schien.

      „Trinken Sie ihn mit Milch und Zucker?“ fragte er, als er die beiden Tassen auf den Tisch stellte.

      Die Frage erübrigte sich eigentlich, lange genug waren sie schon Tischnachbarn. Er stellte trotzdem beides auf den Tisch.

      Nachdem er den Kaffee durchgedrückt hatte, so dass der feste Kaffeesatz am Boden klebte, schenkte er ein.

      Der Kaffee war köstlich! Nicht zu vergleichen mit der Brühe, die sie hier bekamen.

      „Der kommt aus Costa Rica“, sagte er leise, fast bescheiden, als er sah, wie sein Gast die ersten Schlucke genoss.

      „Und woher bekommt man den?“

      Preuss lachte.

      „Nicht aus dem Supermarkt!

      Früher, als ich noch selber Reisen machen konnte, ich meine, so richtige, weite, da habe ich ihn mitgebracht. Später meine Kinder, aber dann haben sie nur Länder ‚gemacht’. So nannten sie es tatsächlich. Sie reisten nicht mehr nach Costa Rica oder Venezuela, sie machten diese Länder. Und noch später lagen sie nur noch an den Stränden, Domrep, Malediven und wo man sonst in der Sonne unter Palmen für viel Geld braten kann. Da gab es natürlich nicht diesen Kaffee.

      Jetzt bekommen ich ihn von einem Kaffeekontor in Hamburg.“

      Er machte eine Pause, nahm wieder einen kleinen Schluck und schloss genießerisch die Augen.

      „Ist der nicht himmlisch?“, fragte er noch ganz verzückt. „Das ist mein kleines Extra. Immer nur eine Tasse am Tag. Und dazu gibt es auch nie Kekse oder Kuchen. Den muss man so genießen.“

      Zwar fand Fromm, dass Preuss etwas viel Theater um diesen Kaffee machte, schon die ganze Prozedur wäre ihm zu aufwändig, doch wenn er sie als Teil des Genusses betrachtete, war sie den Zeitaufwand sicher wert. Und Zeit hatten sie alle hier im Überfluss.

      Heimlich sah Fromm auf die Uhr.

      Er wollte nicht unhöflich sein. Er selbst hasste es, wenn Besuch, noch dazu ungeladener, kein Ende fand.

      Preuss schien es nicht so zu empfinden. Er genoss wohl nicht nur seinen Kaffee, sondern auch den Besuch.

      Nur einmal stand er auf, um den Kaffeesatz aus der Kanne zu kratzen und in den Mülleimer zu werfen, neues Kaffeepulver einzufüllen und kochendes Wasser aufzugießen.

      Mit der Kanne in der Hand kehrte er zum Tisch zurück, ließ die braune Brühe eine Weile ziehen, bis er die metallene Filterscheibe ganz langsam auf den Kannenboden drückte.

      „So“, sagte er, „dann wollen wir noch mal.“

      Beinahe hätten sie das Abendessen verpasst, so angeregt unterhielten sie sich. Schließlich wusste Fromm von ihm, dass er fünfundachtzig Jahre alt und dass seine Frau vor fünf Jahren gestorben war und dass seine Kinder ihn in dieses Haus ‚gesteckt’ hätten.

      Er gäbe ja zu, dass ihre zwei letzten Ehejahre sehr schwierig gewesen wären und ihn arg belastet hätten, aber verrückt wie seine Kinder ihn gerne gemacht hätten, wäre er nicht gewesen.

      „Wenn du nicht willst, dass du ein richtiger Pflegefall wirst und wir dich schließlich nur noch in Wunstorf unterbringen können, weil dich in deinem Zustand niemand mehr nimmt, dann willige ein, in ein Heim zu gehen“, hätten sie gesagt und ein sehr besorgtes Gesicht gemacht.

      Warum es unbedingt so ein Kaff an der Weser sein müsste, in Hannover gäbe es doch auch sehr gute Altenheime, und da hätte er wenigstens noch seine vertraute Umgebung, hatte er eingewandt.

      „Genau das wollen wir vermeiden. Du musst in eine ganz neue Umgebung“, hätten sie wie aus einem Mund geantwortet.

      Dagegen war er machtlos.

      Aber er vermutete, sie wollten nur Geld sparen. Die Heime, an die er gedacht hätte, wären nun einmal sündhaft teuer.

      „Leisten“, sagte er, „könnte ich mir die. Aber dann bleibt nicht so viel vom Erbe übrig.

      Und damit ich nicht zu viel ausgebe, teilen sie mir mein Taschengeld zu.

      Können Sie sich das vorstellen, Ihre Kinder gewähren Ihnen von Ihrem eigenen Geld ein Taschengeld?

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