Angie: Es geschah auf dem Heimweg. Christine Lamberty
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Angie klopfte an die Bürotür von Herrn Schober und trat ein. „Guten Tag. Ich bin Angie Möller. Sie suchten nach mir?“ „Bitte, nimm Platz. Auch ich möchte dich herzlich willkommen heißen. Die Begrüßungsmappe wurde dir schon ausgehändigt. Lass dir erklären wie der Unterricht hier abläuft. Uschi und Barbara werden separat unterrichtet, weil sie kurz vor dem Abitur stehen. Alle anderen unterrichten wir trotz eurem unterschiedlichen Level zusammen. Es wird am Anfang ungewöhnlich für dich sein, aber mit der Zeit erkennst du, dass es bestens funktioniert. Ihr lernt intensiver, im Gegensatz zu einer regulären Schule, weil wir in der Lage sind, uns persönlicher um jeden Einzelnen zu kümmern. Wir berücksichtigen eurer Schwangerschaft und beachten eure Ruhepausen. Genieße den Rest des Tages und morgen nach dem Frühstück geht es los! Wenn du außerhalb der Essenszeiten Hunger verspürst, findest du etwas in der Küche, sie ist gleich neben dem Speisesaal.“
Mit einem Glas Orangensaft in der Hand erkundete Angie das Haus. Bei ihrem ersten Rundgang mit Frau Groß, war sie viel zu aufgeregt, um sich alles zu merken. Die meisten Räume im Untergeschoss kannte sie: den Speisesaal, die Küche, das Büro von Frau Groß, das Lehrerzimmer, in dem sie mit Herr Schober gesprochen hatte. Sie entdeckte drei weitere Räume. Aus einem hörte sie Stimmen, die anderen standen offen und sie sah Schreibpulte. Das sah nach Klassenzimmer aus. Sie folgte der Treppe nach unten und stand in einem Gymnastikraum mit allen erdenklichen Sportgeräten. Durch eine Glastür gelangte man ins Schwimmbad. In den beiden oberen Etagen lagen die Zimmer der Heimbewohner. Zurück in ihrem Zimmer schaute sie hinaus in den Park. Nach langer Zeit fühlte sie sich zum ersten Mal ruhig und entspannt. Sie setzte sich an den Schreibtisch und las in ihrer Broschüre.
Der Stundenplan erschien ihr auf den ersten Blick sehr umfangreich, und sie hoffte, dem Lehrstoff gewachsen zu sein. Nach dem Abendessen trafen sich alle im Gemeinschaftsraum. Erneut bombardierten sie Angie mit Fragen. „Wie ist es passiert? Wann hast du es bemerkt?“ Ihre Neugier kannte keine Grenzen. Wie bereits am Mittag, zeigte Angie wenig Verlangen, ihre Fragen zu beantworten. Sie ließen nicht locker und bohrten immer weiter. Des lieben Frieden Willens gab sie sich geschlagen. Kurz und bündig sagte sie: „Auf der Geburtstagsparty meiner Freundin lernte ich einen Jungen kennen. Er war sehr süß und gefiel mir auf Anhieb. Wir tanzten und unterhielten uns prächtig. Irgendwann gingen wir in den Garten und es passierte. Am nächsten Tag erinnerte ich mich an nichts mehr. Wir hatten beide zu viel getrunken. Zu spät bemerkte ich die Folgen dieser Nacht. Jetzt bin ich hier gelandet.“ Fassungslos, wie sie reagierten, stockte Angie der Atem. Sie grinsten und gemeinsam wie im Chor, sprudelte es aus ihnen heraus: „Genau wie bei mir.“ Marlies senkte ihren Blick und schämte sich für das Verhalten der anderen. Außer Marlies wirkten sie auf Angie wie frühreife Lolitas. Aufgewühlt ging sie in ihr Zimmer.
Mittlerweile lebte sie seit zwei Monaten hier. Nach ersten Anfangsschwierigkeiten gewöhnte sie sich an die Form des Unterrichts. Die Art, wie die Lehrer unterrichteten, begeisterte sie. Positive stellte sie fest, dass sie in kürzester Zeit wesentlich mehr und effektiver lernte. Ihre Eltern hatten sie bis jetzt kein einziges Mal besucht. Angies Enttäuschung wuchs zunehmend. Besonders weil die anderen jedes Wochenende Besuch bekamen, und sie nur einen Anruf erhielt. Enge Freundschaften bildeten sich hier keine, weil sich ihre Wege schnell wieder trennten. Einmal versuchte sie mit ihnen über Adoption zu sprechen. Es interessierte Angie, von ihnen zu erfahren, was sie bei dem Gedanken empfanden, ihre Babys fortzugeben. Bei diesem Thema stieß sie auf Ablehnung. Ihr Ziel lag nur darin, schnellstens die unangenehme Angelegenheit hinter sich zu bringen, um in ihr gewohntes Leben zurückzukehren. Angie verstand ihre Gefühllosigkeit nicht.
Nach dieser Episode zog sie sich zurück und vergrub sich in ihre Bücher. Marlies, die einzige mit der sie vernünftig reden konnte, war leider nicht mehr hier. Sie erlitt, traurigerweise oder besser gesagt glücklicherweise, eine Fehlgeburt. Angie sehnte sich nach Stella. Mit ihr hätte sie sprechen können. Sie telefonierten einige Male, aber das war nicht das Gleiche.
Der Unterricht gefiel Angie inzwischen so gut, dass in ihr die Idee reifte, bis zum Abitur in ein Internat zu gehen. Was erwartete sie zu Hause? Ihre Eltern würden sich nicht ändern. In der Schule müsste sie viele Fragen über sich ergehen lassen. In einem Internat würde niemand ihre Vergangenheit kennen und der Unterricht wäre so ähnlich wie hier. Natürlich mit größeren Klassen. Sicher würde sie dort auch eine Freundin finden.
Sie suchte Herrn Schober in seinem Büro auf um sich zu erkundigen, was es für Möglichkeiten gäbe. Er befürwortete ihre Idee und fragte, ob sie bereits ein Berufsziel ins Auge gefasst habe? „Ja, es schwirrt mir seit langem durch den Kopf. Meine eigene Lage hat mich praktisch mit der Nase drauf gestoßen. Ich habe den Fehler begangen, mich niemandem anzuvertrauen, weil ich mich hilflos und allein fühlte. Aus diesem Grunde hege ich den Wunsch Psychologie zu studieren, um später mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Besonders liegt mir am Herzen, jungen Mädchen zu helfen.“
„Das hört sich nach konkreten Zielen und äußerst erwachsen an. In deinem Fall empfehle ich dir das Internat in Zürich. Nach dem Abitur hättest du die Möglichkeit, auch dein Studium hier zu absolvieren. Wenn es dir recht ist, besorge ich dir einige Unterlagen. Dann siehst du selber, was dir zusagt. Wie stehen deine Eltern zu deinen Plänen?“ „Sie wissen es noch nicht.“ „Wenn ich richtig informiert bin, wurde für Ende Juli, der Geburtstermin deines Babys ausgerechnet. Ein günstiger Zeitpunkt. Dir bleibt ein Monat zum Regenerieren und im September könntest du ins Internat gehen, vorausgesetzt deine Eltern hegen keine Einwände.“ „Danke, dass sie mir helfen.“ Nachdem Angie das Büro verlassen hatte, blieb er an seinem Schreibtisch sitzen und dachte über sie nach. Ihr nettes unverdorbenes Wesen stand im Gegensatz zu den meisten, der anderen Bewohnern. Seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass irgendetwas nicht passte, das ausgerechnet sie in solch eine Lage geraten war.
Einige Tage später bekam Angie eine Mappe mit Unterlagen von verschiedenen Internaten. Ihre Wahl fiel auf das Internat in Zürich. Es lag, genau wie hier, in einer Parkanlage und wurde bereits 1875 als höhere Töchterschule gegründet. Ihre Entscheidung teilte sie Herrn Schober mit, der umgehend Kontakt mit dem Sekretariat aufnahm und eine positive Antwort erhielt. Für das neue Schuljahr standen noch zwei Plätze zur Verfügung. Angie lief zurück in ihr Zimmer und schrieb einen Brief an ihre Eltern.
Liebe Eltern,
ich verstehe, dass ihr Verpflichtungen habt und es bis jetzt nicht in euren Zeitplan passte, mich zu besuchen. Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Ab und zu ist mir übel, und ich werde immer runder. In den vergangenen Wochen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Trotz der Umstände fühle ich mich hier sehr wohl. Besonders gefällt mir die Art des Unterrichts. Das führte mich zu folgendem Entschluss. Ich beabsichtige in der Schweiz zu bleiben und bis zum Abitur auf ein Internat gehen. Das ist der Anlass meines Schreibens. Alle Unterlagen und ein Antragsformular lege ich bei. Ich bitte euch mir diesen Wunsch zu erfüllen und den Antrag an das Internat zurück zu schicken.
Ich danke euch im voraus.
Viele Grüße Angie
Angie begegnete Frau Groß auf dem Flur und bat sie den Brief für sie aufzugeben. Mit einer selbstverständlichen Geste nahm sie den Brief entgegen. Manchmal blutete ihr Herz, wenn sie über die Ungerechtigkeit im Leben nachdachte. Warum musste ein liebenswertes