Orte des Grauens. Karin Szivatz

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Orte des Grauens - Karin Szivatz

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das gleiche Bild. Ihre weiße Bluse wies einen roten Fleck in der Größe eines Fleischtellers auf, doch das Blut strömte nicht nur aus der Nase sondern jetzt auch aus ihren Ohren, den Augenwinkeln und aus ihrem Mund.

      Martha sprang hektisch auf und wollte von den beiden Blutmonstern weg, doch sie erstarrte inmitten ihrer Bewegung und hielt ihre eigenen blutigen Hände vors Gesicht. Fassungslos fixierte sie für einen Moment die Hände, dann ihr Kleid. Auch hier prangte ein dunkler Fleck. In diesem Moment kreischten und schrieen rund einhunderttausend alte Menschen in dem Stadion in blinder Panik, sodass eine Welle des Entsetzens und des Schmerzes über das Stadion hinwegrollte und sich über die Ränder nach draußen ergoss.

      Die Angehörigen sahen in den Himmel und waren eine Sekunde lang erstarrt, als sie das Wehklagen ihrer Lieben hörten. Dann kam Bewegung in die Masse, die sich von allen Seiten auf die Tore des Stadions stürzte. Die Leute hämmerten mit Fäusten gegen die Eisenwände, versuchten, durch versperrte Notausgänge ins Innere des Stadions zu gelangen oder an den Wänden hochzuklettern, doch sie alle trugen lediglich Schürfwunden und blutige, abgerissene Fingernägel davon.

      In der Notrufzentrale der Stadt brach das Netz zusammen, weil Zehntausende den Notruf gewählt hatten um Hilfe für die Menschen im Stadion zu erbitten. Gleich nach dem ersten Anruf waren alle verfügbaren Kranken- und Feuerwehrwagen losgeschickt und von den umliegenden Gemeinden Verstärkung angefordert worden. Dass die meisten Fahrzeuge davon im Verkehrsinfarkt feststeckten, war eigentlich nicht von Bedeutung.

      Während die Folgetonhörner der Einsatzfahrzeuge die Straßen mit ihren durchdringenden Tönen füllten, die Angehörigen vor dem Stadion brüllten, schrieen und klagten, floss im Inneren des oben offenen Gebäudes Blut aus jeder Nase, jedem Mund, jedem Ohr, jedem Auge, jedem Anus, jeder Harnröhre und jeder Scheide. Die alten Männer und Frauen krümmten sich schmerzerfüllt am Boden, kratzten mit den Fingernägeln an den mit Eisen bewährten Toren zur Freiheit, klammerten sich völlig verängstigt an ihre Sitznachbarn und schlugen in wilder Panik und Hilflosigkeit wahllos Köpfe ein. Sie rissen die Stühle aus der Verankerung und schlugen auf jene Menschen ein, die sich in der Nähe der Tore befanden.

      Handtaschen wurden als verlängerte Arme missbraucht und fremde Gesichter mit den Fingernägeln zerkratzt. Sie alle bluteten aus jeder einzelnen Körperöffnung und schon bald lagen viele am Rücken und röchelten; roter Schaum blubberte dabei auf ihren trockenen, rissigen Lippen und floss nach einem kurzen Todeskampf nur noch träge aus dem leblosen Mund.

      Jene, die noch imstande waren zu gehen oder zu laufen, trampelten rücksichtslos auf den Sterbenden und Toten herum um zu einem der Ausgänge zu gelangen. Dort erhofften sie sich Hilfe und Schutz. Manche beteten zur ihrem Gott, manche haderten mit dem Tod, manche fluchten lautstark, die meisten schrieen und weinten, aber alle erlitten einen grausamen Tod.

      Rund zehn Minuten, nachdem die erste Blutfontäne aus der Nase des alten Mannes gespritzt war, ebbten die verzweifelten Schreie langsam ab und nach gut dreizehn Minuten herrschte völlige Stille im Stadion. Lediglich die vom Blutgeruch angelockten Fliegen summten ihr Festmahllied.

      Als endlich die Feuerwehren mit ihren Äxten und Schneidebrennern eintrafen, lagen die meisten Angehörigen auf den Knien und brüllten ihren Schmerz in den Asphalt oder Himmel. Andere wiederum saßen stumm an der Mauer, die sie zu erklimmen versucht hatten. Nur sehr wenige waren noch fähig, zumindest ein paar verständliche Worte hervorzubringen.

      Die Feuerwehr machte sich sofort mit ihrem Gerät an die Arbeit um die Tore zu öffnen und als es erledigt war, sperrte die Polizei diese sofort ab. Keiner der Angehörigen sollte in das Stadion gelangen, ehe nicht Klarheit herrschte, was dort drinnen vor sich gegangen war. Es war zum Tatort erklärt worden; noch dazu sollten die Angehörigen dieses Grauen nicht zu sehen bekommen. Doch die aufgebrachte Meute stieß die Polizisten einfach zur Seite und trampelte in Sorge um ihre Lieben über sie hinweg.

      Wie ein Wasserschwall ergossen sich die Menschenmassen an jedem Tor in das Stadion, doch die Ersten blieben abrupt stehen und hielten damit die Nachkommenden auf. Sie blickten auf eine Stätte, die mit einem Stadion nichts mehr gemeinsam hatte sondern nur noch einem brutalen Schlachthaus glich.

      Die wenigen grünen Flecken des ehemals saftigen Rasens in der Mitte waren mit Gebissprothesen, Arm- und Beinteilen, Brillen und Erbrochenem übersät. Überall lagen blutrote Leichen, die sich zum Teil aufgelöst hatten, die von panischen Füßen zertrampelt waren und denen die Köpfe eingeschlagen wurden. Außer den Fliegen, die sich über den Festschmaus hermachten, bewegten sich nur vereinzelte weiße Haare in der lauen Sommerbrise.

      Die meisten der Angehörigen in den ersten Reihen mussten sich sofort übergeben und versuchten sogleich, wieder nach draußen zu gelangen. Der Anblick raubte ihnen beinahe den Verstand. Auch die Notärzte und Sanitäter standen hilflos, beklommen, schockiert und völlig ratlos an den Toren. Niemand wagte sich in diese Stätte des Grauens vor.

      Um so rasch als möglich der Lage Herr zu werden hatte der Bürgermeister sieben Einheiten des Bundesheeres angefordert. Sie errichteten Schutzzäune rund um das Stadion und schafften die Angehörigen mühsam aus der Sperrzone.

      Die Soldaten mussten bei jeder noch so verstümmelten Leiche einen Ausweise zur Identifizierung suchen und sie anschließend in schwarze Plastiksäcke stecken. Jene ohne Ausweis wurden, nach Männern und Frauen getrennt, auf ein nahes Fußballfeld gelegt. Dort mussten die Angehörigen ihre Lieben aus tausenden von Leichen heraus picken und identifizieren. Die Soldaten übergaben sich beim Anblick der halb aufgelösten Leichen ebenso wie die Ärzte und die Angehörigen. Das Kriseninterventionszentrum schickte Psychologen um den traumatisierten Menschen beizustehen, doch sie selbst stießen sehr rasch an ihre Grenzen.

      Drei der besten Pathologen der Umgebung wurden vom Bürgermeister an den Ort des Grauens gerufen um eine erste Einschätzung der Todesursache abzugeben. Sie alle waren sich einig, dass es sich dabei nur um ein chemisches Gift handeln könnte, das seine Wirkung extrem rasch entfaltete. Genaue Angaben könnten sie erst nach ein paar Labortests und Obduktionen machen.

      Örtliche Fernsehsender übertrugen Liveberichte von dieser Tragödie unfassbaren Ausmaßes im Fernsehen, doch gleichzeitig wurde von mehreren landesweiten Sendern von einem gleichen Ereignis berichtet. In etlichen Städten des Landes spielte sich zur gleichen Zeit die gleiche Tragödie in den größten Stadien ab. Dobal Pharmaceuticals hatte zu jeder einzelnen Veranstaltung viele tausende Alzheimerpatienten und Patienten mit Demenz eingeladen. Jedem wurde ein neues Medikament zur Heilung versprochen, doch die alten Menschen hatten nur einen grausamen Tod gefunden.

      Während Tod und Leid sich über viele Städte des Landes wie ein Leichentuch legte, rechnete einer der führenden Politiker die Zahl der Toten zusammen. Er kam auf eine knappe Million landesweit. Er grinste, dann setzte er seine Rechnung schriftlich fort und murmelte die Zahlen vor sich hin:

      „Also:

      Durchschnittliche Pension 1000,-

      Durchschnittlicher Pflegebeitrag 1200,-

      Durchschnittliche Behandlungskosten

      400,-

      pro Person und Monat.

      Das ergibt 2600,- pro Person und Monat, mal eine Million Erkrankte macht rund 2.600.000.000 pro Monat. Und bei einer durchschnittlichen Lebensdauer von zehn Jahren bei Alzheimer und Demenz kommen wir auf eine Ersparnis von beinahe genau 31.200.000.000,-

      Abzüglich der Kosten für die Scheinfirma Dobal Pharmaceuticals in Höhe von 20.000.000,- macht noch immer einen recht satten Reingewinn für die Staatskasse.“

      Mehr als zufrieden lehnte er sich zurück, rieb sich erfreut die Hände und nippte

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