Ymirs Rolle. Gisela Schaefer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ymirs Rolle - Gisela Schaefer страница 3

Ymirs Rolle - Gisela Schaefer

Скачать книгу

auf, als er sich an die freundlich grinsenden Wesen mit den gütigen Augen erinnerte, die trotz aller Bemühungen seines Vaters dabei herauskamen.

       Nicht, dass Skadi nicht schnitzen konnte, im Gegenteil, selbst die kompliziertesten und verschlungendsten Ornamente gelangen ihm perfekt - nur eben Furchteinflößendes nicht. Gunnar verzichtete schließlich darauf, sie für seine Kriegsschiffe zu verwenden – er verteilte die drolligen Tierchen an seine Kinder und machte sie damit sehr glücklich. Er war Skadi deswegen nicht böse, aber eines Tages, als sie ausgelassen die Sonnenwende feierten, als in Gunnars Halle die langen Tische und Bänke mit seinen Kriegern, Bauern und Handwerkern besetzt waren, als über dem Herdfeuer ein Ochse am Spieß gedreht wurde und Met und Bier in Strömen flossen, da konnte er sich nicht mehr zurückhalten und zog Skadi damit kräftig auf. Der nahm’s gelassen hin. Als aber Gunnar dann im Vollrausch auch über seine Kinderlosigkeit spottete, wand sich Skadi vor Verlegenheit und Kummer wie ein Wurm. Niemand konnte ihm nachfühlen, wie traurig er war deswegen und wie schmerzhaft er diesen Mangel empfand. Am wenigsten Gunnar, der vor einem Jahr Freydis zur Frau genommen hatte und im letzten Monat voller Stolz seinen ersten Sohn dem allmächtigen Odin entgegengestreckt hatte, um dessen Segen für ihn zu erbitten.

       Ein weiteres Jahr verging und Gunnars zweiter Sohn kam zur Welt, dann sein dritter, dann waren es sogar Zwillinge, die Freydis ihm gebar. In diesem Jahr jedoch ging auch Skadis und Grimas größter Wunsch in Erfüllung – nach all der langen Zeit des Wartens und Bittens bekamen auch sie einen Sohn. Und weil er so ungewöhnlich groß und kräftig war, nannten sie ihn Ymir, nach dem Riesen aus der Weltentstehungsgeschichte. Ymir sollte ihr einziges Kind bleiben, während Gunnar noch eine Tochter und vier Söhne bekam.

      Die Spiele mit Gunnars Kindern gehörten zu den frühesten Erlebnissen, an die sich Ymir selbst erinnern konnte, und daran, dass eins aussah wie das andere, nur in verschiedenen Größen. Dass einer dieser rothaarigen, vollkommen gleich gekleideten, ständig johlenden und raufenden Wildfänge ein Mädchen sein könnte, das war ihm lange Zeit nicht in den Sinn gekommen. Ymir schlug sich mit beiden Händen auf die Schenkel und schüttelte den Kopf, als wenn ihn dies auch heute noch irritierte ...

       denn Embla schwang den Hammer ebenso kraftvoll wie jeder ihrer Brüder. Sie schleuderte den Speer genau auf den Punkt, den man ihr zeigte. Sie tauchte minutenlang ohne nach Luft zu schnappen und rannte mühelos bei jedem Wettlauf mit. In einer einzigen schnellen Bewegung zog sie einen Pfeil aus dem Köcher auf ihrem Rücken, legte an, spannte den Bogen und traf ihr Ziel: einen hakenschlagenden Hasen oder ein aufstiebendes Schneehuhn. Auf einem Gebiet war Embla sogar allen Jungen und Mädchen überlegen: Sie sammelte Geschichten, wie andere Kinder Muscheln sammelten. Sie kannte soviele spannende Sagen von den Göttern im Himmel und den Helden längst vergangener Zeiten wie niemand sonst. Wenn die Kinder beieinander saßen auf dem frisch ausgestreuten Stroh in einer Ecke von Gunnars Halle, wenn das lodernde Herdfeuer zuckende Schatten auf die Wände und über ihre Gesichter warf, wenn wie aus weiter Ferne das Lärmen und Grölen der Erwachsenen zu ihnen drang, das Zischen von spritzendem Fett und das dumpfe Aufsetzen der Becher, dann fing Embla an zu erzählen. Und jedesmal begann sie ihre Geschichten mit leiser, eindringlicher Stimme und den beschwörenden Worten:

      „Am Anfang war nur Feuer und Eis. Als sie aufeinandertrafen, entstanden aus den Wassertropfen Ymir der Riese und Audumla die Kuh.“

       Das war die Stelle, an der Ymir immer betreten auf den Boden vor sich starrte, denn jeder wusste inzwischen, dass Ymir der Riese böse war und von ihm das Geschlecht der bösen Reifriesen abstammte. Embla schien sein Unbehagen nie zu bermerken.

      „Audumla leckte am Eis, und nach und nach kam Buri zum Vorschein. Buris Enkel war Odin. Odin schuf das Himmelsdach und stützte es an jeder Ecke mit einem Zwerg. Die Zwerge hießen Norden, Süden, Osten und Westen. Odin schuf auch die Erde. Als das Meer zwei Baumstämme an den Strand schwemmte, hauchte er ihnen seinen Atem ein und schuf Askr und Embla, die ersten Menschen.“

      Nach dieser Einleitung folgte stets die eigentliche Geschichte. Oh, wie gebannt die Kinder an Emblas Lippen hingen, wie begierig sie waren, von Kämpfen und Intrigen, von glorreichen Siegen und bitteren Niederlagen zu hören. Ymir mochte am liebsten die Geschichten über Thor, Odins ältestem Sohn, den er wegen seiner gewaltigen Stärke bewunderte und um seinen immertreffenden Hammer Mjölnir beneidete. Heimlich schnitzte er sich aus hartem Wurzelholz eine solche Waffe und hoffte, dass sie Mjölnir ähnlich sei. So schwer wurde sein Hammer, dass Ymir anfangs kaum imstande war, ihn vom Boden aufzuheben. Aber eines Tages schwang er ihn so leicht über seinen Kopf wie die anderen Jungen ihre Steinschleudern. Von dieser Zeit an wurde er Ymir der Bärenstarke genannt.

      Einmal, so erinnerte er sich jetzt auf seiner Bank, hatte Embla ihm einen gewaltigen Schreck eingejagt, indem sie seinen Glauben an den unbezwingbaren Thor erschüttern konnte, aber – Odin sei Dank – nur für kurze Zeit. Embla erzählte nämlich folgendes:

      „Thor kam wähend einer Wanderung nach Utgard, dem Land der Reifriesen, und traf dort auf einen seiner Bewohner. Dieser Riese nun machte Thor durch allerlei Bosheiten so zornig, dass er ihm mit seinem Hammer Mjölnir auf den Kopf schlug. Der Riese zeigte sich jedoch wenig beeindruckt und sagte lediglich: „Nanu, hat ein Laubblatt mich berührt?“

       Thor schlug erneut zu – aber alles, was der Riese von sich gab war: „Ich glaube, mir ist eine Eichel auf den Kopf gefallen.“

       Ungläubig schwang Thor den Hammer ein drittes Mal und schlug mit der ganzen Kraft, die er aufzubieten hatte, zu.

      „Die Vögel haben wohl Reisig auf mich geworfen,“ sagte der Riese nur leichthin.

       Ymirs Herz hatte wild gepocht und es hatte eine Weile gedauert, bis er sich wieder beruhigt hatte, selbst nachdem Embla den unerhörten Vorfall aufgeklärt hatte. Nach einer langgedehnten Pause sah sie Ymir direkt an und in ihren Augen funkelte es schelmisch: „Du Leichtgläubiger! Warum bist du so blaß geworden? Zweifelst du wirklich an der Stärke Thors? Nun, ich will dich von deinen Qualen befreien. Nicht die Stärke Thors, nicht die Treffsicherheit seines Hammers haben versagt, nein, der Riese war nämlich der Utgard-Loki höchstpersönlich, der König der Reifriesen, der über Zauberkräfte verfügt. Loki hatte bei jedem Schlag einen für Thor unsichtbaren Berg vor seine Stirn gehalten und erst als Thor Utgard verlassen hatte, gab er sich zu erkennen und rief ihm nach: „Ich bin froh, dass du aus meinem Land raus bist und ich werde dich auch nie wieder hineinlassen. Siehst du den Berg da drüben mit den drei tiefen Tälern? Diese Täler hast du mit deinem Hammer geschlagen. Ohne meine Zauberkunst hätte selbst dein schwächster Hieb mich auf der Stelle getötet.“ Dann machte sich Loki unsichtbar und ließ den wutschnaubenden Thor allein zurück.“

      Ymir streckte sich und spürte wieder seinen geschundenen Rücken. „Ich brauche einen Berg wie der Utgard-Loki, um mich vor den Schlägen von Gunnars Tochter zu schützen,“ fluchte er. Dann fiel ihm ein, dass Gunnar seinerzeit keineswegs erfreut war über Emblas Geburt, jedenfalls erzählten die Älteren im Tal auch heute noch, wie er nach einem ersten kurzen Blick auf das Neugeborene achselzuckend gebrummt hatte ...

      „Was soll’s … einmal ist keinmal! Beim nächsten Mal wird’s wieder ein Junge.“

       Damit war die Angelegenheit vorerst erledigt, zumal alle folgenden Kinder tatsächlich wieder Söhne wurden. Embla wuchs ganz selbstverständlich als Gleiche unter Gleichen zwischen all ihren Brüdern und deren Freunden auf – niemanden kümmerte das, erst recht nicht, nachdem Emblas Mutter Freydis bei der Geburt ihres elften Kindes gestorben war. Embla selber kam auch nicht auf die Idee, dass es anders sein könnte, und Gunnar war mit dieser Entwicklung zufrieden.

      

Скачать книгу