Ymirs Rolle. Gisela Schaefer

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Ymirs Rolle - Gisela Schaefer

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er seine Füße nicht.“

      „Meinetwegen,“ brummte Björn.

      „Ich habe mir unten am Fluss eine Hütte gebaut, gleich neben meinem Arbeitsplatz. Er kann dort mit mir wohnen.“

      „Meinetwegen,“ rief ihm Björn mit abgewandtem Gesicht zu, denn er war schon auf dem Weg nachhause.

       Ymir hob den Jungen auf die Schulter, trug ihn zu seinem neuen Holzhaus und legte ihn auf das Lager aus Stroh und Decken. Der Raum war groß genug für zwei, er würde sich ein anderes herrichten. Vorsichtig tastete er den Fuß ab und der Junge stöhnte.

      „Hab’ ich mir’s doch gedacht … dein Knöchel ist gebrochen, aber sag das besser niemandem. Ich muss den Knochen richten, sonst wirst du nie mehr richtig laufen können. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.“

       Der Junge verstand kein Wort, aber er ahnte, was Ymir ihm sagen wollte und nickte. Ymir steckte ihm ein Stück Leder in den Mund: „Beiss feste drauf, es wird weh tun!“

       Dem Jungen trat der Schweiß auf die Stirn und er schloss die Augen. Ymir packte den Fuß und es gab ein schrecklich knirschendes Geräusch, der Junge verlor das Bewußtsein. Als er wieder aufwachte, war sein Fuß geschient und mit Lappen fest umwickelt. Neben seinem Lager stand ein Krug mit Wasser, auf einem Stück Holz lagen Brot und Käse. Der Junge aß gierig, dann schlief er erschöpft ein.

       Als er am nächsten Morgen erwachte, setzte sich Ymir vor ihn, tippte sich mit dem Finger auf die Brust und sagte: „Ymir!“ Dann zeigte er auf den Jungen und fragte: „Wie heißt du?“

       Der Junge begriff und antwortete: „Widukind.“

      „Widukind,“ wiederholte Ymir, „das wäre schonmal geklärt.“ Dann rümpfte er die Nase und fügte hinzu: „Du brauchst dringend ein Bad, und auch was anderes zum Anziehen, diese Fetzen halten keinen Tag länger.“

       Er überlegte eine Weile, dann ging er zu Inga ins Dorf.

      „Wenn ich dir zwei Löffel mache aus Wurzelholz, gibst du mir dann einen Kittel und einen Gürtel für den Jungen?“

      „Wann?“ fragte Inga.

      „Den Kittel brauche ich sofort, die Löffel bekommst du später. Ich muss erst für deinen Mann ein Schiff bauen, danach mache ich mich auf die Suche nach einer Wurzel.“

      „Was soll das für ein Geschäft sein?“ lachte sie und gab Ymir das Kleidungsstück und einen geflochtenen Strick, um es in der Mitte zusammenzuhalten.

       Zufrieden lief Ymir zurück zu Widukind, nahm ihn auf den Arm und setzte ihn kurzerhand an einer seichten Stelle des Sees ins Wasser, den neuen Kittel legte er ins trockene Gras. Jeden Tag versorgte er seinen Fuß, indem er einen frischen Kräuterbrei auftrug, wie er es von Grima gelernt hatte. Geduldig zeigte er ihm, wie man Holznägel schnitzt und fütterte ihn so gut, dass Widukind schon bald nicht mehr ganz so dürr und armselig aussah. Nach vier Wochen nahm er ihm die Schienen ab und der Junge machte seine ersten unsicheren Gehversuche.

      „Bald läufst du wieder wie ein Hase. Du kannst von Glück sagen, dass du nicht für den Rest deines Lebens humpeln musst,“ sagte Ymir und benutzte Hände und Füße, um sich einigermaßen verständlich zu machen. Widukind schnitzte nicht nur hervorragende Nägel, er lernte auch in kürzester Zeit viele Worte von Ymirs Sprache, so dass sie sich von Tag zu Tag besser verständigen konnten.

       Die Reparaturarbeiten im Dorf und am Palisadenzaun waren längst beendet und auch Björns neues Schiff fast fertig. Während all der Wochen war Ymir regelmäßig auf die Jagd gegangen, um für sich und den Jungen Fleisch zu beschaffen, wobei er ständig nach Walnussbäumen Ausschau hielt. Aber vergeblich – weder einen gesunden, noch einen kranken oder abgestorbenen konnte er entdecken. Widukinds Wortschatz erweiterte sich indes schnell, so dass Ymir ihm von diesem innigsten Wunsch erzählen konnte, und auch von dem Hochzeitsgeschenk, das er für Embla daraus schnitzen wollte. Widukind wiederum beschrieb den einst so stolzen, großen Gutshof seines Vaters mit den vielen Menschen, die dort lebten und arbeiteten. Je länger sie beieinander waren, desto freundschaftlicher und vertrauensvoller wurde ihr Verhältnis, ein bißchen wie zwei Brüder, fand Ymir und dachte mit Schrecken daran, Widukind zurücklassen zu müssen, wenn er im Herbst wieder nach Norwegen fahren würde. Wie konnte er es verhindern, dass der Junge zum Sklaven würde? Björn wartete nur darauf, den inzwischen wieder gesunden, kräftigen und geschickten Jungen für sich arbeiten zu lassen.

       Während Ymir sich darüber den Kopf zerbrach, beschloss Björn, mit einigen seiner Männer einen längeren Jagdausflug zu unternehmen zu einem entfernt liegenden Wald, wo es Wildschweine und Hirsche in Hülle und Fülle gab, damit allmählich ein Wintervorrat an Wild eingelagert werden konnte. Je nach Jagdglück rechnete man mit etwa zwei Wochen bis zur Rückkehr. Das brachte Ymir auf die rettende Idee. Zwei Tage lang erwog er sehr sorgfältig sein Vorhaben, dann war der Plan fertig und Ymir entschlossen, ihn durchzuführen - die Abwesenheit von Björn kam wie gerufen, es war unwahrscheinlich, dass eine weitere günstige Gelegenheit auftauchen würde.

      „Inga,“ sagte er zu Björns Frau, „was hältst du davon, wenn ich mich ernsthaft auf die Suche begebe nach einer Wurzel, ich meine, in einem viel weiteren Umkreis als bisher. Du weißt selber, dass hier nichts zu finden ist. Außerdem stehe ich in deiner Schuld und möchte gern mein Wort halten. Aber dazu bräuchte ich ein Pferd mit Wagen.“

       Inga sah ihn nachdenklich an, ein Pferdefuhrwerk war ein wertvoller Besitz.

      „Ach lass nur, wenn du es nicht entscheiden kannst, warte ich eben, bis Björn wieder da ist. Es hätte nur gerade ganz gut gepasst … das Schiff muß ein paar Tage trocknen, ehe ich weiterarbeiten kann … war nur so eine Idee von mir... „ Ymir tat so, als wolle er gleich wieder gehen. Wie vermutet, hatte er jedoch genau ins Schwarze getroffen.

       Inga stemmte empört die Hände in die Hüften: „Ich kann alleine entscheiden, und ich will meine zwei Löffel, das heißt, für das Ausleihen eines Pferdes verlange ich außerdem eine Schale.“

      „In Ordnung,“ seufzte Ymir, es würde nicht viel übrig bleiben für Emblas Geschenk.

      „Wie lange wirst du wegbleiben?“

      „Ich weiß noch nicht, vielleicht eine Woche, vielleicht zwei … ich nehme Widukind mit,“ fügte er leichthin hinzu.

       Schon am nächsten Morgen zogen sie los, Ymir hatte die Zügel in der Hand und Widukind saß neben ihm. Natürlich wusste er, was Ymir suchte, aber was sein Freund sonst noch im Sinn hatte, das ahnte er ganz und gar nicht.

       Nachdem sie acht Tage umhergezogen waren über Wiesen und durch Wälder, was mit dem Pferdewagen nicht immer einfach war, gab Ymir enttäuscht auf. Am Abend, als sie am Feuer saßen und auf den letzten Resten einer Hasenkeule kauten, beschloss er, zurück zum Dorf zu ziehen, und das bedeutete, dass die Zeit gekommen war, seinen Plan, das zweite Ziel dieser Reise, auszuführen. Mit Vorbedacht hatte er eine nordöstliche Route gewählt.

      „Wenn wir morgen einen scharfen Bogen nach Westen machen, müssten wir doch an den Fluss kommen oder nicht?“ fragte er und leckte sich die Finger. Noch ehe Widukind antworten konnte, fuhr er fort: „Nach dem, was du erzählt hast, lag der Gutshof deines Vaters

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