Ymirs Rolle. Gisela Schaefer

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Ymirs Rolle - Gisela Schaefer

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und der Becher mit Bier, den er erhoben hatte, um Ymir vor allen zu demütigen, entglitt seiner zitternden Hand. Der Schamane wandte sich ab von ihm und stand nun vor Ymir und Embla. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, warf er ihnen in einer blitzschnellen Bewegung einen seiner Stäbe zu – und war im nächsten Moment in der Dunkelheit verschwunden. Embla und Ymir hatten gleichzeitig nach dem Stab gegriffen. Sein Holz war so sanft und glatt - atemlos tasteten sie weiter über seine Oberfläche und im flackernden Feuerschein lasen sie Ymirs eingebrannten Spruch. Embla drückte ihr Hochzeitsgeschenk fest an sich: „Unser Sohn wird geboren, und eines Tages wird Gunnar ihm die Nachfolge anbieten,“ flüsterte sie.

      „Nicht dem Sohn eines Schiffbauers, du hast es gehört,“ antwortete Ymir.

      „Er wird,“ sagte sie und der Ton ihrer Stimme duldete weder Widerspruch noch Zweifel.

      Gunnar war die Lust am Feiern vergangen.

      „Der fette Speck liegt mir schwer im Magen,“ brummte er finster und verließ das Fest. Er warf sich auf sein Lager und starrte lange in die Flamme der Öllampe. Er war nun 44 Jahre alt, und die meiste Zeit seines Lebens hatte er gekämpft und gearbeitet, er fühlte die ersten Spuren davon in seinen Knochen. Wie oft hatte er sich und seine Leute, das Tal mit den Drachenbergen und den Wäldern, seine Handels- und Kriegsschiffe gegen Feinde verteidigen müssen. Wie hart hatte er um Macht und Reichtum ringen müssen. An seine Mutter konnte er sich gar nicht erinnern, sie war viel zu früh gestorben. Sein Vater kehrte von einem Raubzug nicht mehr heim, als Gunnar 14 Jahre alt war. Seit dieser Zeit war er auf sich selber gestellt gewesen. Und all diese harten Jahre sollten umsonst gewesen sein, sein Ziel, die Krone Norwegens, nicht erreicht werden? Und das alles wegen eines kleinen, wenn auch derben Spaßes auf Kosten seines Schwiegersohnes, den er zwar als Schiffbaumeister hoch schätzte, der aber offensichtlich nicht zum Ehemann taugte? In Gunnar wuchs die Gewissheit, dass er schnell handeln musste, sonst war vielleicht alles verloren. Seine Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Er musste für das nächste Frühjahr eine Versammlung der Fürsten einberufen und sie endlich dazu bringen, ihm die Krone aufzusetzen. Bis jetzt hatten sie sich stets geweigert, wenn er die Sprache darauf gebracht hatte. Er würde es diesmal mit List erzwingen. Er würde Boten an ihre Höfe senden, gleich morgen, und sie für das nächste Frühjahr an einen neutralen Ort bestellen. Und was das Kind von Embla und Ymir anging – was kümmerte es ihn, es war ja noch nicht einmal geboren. Gunnar wollte die Krone für sich, nie war er so entschlossen gewesen wie in diesem Augenblick. Und eines Tages würde er sie an seinen Ältesten, an Thormod, weitergeben, an niemanden sonst.

      Thormod war das Ebenbild seines Vaters, äußerlich und innerlich: wildverwegen, mutig bis zur Tollkühnheit und mit einem scharfen Verstand versehen. Nichts hatte ihn bisher für längere Zeit an einem Ort halten können, ständig wurde er getrieben von Unrast. Gunnar liebte ihn vor allen anderen und nahm sich vor, Thormod in Zukunft enger an seinen Hof zu binden, um ihn auf seine zukünftige Rolle vorzubereiten. Dem Zufall würde er nichts überlassen – und auch nicht dem Schamanen. Er, Gunnar, würde planen und lenken – nicht dieser albern bemalte Möchtegern-Drache.

      Gunnar fühlte die Anspannung allmählich weichen, er hatte die Fäden wieder in der Hand. Er schloss die Augen und versank in einen Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Jäh schreckte er auf, mit dem deutlichen Unbehagen, beobachtet zu werden. Die Öllampe flackerte unruhig, als hätte ein Luftzug sie gestreift. Gunnar sah niemanden, nur hinter seinen Augenlidern haftete noch für einen Moment das Abbild eines schwarz-grünen Musters.

      „Der Schamane,“ fuhr es ihm durch den Kopf, „“er verfolgt mich bis in meine Träume.“

      Sein Herz pochte wild und er dachte wieder an Thormod. Was, wenn dem besten seiner Söhne etwas zustoßen würde? Zornig versuchte Gunnar, diese verzagten Gedanken wegzuscheuchen. Aber sie quälten ihn weiter. Und endlich musste er sich das eingestehen, wovor er so große Angst hatte: Es war nur Thormod, auf den er baute – und bauen konnte!

      Ingvar, sein Zweitältester, war faul und feige.

      „Er wird wie eine Kuh im Stall sterben, niemals wie ein Krieger,“ dachte Gunnar, „nicht mal ein Handwerk kann er ausüben,“ und es krampfte ihm die Brust zusammen, als er sich nun zum ersten Mal diese bittere Wahrheit eingestand.

      Olav war der geborene Kaufmann. Mit einer Bootsladung Schaffelle hatte er vor vier Jahren begonnen. Inzwischen befehligte er eine Flotte von sechs Schiffen und trieb Handel an allen Küsten Europas.

      Hugi und Frodi, die Zwillinge, waren vor zwei Jahren ausgezogen, das letzte, was er von ihnen gehört hatte, war, dass sie sich als Begleitschutz für einen reichen byzantinischen Händler verdingten.

      Harald und Ottar waren mit ihren Familien und einigen Freunden vor einem Jahr an die Südwestküste von England gesegelt, um sich dort Land zu erobern. Gunnar wußte nicht, ob ihr Unternehmen erfolgreich verlaufen war oder sie noch weiter auf der Suche waren, oder sogar umgekommen waren.

      Ingjöld war immer ein Einzelgänger gewesen, schon als Kind. Viel nachdenklicher und stiller als seine Brüder, fast verschlossen. Er verabscheute lärmende Feste und suchte lieber die Einsamkeit des Waldes. Mit Gunnar kam es zum Bruch, weil Ingjöld nicht einsehen konnte, warum es freie und unfreie Menschen gab.

      „Jeder Mensch ist gleich viel wert,“ hatte er trotzig zu Gunnar gesagt.

      „Nicht bei mir,“ war Gunnars harsche Antwort gewesen.

      „Dann muss ich gehen.“

      Gunnar erinnerte sich genau an dieses Gespräch vor wenigen Monaten und Ingjölds zornige Augen. Er konnte niemanden am Hof brauchen, der seine Leute auf falsche Ideen brachte, auch wenn es sein eigener Sohn war, seine Autorität würde dadurch gefährdet. Außerdem war Gunnar fest davon überzeugt, dass die meisten Menschen eine starke Führung brauchten, ja sich sogar danach sehnten. Aus diesem Grunde hatte er nichts dagegen unternommen, als der Rebell Ingjöld allein mit einem einzigen, kleinen Boot seine Heimat verließ, auch wenn der Verlust eines Sohnes schmerzhaft für ihn war.

      Leif war 17 und lebte wie Ingvar im Tal. Ein wahrer Hüne, mit Muskeln, die wie dicke Stränge hervorquollen, wenn er sie anspannte. Vor zwei Jahren war er bei Gunnars Schmied in die Lehre gegangen und inzwischen ein Meister seines Faches. Niemand schmiedete so scharfe Schwerter wie er, niemand so leichte und trotzdem stabile Helme und Schilde, niemand so ausgewogene Pflüge und runde Kessel. Nichts und niemand würde ihn je von seiner Leidenschaft, Metall zu verarbeiten, abbringen.

      Nie zuvor war es Gunnar so klar gewesen, dass er trotz seiner neun Söhne eigentlich keine Wahl hatte. Neun Söhne? Wie lange war es her, dass er nicht mehr an seinen zehnten Sohn gedacht hatte? Eine Ewigkeit, musste er sich nun gestehen. Gunnar rechnete: seit 10 Jahren war Halvdan verschwunden, er wäre jetzt 16 Jahre alt. Ob er das Zeug zu einem Führer gehabt hätte? Was nutzte es, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, Halvdan war tot, das war sicher. Wer mit sechs Jahren in den Wald läuft, nicht wiederkehrt und auch nicht wiedergefunden wird, der konnte nichts anderes als tot sein. Gunnar fragte sich, warum er so lange nicht mehr an ihn gedacht hatte und wusste sofort, dass er über all die Jahre den gleichen Groll empfunden hatte wie in Halvdans ersten sechs Lebensjahren, als er noch mit ihm unter einem Dach lebte. Er war es, der Freydis Leben ausgelöscht hatte – und Gunnar hatte es ihn jeden Tag spüren lassen. Er hatte ihn so streng wie keines seiner anderen Kinder erzogen, bestraft, beschimpft, gedemütigt, ja, er hatte ihn gehasst. Und Halvdan war ein stilles, einsames, verzweifeltes Kind geworden – es muss furchtbar für ihn gewesen sein, dachte Gunnar und war über seine neuen Gefühle überrascht. War Halvdans Weglaufen etwa eine Flucht gewesen vor der Lieblosigkeit seines Vaters, vor dessen ständig anklagenden Augen? Was sonst? Gunnar spürte, wie zum ersten Mal keinerlei Wut, keine Bitterkeit beim Gedanken an Halvdan in ihm aufstieg.

      „Wie

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