Ymirs Rolle. Gisela Schaefer
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„Ja, so hat sich das damals abgespielt,“ dachte Ymir wehmütig, „als ich Emblas Hochzeitsgeschenk unter meinem Hemd versteckt mit an Bord genommen hatte, obwohl Björn alles verboten hatte, was nicht unbedingt lebensnotwendig war.“
„Was sitzt du da herum und starrst ins Dunkle? Das Essen steht auf dem Tisch, soll es kalt werden?“
Ymir, der tief versunken gewesen war in seine Erinnerungen, zuckte bei diesen unfreundlichen Worten zusammen. Heißer Zorn stieg in ihm hoch – er stand auf, ging entschlossen ins Haus, vorbei an dem Topf mit dem dampfenden Eintopf aus Lauch, zerstampftem Roggen und Kaninchenfleisch, sah sich suchend um bis er es gefunden hatte, nahm es an sich und verließ das Haus.
„Was soll das bedeuten?“ schrie sie ihm nach. „Gib mir sofort mein Holz zurück, du hast es mir geschenkt!“
Aber Ymir kümmerte sich nicht um ihr Gezeter. Er schwang sich auf sein Pferd, ritt zur Schlucht und durch sie hindurch. Ein halber Mond erschien und gab ein wenig Licht. Als er glaubte, tief genug im Wald zu sein, nahm er das Holz und schleuderte es weit von sich, machte auf dem Absatz kehrt, um nicht von Reue gepackt zu werden, und lenkte sein Pferd zurück ins Tal. Er ging nicht nachhause in dieser Nacht, sondern blieb bei Skadi und Grima. Keiner von ihnen machte ein Auge zu – bis der Morgen dämmerte saßen sie beieinander.
„Glaub mir Ymir,“ sagte Grima müde, „alles, was Embla fehlt, und darum immer zänkischer macht, ist ein Kind. Niemand versteht besser als wir,“ sie sah Skadi an, der zustimmend nickte, „was es heißt, jahrelang vergeblich zu warten.“
„Ich weiß,“ entgegnete Ymir und ließ den Kopf tief hängen, „aber was soll ich tun? Sagt mir, was soll ich tun? Wenn Odin uns nicht hilft, wer dann?“
Seine Stimme klang so verzweifelt, dass es Grima ins Herz schnitt.
„Der Schamane!“ sagte Skadi in die entstandene Stille hinein. „Ich selber werde zu ihm gehen.“
„Aber niemand weiß, wo er wohnt,“ warf Ymir ein.
„Dann werde ich solange suchen, bis ich ihn gefunden habe,“ antwortete Skadi entschlossen.
Ymir blickte in ihre bekümmerten Gesichter und entdeckte in ihren Augen einen leisen Hoffnungsschimmer.
Als die ersten Vögel erwachten, machte sich Ymir auf den Weg zur Werft. Der frühe Morgen war die beste Zeit für eine gute Arbeit, und Arbeit war die beste Medizin um seine Sorgen zu vergessen.
Skadi ritt, wie er es angekündigt hatte, in den Wald hinein. Drei Tage lang irrte er umher, ohne auch nur das geringste Anzeichen eines Menschen zu finden. Er hatte längst die Trampelpfade hinter sich gelassen und stolperte, sein Pferd am Zügel hinter sich herziehend, immer tiefer hinein in den unwegsamen, unberührten Teil des Waldes. Er verlor die Orientierung in dem Dickicht, es war ihm egal. Er würde nicht wieder zurückkehren, bis er den Schamanen gefunden hatte. Am Morgen des vierten Tages - fahle, schräg einfallende Sonnenstrahlen gaben gerade soviel Licht, dass er das Nächstliegende sehen konnte - stand er plötzlich, nur wenige Meter von seinem Nachtlager entfernt, vor der Höhle des Schamanen. Die war unschwer als solche zu erkennen, denn in einem Halbkreis davor waren an in die Erde gesteckten Pfählen Amulette, Schädelknochen, Federn und allerlei andere geheimnisvolle Zeichen und Dinge angebracht, ganz offensichtlich als Abschreckung gedacht.
Skadi rief nach dem Schamanen, aber nichts rührte sich. Er wagte nicht, die Höhle zu betreten, deshalb setzte er sich davor und hoffte inständig, dass er bald zurückkäme. Nach einer Weile fing er an, laut zu Odin zu beten, immer ausführlicher erzählte er von seinem Kummer, von Ymir und Emblas Problemen, von Grimas Tränen.
„Oh Odin,“ hob er bittend die Hände zum Himmel, „hilf uns allen, schick den Schamanen ins Tal und gib ihm die Kraft, uns zu helfen.“
Skadi verbrachte einen Tag und eine Nacht vor der Höhle, aber der Schamane tauchte nicht auf. Er beschloss, ihm eine Botschaft zu hinterlassen, denn es war bekannt, dass der Schamane weite Reisen unternahm - mal tauchte er unverhofft hoch im Norden auf, dann wieder tief im Süden – es machte keinen Sinn, noch länger vor seiner Behausung auszuharren. Skadi schälte ein Stück Rinde von einem Baum und ritzte auf die Innenseite mit seinem Messer die Drachenberge. Dann die Bitte: „Komm bald, wir brauchen deine Hilfe“. Zum Schluss schnitt er den Umriss eines Schiffes hinein und seinen Namen. Er warf die Rinde vor den Eingang der Höhle und hoffte, dass der Schamane die Nachricht finden und verstehen würde. Dann machte er sich auf den Heimweg.
Wochen vergingen, ohne dass irgendetwas geschah. Grima sah darin eine endgültige Entscheidung der Götter und wagte kaum noch, Ymir in die Augen zu sehen. Der Sommer ging zu Ende und die Ernte wurde eingefahren, Scheunen und Vorratskammern füllten sich. Wie in jedem Jahr, ließ Gunnar Zweige und Äste aufschichten zu einem gewaltigen Erntedankfeuer. Das Fest begann am Mittag und als die Dämmerung alles in ein weiches, blaues Licht tauchte, loderten die Flammen hoch auf. Im Tal breitete sich ein Duft von gebratenen Äpfeln aus, von knusprigen, fetttriefenden Speckscheiben, von warmen Fladenbroten und frisch gebrautem Gerstenbier. Gunnar, inmitten seiner Familie, seiner Krieger, Handwerker und Bauern, ließ seinen Becher immer wieder auffüllen, hob ihn hoch in die Luft – und dann konnte er nicht anders, er mußte Ymir verhöhnen, genauso, wie er es vor Jahren mit Skadi, Ymirs Vater gemacht hatte.
„Seht euch diesen Schwiegersohn an … ja, seht ihn nur alle an,“ grölte er mit gerötetem Gesicht und vom Bier glasigen Augen. „Feiert ohne Scham das Erntedankfest. Wo ist denn deine Ernte? Auch in diesem Jahr hast du keine, wie in den Jahren zuvor. Meine Tochter sollte längst eine ganze Schar von Kindern ...“
Noch ehe er seinen Satz beenden konnte, sprang wie aus dem Nichts eine Gestalt mitten unter die Feiernden und pflanzte sich breitbeinig und mit weit ausladenden Armen vor Gunnar auf. Auf ihrem Kopf saß eine Lederhaube, die sich im Nacken fortsetzte, über den Rücken lief und schmaler werdend in einem Schweif endete. Von der Stirn an bis zum Boden starrten spitz zulaufende Panzerschuppen, und dick aufgetragene schwarze und grüne Farbe entstellte ihr Gesicht zu einer drachenähnlichen Grimasse. Über einem grünen Leinenkittel hingen Ketten aus Reißzähnen, Hauern und Krallen wilder Tiere. An den Handgelenken wippten Armbänder mit langen Vogelfedern und um die aus den Lederhosen herausschauenden Fußgelenke klapperten weißgebleichte Knochen hell und hohl gegeneinander.
Der Schreck über das plötzliche Auftauchen des Schamanen saß tief – es war totenstill geworden. Wie versteinert erwarteten sie seinen Spruch. Wen würde er verfluchen, wem brachte er Unglück, oder eine frohe Botschaft? Sollte gar Gunnar, der Häuptling, bestraft werden für sein loses Mundwerk, für seine Undankbarkeit gegen einen seiner besten Männer? Der Schamane schwang zwei Stäbe drohend gegen Gunnar.
„Schweige für immer, denn das Kind wird geboren werden,“ stieß er endlich heiser hervor, und sein einziges Auge blitzte und funkelte zornig, „und du, Gunnar von Dragensfjell, wirst es dereinst zu deinem Nachfolger erklären.“
„Niemals,“ schrie Gunnar, „niemals das Kind eines Schiffbauers, der in meinen Diensten steht!“
„Nicht du bestimmst das, sondern die Götter. Glaubst du nicht mehr an die Götter, Gunnar?“
„Ich glaube an meine Kraft, sonst nichts,“ schleuderte ihm Gunnar trotzig ins Gesicht.
„Für diesen Hochmut wirst du bestraft,