HimbeerToni. Joachim Seidel
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Zermürbt gehe ich rüber zu Holgi. Wir müssen etwas gegen diesen Radau tun. Seine Tür ist wie immer offen. Mein Nachbar liegt zwischen Stapeln von Autoprospekten und pennt. Dann öffnet er die Augen und bläst sein Bazooka-Kaugummi auf. Ich sehe mich um. Rechner und Scanner sind angeschaltet. eBay-Dreamkarl, so nennen wir Holgi manchmal, hat offenbar noch nicht Feierabend. Unter der Woche läutet Holgi nämlich seinen Feierabend für Job Nummer eins gegen zwölf Uhr mittags gewöhnlich mit einer bettschweren Einliterdose Elephant-Bier ein, die nach Verzehr sein Einschlafen beschleunigt. Ich nehme einen tiefen Zug aus Holgis Dose, die auf einem Prospektestapel steht, seinem provisorischen Nachttischchen.
»Mensch, tut das gut!«, sage ich. Über uns poltert es.
»Ey, lass uns hochgehen, Alter!«
Holgi richtet sich auf, greift sich ein frisches Bier. Ich wische mir den Mund am Ärmel meiner Adidas-Joggingjacke ab. Dann gehen wir ins Treppenhaus und tapern treppauf: General Anton Blech mit seinem Blechbüchsenarmisten Holgi Helvis im Schlepptau. Die Dosen im Anschlag, halten wir in Stockwerk sechs inne. Ich bücke mich, presse ein Ohr ans Türschloss. Drinnen spricht ein Mann mit hartem Akzent Englisch. Holgi lauscht ebenfalls. Er liegt mit seinem Tipp wohl richtig, dass der Fremde dort drinnen entweder mit sich selber kommuniziert und einen an der Marmel hat oder aber in ein Telefon spricht. Holgi geht in die Knie, späht durch den Briefschlitz. Ich drücke mein Ohr jetzt fest gegen die Tür.
»Yeah, fine, babe… No, I’ll start at about nine … last time old show, Ursu’s world’s famous magical puppet show, see ya tonight, Adä.«
Adä! Woher kenne ich den Namen? Klingt wie Ada, nur mit ä am Ende, denke ich, während ich mich aufrichte. Und Ada ist meine Geliebte. Direkt vor meiner Nase befindet sich ein Stück verchromtes Metall ohne Aufprägung. Kein Name. Weder Usus, Ouzo, Ursus der Schreckliche noch der des Kulturbetriebs-intendanten.
Ich drücke mein Ohr wieder an die Tür. Zack, geht die Tür auf. Holgi und ich fallen vor Schreck fast vornüber, mit den Ohren noch dort, wo eben noch die Tür war.
»What are you doing here?«
Wir heben die Köpfe und wandern mit dem Blick an einem dunkelhäutigen Mann mit Schmerbauch empor, den er unter einer Tunika aus schwerem schwarzen Vorhangstoff verbirgt. Etwas lugt aus der Tunika heraus. Es sieht einem toten Politiker ähnlich, den ich aus dem Fernsehen kenne, nur in klein. Das Etwas starrt uns aus geröteten Augen an. Dann zieht es sich in den schwarzen Umhang zurück.
Holgi ist sprachlos. Er, der ja auch an Aliens glaubt, kann seinen Blick nicht abwenden von dem Herrn mit dem seltsamen Wirtswesen. Die Stimme des Fremden hat überrascht geklungen, aber nicht unfreundlich. Ich betrachte das gebräunte Gesicht dieses nicht mal unattraktiven Glatzkopfs mit schorfigem Haaransatz. Auch auf den zweiten Blick, finde ich, sieht der Mann weder beängstigend noch besonders außerirdisch aus, denn er hält wie wir eine Dose Bier in der Hand, mit der anderen drückt er sich den Telefonhörer ans Ohr.
»Bye, love«, sagt er und legt das schnurlose Telefon auf der Garderobe ab. Seine Dose lässt er in einer Tasche seines Umhangs verschwinden. Der Mann sieht uns freundlich an und kratzt sich den schrundigen Haarkranz. Wie Schneeflocken rieseln feine Grind- und Schorfpartikel herab, die sich auf dem Umhang mit der seltsamen Wesenheit darunter sammeln. Eines steht fest, dieser Mann ist nicht Ioan Rustavi, der renommierte Theaterintendant. Dieser Herr mit der juckenden Kopfhaut würde nirgendwo auf der Welt als kaufmännischer oder künstlerischer Leiter eines wie auch immer gearteten Kulturbetriebs durchgehen – höchstens als Flohzirkusdirektor, der seinem Ensemble den eigenen Körper als Heim-, Schlafstatt und Futterquelle zur Verfügung stellt.
Und ganz offensichtlich hat der auch auf den dritten Blick recht muslimisch-orientalisch erscheinende Herr gehörig einen an der Marmel. Holgi denkt sicherlich das Gleiche. Mit jecken Typen kennen wir uns aus. Der Mann pult weiter an seinem Kopf. Soweit ich verstanden habe, ist er Künstler. Aber was kann man auch erwarten von einem Zeitgenossen mit blutigem Schorf in der Gesichtsmaske, der am helllichten Nachmittag Bier in sich hineinschüttet und eine kindsgroße Puppe vor dem Bauch spazieren trägt.
»Jetzt weiß ich’s«, rufe ich, »die sieht aus wie Slobodan Milosevic, dieser Serbenführer.« Auch Holgi kann den Blick nicht von der hässlichen Figur nehmen, die aus dem Umhang späht. Ruhe bewahren, denke ich, vielleicht ist der Typ ja richtig irre. Ich tue erst mal so, als wäre es das Normalste der Welt, mit einem hässlichen vor den Bauch geschnallten Wesen herumzulaufen, dessen Maul sich wie bei einem schnappenden Karpfen bewegt und sich dann wieder unseren Blicken entzieht. Wegen der eben belauschten Gesprächsfetzen entscheide ich, mich in Englisch zu verständigen, obwohl ich, sagen wir mal, dieser Sprache nicht gerade mächtig bin.
»I am your neighbour«, sage ich und zeige auf meinen Freund: »This is my friend Holgi.«
»He is called Horny and comes directly to you from down under«, erläutert Holgi und zeigt auf mich.
»Ah, you are horny and from down under«, wiederholt der Dicke.
»My real name is Anton, but you can say Toni to me«, verbessere ich.
Der Mann betrachtet nachdenklich die ordentlich gewienerten Holzdielen zu unseren Füßen.
»Hi, Toni, hi, Holgi, nice to meet ya«, kräht plötzlich eine Fistelstimme.
Woher kam das? Der Südländer hat seine Lippen nicht bewegt. Na klar, der Typ muss Bauchredner sein!
»Hol ihn mal raus!«, sage ich.
»Pardon?«
Holgi zeigt auf die Puppe. »Fetch him out, der kriegt ja gar keine Luft da drin! I mean, when it is a human being.«
»Human being?«
»Mensch!«
»Ah! You mean Milo!«
Der fremde Mann zieht den oberen Teil der Puppe unter seiner Kutte hervor. Der Unterkörper steckt auf einem Stock, der in seinem rechten Hosenbein verschwindet.
»You are Toni?«, krächzt die Puppe.
»Yes. In Englisch and German«, bestätige ich.
»Das Teil kann echt sprechen und sieht aus wie Slobodan Milosevic!«, freut sich Holgi. »Das ist ja ’n Ding.«
»Okay, ihr beiden«, lenke ich ein und fixiere den Südländer und seinen hässlichen Anhang. »The problem is, ich wohne genau unter dir und schreibe, you know? Schreiben. Wie Buch. Roman, you know.«
Holgi legt seinen Arm auf meine Schulter. »Anton – since years he is riding a Roman.«
»Riding a Romän?«, sagt der Fremde.
Langsam werde ich sauer. »Lass man stecken, Alter«, sage ich. »Ich hab kein’ Bock auf das Gekasper hier oben, ich muss arbeiten, schreiben, nix mehr tack, tack, verstehste, stop this Radau here…!«
»Du musst Englisch mit ihm sprechen«, fällt mir Holgi ins Wort. Holgi hat gut reden. Er kann aus dem Stegreif fast fünfzig Elvis-Texte auswendig singen. Mit siebzehn war er als Sänger zu Remo Smash gestoßen. Jahre später heuerte er bei den Fiesen Fettern an, ’ner drittklassigen Prollrock-Truppe für Arme, was ihn leider ziemlich aus der Spur geworfen hat.
»My