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Lebensumstände ergründen würde, änderte das noch lange nichts an der Tatsache, dass die große Mehrheit der Menschen arm bis sehr arm ist. Das Regierungssystem oder Wirtschaftssystem, das die Armut abschafft, würde in die Geschichte eingehen, und sein Beispiel würde den Weltfrieden schaffen helfen. Religionen, die oft nur dazu dienen, den gegenwärtigen Zustand zu rechtfertigen, würden überflüssig, Konflikte könnten in Sportveranstaltungen gelöst werden. Wir würden uns mit ‚Bruder‘ und ‚Schwester‘ anreden, und nicht mehr mit ‚Herr‘ und ‚Madame‘.

      Man wird ja noch träumen dürfen, selbst mit einem Messer unter der Decke…

      NIRWANA

      Am nächsten Vormittag komme ich in Johor Bahru an. Es ist ein kleines Fischerdorf ähnlich dem auf Penang, auch mit einem Hafen für die segelbaren Lastkähne, die den Verkehr mit den Inseln aufrecht erhalten und Zubringer für die großen Frachter machen. Jedes Mal, wenn ich diese sehe, schon seit Penang, schon seit den Nicobaren, stelle ich mir vor, wie es wäre, so ein Schiff umzumodeln, um damit die Reise weiterzumachen. Ich glaube, sie sind nicht teuer, denn überall sehe ich welche, die, wohl Mangels Fracht, vor sich hindümpeln, sich mit Regenwasser füllen und langsam verrotten. Gegenüber, seit kurzem auf einer Brücke erreichbar, sehe ich Singapur, einen der größten Häfen der Welt, Stadtstaat, wie Monaco oder Liechtenstein. Namen, die nach Geld klingeln. Am Stadtrand, nicht weit vom Wasser, finde ich eine Unterkunft, nur von wenigen Malaien und Chinesen besucht. Billig, sauber, ruhig.

      Am Abend gehe ich in die kleine Stadt. Ich kann es gar nicht fassen: überall sind überdeckte Straßentheater aufgebaut, Altäre mit Statuen und Blumenschmuck, die Straßen wimmeln von fröhlichen Menschen. Ich bin genau zum ‚Fest der hungrigen Geister‘ eingetroffen, das sich eine Woche lang hinzieht. Ich bin zwar hungrig, aber noch kein Geist. Trotzdem nehme ich mir vor, von den Festlichkeiten zu profitieren. An den Altären werden Opfergaben, meist Speisen und süße Gerichte, kunstvoll zubereitet auf Palmenblättern oder Platten, den Geistern geopfert. Und zwar denen, die es noch nicht geschafft haben, aus Karma oder anderen Ursachen, zur Ruhe zu kommen. Denn die verstorbenen Ahnen zu vernach-lässigen ist eine große Verfehlung. Diese könnten sich über einen Mangel an Aufmerksamkeit rächen! Außer-dem sind da gewisse Fristen. Die ortsansässigen Theologen werden wissen, wie lange eine Seele herum-irrt, bevor sie ins Paradies oder einen anderen Körper einziehen kann. Tatsache ist, dass sie hungrig ist, und mindestens einmal im Jahr ernährt werden will und mit Theater und Musik vergnügt. Denn der Geistzustand scheint nicht immer angenehm zu sein. Verfehlungen hat sich jeder zuschulden kommen lassen. Und so feiern Lebende und Tote zusammen. Immer wieder bringen besorgte Familien leckerste Speisen. Doch da darf man noch nicht dran. Nur die Geister. Wichtig ist, dass bis zum Morgen alles verschwunden sein muss. Also wie Weihnachten, nur dass hier der Gabentisch geräumt wird! Zum Glück gibt es die Armen, die die Aufgabe der Ahnen übernehmen. Oder Reisende, wie ich oder Klaus, den ich vor einer improvisierten Bühne treffe.

      Die Musikanten, die vor der Bühne auf der Straße sitzen, sind dabei, sich etwas einzuspielen. Hinter den Kulissen bewegt es sich auch. Langsam sammeln sich die Menschen. Dann geht’s los! Während das Orchester eine kleine Ouvertüre spielt, Flöte, Hörner, Streichinstru-mente, Pauken, Xylophone sich zu einer melodischen, chinesischen Melodie vereinigen, erscheint mit einem Sprung der erste Schauspieler auf der Bühne. Pracht-volles, glitzerndes Kostüm, eine kunstvolle Maske vor dem Gesicht oder spitze, goldbordierte Kappen auf dem Kopf, samtene, feingearbeitete Schnabelschuhe an den Füßen. Dann erscheinen nach und nach die anderen Akteure, ebenso prachtvoll ausstaffiert. Diese singen zu ihrer Darbietung, oder sie spielen schweigend, und spezielle Sänger oder Sprecher begleiten deren Handlung. Jede Bewegung, vor allem die der Hände und Füße wird fast bis ins Groteske betont, scheint eine bestimmte Symbolik zu haben. Graziöse, trippelnde Tänze wechseln mit Schwertänzen, wo die Funken nur noch so fliegen. Tragödien aus der Dämonenwelt lösen mit Gesangsvorführungen ab. Das Orchester ist voll im Element. Sie scheinen mit den Darstellern im Wettstreit zu liegen, wer hier der Hauptakteur ist. Ihre Instrumente wirken auf den ersten Blick primitiv. Die Xylophone, in allen Größen, mal liegend oder stehend, setzen sich aus verschiedengroßen, durch Schnüre verbundene Bambus-plättchen zusammen. Offene, tönerne Gefäße oder Kale-bassen sind darunter als Klangverstärker aufgehängt. Die Trommeln, Pauken, Gongs, Zimbeln, alles sieht nach Handarbeit aus und hat vielleicht dadurch diesen ‚chinesischen‘ Klang. Dazu Saiteninstrumente, die sitarähnlich klingen und andere Zupfinstrumente, Blas-instrumente aus Holz und Metall, alle mit dem spezifisch ost-asiatischen Klang. Und an vielen Plätzen des Städtchens fanden ähnliche Aufführungen statt. Laut war sie natürlich auch, diese Musik, musste sie ja sein, denn die Geister waren sicher nicht nur hungrig, sondern auch schwerhörig. Eine andere Art von Theater waren die Marionetten-Aufführungen. Diese gab es mit von oben durch Fäden bewegte Puppen, wie bei uns, und andere, die von unten her mit Stöcken bewegt wurden. Hier waren die Orchester entsprechend kleiner, und das Publikum manchmal auch. Auch entdeckte ich eine Abweichung dieser Marionettenspiele, das Schatten-theater. Hier bewegten sich die Figuren hinter einer dünnen Leinwand, aus dem Hintergrund mit einem Projektor angestrahlt. Für uns Zuschauer waren nur die Silhouetten zu sehen. Und die wunderbaren, nebeligen, chinesischen Hügellandschaften.

      Klaus und ich lassen uns von dem Menschenstrom durch die Stadt tragen. Je später es wird, umso mehr lichten sich die Gassen, die Musikanten decken ihre Instrumente ab. Wir gehen näher an den Altären vorbei und naschen mehr oder weniger heimlich von den Leckerbissen. Klaus wohnt, wie es der Zufall will, nur dreihundert Meter von mir entfernt, in einer Pfahlbausiedlung, die aber auf dem festen Land steht, nicht im Wasser. Es sieht so aus, als sei diese für Touristen bestimmt. Auf jeden Fall ist er der einzige Bewohner dieser Siedlung. Für den Preis meines Zimmers hat er ein ganzes Haus, sagen wir mal Hütte. Auf Bambus, aus Bambus, mit geflochtenen Wänden und einem Binsendach. Er lädt mich ein auf einen ‚Gute-Nacht-Joint‘. Er hatte auf dem Markt etwas Buddhagras erstanden. Es ist ähnlich einer gepressten Ähre aus schmalen Blättchen, darin ein paar Samenkörnchen, ist leicht klebrig und riecht harzig. Rundum ist es von einem dünnen Grashalm umwickelt. Es erinnert mich sehr an das Gras in Pokhara. Ich habe meine Meerschaumpfeife und den Tabak von der Rajula einstecken, er hat nur Papierle. Vorsichtshalber macht jeder eine Mischung. Er fachmännisch eine dreiblättrige Tüte, ich eine Pfeife. Los geht’s! Wir fangen mit seinem Joint an. Der erste Zug endet bei mir als auch bei ihm mit einem Hustenanfall. Dann schauen wir, dass wir mit dem Rauch zugleich etwas Frischluft inhalieren. Irgendeine Zigarettensorte hatte so was mal auf den Markt gebracht, die ‚Zigarette mit der Frischluftzone‘. Ich glaube, Reno, mit den scheußlichen Mentholzigaretten. Es müsste vorperfo-rierte Blättchen geben! War schon der erste Zug umwerfend, auch wenn wir das vor lauter Husten nicht gleich bemerkten, so hören wir jetzt die Englein singen! Oder den Chor der hungrigen Geister. Es ist wunderschön. Die Bambushütte knistert leise im schwachen Seewind, man könnte meinen, sie flüstert. Nur verstehen wir nicht ganz die Sprache. Das muss ein Südwind sein. Ich höre ein Klavier in der Nachbarschaft, liebliche, verlockende Töne. Aber das ist ja unmöglich, fällt mir ein, so eine Bambushütte würde nie das Gewicht eines Klaviers aushalten! Alles wird zu Klang, selbst die Dunkelheit. Und durch das Dachgeflecht sehen wir die Sterne glitzern, oder sind es die Regentropfen, die wie Funken über das Dach perlen? Wir vergessen den Joint im Aschenbecher, vergessen die Pfeife. Wir sind weg!

      Die durch das Flechtwerk fallende Sonne weckt uns. Die Feuchtigkeit des nächtlichen Regens bildet leichte Nebelschwaden über dem Boden, wie ein seichtes Meer, aus dem die Pfähle der Hütten aufragen. Die Vögel in den Palmen und Unterholz, bisher still, um nicht unsere Ruhe zu stören, legen jetzt los, wie am Vorabend die Orchester. Ein paar Kormorane oder andere Wasservögel krächzen vom Ufer ihren Sonnengesang. Von Singapur hallt das Tuten eines Ozeanriesens über die Bucht. WOW, was für eine Nacht!

      Ich lade ihn zum Müsli ein, bei mir in der Herberge. In einem Laden habe ich im Vorbeigehen eine Flasche Milch gekauft und ein kleines Stück Kernseife. Was für ein Luxus nach den paar Monaten ohne! Dann gehen wir zum Fischerhafen. Ich fühle mich unwahrscheinlich wohl bei dem Geruch von Schlamm, Fisch und Wasser. Die Menschen

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