ich du er sie es. null DERHANK

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ich du er sie es - null DERHANK

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ein Junge in kurzen, die Knabenoberschenkel freilegenden Lederhosen, mit Lederlatz und Lederhosenträger, und darunter ein Kragenhemd und Kniestrümpfe und Sandalen; ein Junge, der sich das gefallen lässt, von seiner Mutter in diese alberne Kleidung gesteckt zu werden. Ach nein, das war nicht er, das war Willi gewesen; Thomas in Lederhosen?

      Albern, das sind auch die Leute heutzutage. Die den Platz bevölkern, die heute, zum Maitag, den sie Tag der Arbeit nennen, Bierautomaten am Rande der Fußgängerzone aufbauen, und Wurstbuden und ein Rednerpult, für die Klassenkämpfer, wie auch Thomas einer war. Denen das mit dem Dom egal ist, die vielleicht sogar voller Häme sind darüber, und weil du das nicht sehen willst, schaust wenigstens du zum Dom hin, mit dem du dein ganzes Leben verbindest. Oder Willis ganzes Leben, vielmehr; dir wäre ein kleineres Haus als Sonntagskirche lieber gewesen. Aber auf den Dom hatte Willi bestanden, so sehr, dass er manchmal seine Krankheit mit dessen Verkauf an die Leasinggesellschaft in einen Zusammenhang gestellt hat. Sozusagen kausal und besonders oft dann, wenn ihn seine Verbitterung mehr quälte als seine physischen Schmerzen, seine Verbitterung über den Zerfall seines fleischlichen Körpers und dieses steinernen. Du gehst noch immer hierhin, Sonntag für Sonntag, du hast nicht gewechselt nach Willis Tod, und hast sogar an seiner statt versucht, deinen Frieden damit zu machen, dass der Freitag nun der muslimischen Gemeinde gehört, weil die - im Gegensatz zu deiner eigenen Kirche, zu EURER eigenen Kirche - die jährliche Rate aufbringt, und es der Leasinggesellschaft egal ist, wessen Glaube in dem Dom praktiziert wird. Und dir das auch egal sein sollte, und es das aber nicht ist, nicht wirklich, da nagt etwas in dir, als du neben dem Portal das Wort 'Cami' liest, das 'Moschee' bedeutet, als könne man den Dom einfach umbenennen, was wirklich zu weit ginge, du schaust nach oben, an den Domtürmen vorbei in den Himmel, wo ein unförmiger Zeppelin für Frittiertes wirbt.

      Du wartest, du bist es gewohnt zu warten, gewohnt, dass man dich, dass man überhaupt jeden warten lässt, dass man das Wartenlassen ausreizt und einen ganz eigenen Sport draus macht, bis zum Geht-nicht-mehr, bis zum Abreißen des Fadens, der die Menschen gewöhnlich verbindet. Aber dein Faden reißt nicht so schnell, dein eigener Faden ist gewissermaßen von höherer Macht verstärkt. Du lässt niemanden warten, und wartest umso inniger, so man dich lässt.

      Doch jetzt zupfst du mit einem von ungesundem Herzpoltern dirigierten Zittern an deiner Bluse, an der weißen Nelke, die du dir verabredungsgemäß - albern! - ins Brevier deiner bajuwarischen Trachtenjacke aus pfeffersalzgrauem Filz gesteckt hast. Albern. Das ist alles albern, was du hier tust, du bist viel zu alt dafür und der Rucksack, der schwere Leinenrucksack, mit dem bereits deine Mama nach dem Krieg Kartoffeln vom Feld gesammelt hat, der ist jetzt schon zu schwer. Lederriemen, nirgends richtige Polster oder gar ein Beckengurt, und dieses schlechte Schlafen, wenn man doch nur vernünftig - du musst grinsen, vernünftig? - schlafen könnte! Stattdessen träumst du Dinge, an die du dich gar nicht erinnern können dürftest - Dinge, die deine Kindheit vor deiner Kindheit betreffen, eigentlich ist dein Kopf diesbezüglich leer, du weißt nur abstrakt, dass Mama nicht deine leibliche Mutter ist, gewesen ist, und dass du - eigentlich - eine schwarze hast. Logisch, du weißt das, aber schon dieser Begriff - 'schwarz' - sitzt dir quer im Kopf. Du hast Erinnerungen und du hast Träume: Die Erinnerungen an deine Kindheit in diesem Land sind wie alte Schwarz-Weiß-Filme, und die Träume aus der Zeit mit deiner echten Mutter sind bunt.

      Jetzt stehst du unweit des Doms und wartest und kommst dir vergessen vor; und weil dir vom Ohrrauschen der Kopf wehtut und dir die Last auf den Rücken drückt, setzt du den Rucksack ab, stellst ihn dir vor die Füße. Du könntest dich auch auf eine Bank setzen, aber du bleibst stehen und versuchst, dich nicht zu bewegen, wie ein Gargyl auf dem Domdach, als gehörtest du selbst zum Inventar des Platzes, als wärst du selbst eine der vielen tierisch menschelnden Steinfiguren, die den Dom bevölkern: ein schwarzer Stein mit grauer Mütze, die keine ist, das ist nur dein kurz geschnittenes krauses Haupthaar, im gleichen Grau wie die Jacke, und eigentlich bist du ganz nach der Mode, stellst du fest, die jungen Mädchen tragen doch selbst konservativ, neuerdings, nur bunter und vor allem nachlässiger, mit Absicht, ihre Sachen sehen aus wie Schulmädchenuniformen, aber wie Schulmädchenuniformen nach einer Rauferei, alles hängt schief und schlüpfrig - genau, das ist das Wort: schlüpfrig hängt alles herunter, und die Gesichter sind überhaupt nicht mehr deutsch! Meins auch nicht, ermahnst du dich, mein Gesicht am allerwenigsten, und wo ist er denn jetzt, der Schwarz-Weiß-Thomas aus der Schwarz-Weiß-Film-Zeit?

      8.

      Ich hätte Clara fast nicht erkannt, wie sie da stand, auf dem Domplatz, wie eine afrikanische Nonne, eine ghanaische Christin, wie von ihren Betschwestern vergessen worden. Obwohl sie keine Kutte trug, und keine weiße Haube - natürlich hatte sie wie verabredet handfeste Allwetterkleidung an, so dermaßen altmodisch, dass das unter den Kids auch schon wieder als cool durchgehen könnte -, obwohl sie also so war, wie sie sein sollte, war ich mir für einen Moment nicht mehr sicher, was mich neulich getrieben hatte, sie nach fünfzig Jahren wieder anzurufen. Und ihr vorzuschlagen, gemeinsam diesen von der Shintobuddhistischen Gesellschaft empfohlenen Pilgerweg zu gehen. Clara sah zwar immer noch genauso zugeknöpft aus wie damals, als unsere Lebensläufe noch verbandelt waren, aber - und ich gebe zu, dass mir das auf meine chauvinistische Art immer noch wichtig ist - ich hatte sie viel besser aussehend in Erinnerung.

      9.

      Du siehst ihn zuerst, den Thomas, der mit nur 20 Minuten Verspätung den Platz betritt. So alt, schon wieder dieses A-Wort, aber Thomas ist wirklich fürchterlich alt geworden, ein drahtig-schlacksiger Methusalem mit weißblonden Struwweln und einem flusigen, aus sich herausgewachsenen Dreitagebart, nichts Gefärbtes darin, man sieht gleich, dass Thomas' einstige Mähne nicht auf die gewöhnliche Art ergraut ist, sondern sich vom ursprünglichen Kastanienbraun in das eigentümlich schlohige Gelb alter Männerhaare verwandelt hat. Alt, aber bunt ist er.

      Mit einem Mal wird dir bewusst, dass nur du schwarz-weiß geblieben bist: Wo bei dir bestenfalls die Riemen aus Rindsleder für ein wenig warmes Ocker vor dem Filzgrau deiner Jacke, dem Dunkelgrau deines langen Wanderrocks und dem Lackschwarz deiner Schnürstiefel sorgen, da ist bei Thomas alles von grellbunten Farben, Mustern und Symbolen übersät. Bei ihm baumeln Textilschlaufen, klimpern Metallnippel und schlackern Schnallen aus Plastik. Hut und Jacke sind aus leuchtender Kunstseide oder eher aus diesen neumodischen künstlichen Antischwitztextilien, das Brillengestell ist rot und die Hose grün, kaum mehr als solche zu bezeichnen, so viele Veränderungsmöglichkeiten versprechen die Reißverschlüsse und aufgenähten Taschen. Und er hat ein Ungetüm von Rucksack umgeschnallt, mit dem man den Mond besteigen könnte.

      Thomas ist im Alter also ein farbenprächtiger Kerl geworden, wettergegerbter Abenteurer, Bergsteiger, Ozeansegler und Wüstendurchquerer, ohne ihn das fragen zu müssen, ohne seit Jahrzehnten irgendetwas von ihm gehört zu haben, weißt du sofort, dass dieser Thomas längst die ganze Welt hinter sich hat. Dass für ihn der Pilgerweg von O nach M keine Wanderung werden würde, sondern eine Gefälligkeit; eine Gefälligkeit einer alten Dame gegenüber, eine Gefälligkeit dir zuliebe. Dir nichts zutrauend und sich aber nichts draus machend, dir sogar helfen wollen würdend, völlig ignorierend, dass du nicht einen Tag älter bist als er, dass vielmehr er als der um Jahre (so war es dir damals vorgekommen) ältere Sitzenbleiber eines Tages auf die Schulbank neben dich gesetzt worden war.

      Thomas!, sagst du, als er dich entdeckt und auf dich losmarschiert, als wolle er dich umrennen, und statt ihm die Hand zu geben, steckst du dir den kleinen Finger dieser Hand ins rechte Ohr, das heute mal wieder besonders verschlagen ist; dieses Ohr, denkst du, statt dich auf ihn zu konzentrieren. Er wird von deiner Reserviertheit ausgebremst, hebt die Arme, was aussieht wie Schulterzucken, und dann sagt er etwas, was du mit dem Finger im Ohr nicht verstehst, weil ausgerechnet jetzt auch das andere Ohr verrückt spielt, aber er wird deinen Namen gesagt haben, oder Hallo oder so etwas, du erschrickst fast wegen des Fingers, weil sich das nicht schickt, du ziehst ihn wieder heraus und reichst ihn, nein, reichst deine ganze Hand deinem Gegenüber, ziehst sie aber, bevor er danach greifen kann, wieder zurück, wischst dir den vermeintlichen Ohrdreck ab und

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