Die Sümpfe. Gerhard Wolff
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Auch am nächsten Tag war Tom aus Liebeskummer und aus Verzweiflung über das Verhalten seines Vaters von zuhause in die Dorfkneipe geflüchtet und hatte mehr getrunken als er wollte, jedenfalls mehr, als er vertrug. Nun saß er zusammengekauert am Tresen und starrte in sein Bierglas.
„Sieh an, wen haben wir denn da?“
Tom hörte eine Stimme neben sich und drehte sich danach um. Er erkannte Piet Stevens, einen Bauernsohn, der seinen Hof in der Nähe von Tom hatte. Tom schwieg und wandte sich wieder seinem Glas zu.
Er und Piet verstanden sich nicht nur nicht, es bestand eine alte Fehde zwischen den beiden Familien, niemand wusste mehr genau warum, es war um Land gegangen. Allerdings wussten noch alle, dass Toms Familie den Streit verloren hatte. Dieser Stachel saß noch heute tief und die Stevens vergaßen in keiner Generation, diese Wunde stets aufs Neue aufzureißen.
„Man schaue sich das an: Unser lieber Tom bei einem Glas Bier!“ Stevens ließ nicht locker und machte weiter Späße auf Toms Kosten. Er war mit einigen Freunden da, die Tom umringten und die sich ebenso auf seine Kosten amüsierten, wie die übrigen Gäste, die grinsend zu ihnen herüber sahen. „Sollte unser Tom doch ganz nach seinem Vater kommen. Man dachte, unser lieber Tom rührt keinen Alkohol an, aber da setzen sich doch wohl die Gene durch!“
Tom spürte Ärger in sich aufkommen, aber er fühlte sich schwach und Piet war ihm heute auch gleich. Also fiel er hilflos in sich zusammen. „Verpiss dich!“, meinte er nur und winkte ab.
„Oh, oh, oh, welch schlimmes Wort!“, rief nun Piet gekünstelt empört. Er drehte sich zu seinen Freunden und den anderen Gästen um. „Und das aus dem Mund eines so feinen und disziplinierten Menschen wie Tom.“ Er wandte sich wieder Tom zu und beugte sich zu ihm herunter. „Oder sollten wir uns in dir getäuscht haben?“
„Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe und gehst nach Hause zu deinen Schweinen. Da gehörst du hin!“, brummte Tom und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Zu denen passt du!“
Obwohl Piet den Streit begonnen hatte, zuckte er zusammen und man sah ihm an, dass er sich provoziert fühlte. „Da gehörst du vielleicht hin, du besoffenes Schwein!“, zischte er nun böse.
Tom sah ihn noch immer gleichgültig an. „Lass mich doch einfach in Ruhe, Piet!“, begann er langsam. „Warum feierst du nicht mit deinen Freunden und lässt mich in Ruhe. Ich habe keine Lust auf eine Unterhaltung mit so einer Schnarchnase wie dir!“ Tom dachte, dass die Unterhaltung damit beendet wäre und wandte sich an den Wirt. „Noch ein Bier, Hein!“
Da hatte er sich jedoch getäuscht. Obwohl Piet die Provokationen begonnen hatte, brodelte es in ihm mehr und mehr.
Einer seiner Begleiter trat auf ihn zu. „Lass den doch!“, meinte er. „Der hat doch schon genug. Tom hat Recht: Lass uns lieber feiern!“
Doch Piet warf ihm einen bösen Blick zu und schob ihn beiseite. Er überlegte krampfhaft, wie er Tom treffen konnte. „So ganz allein heute, Tom!“, begann er nach einer Weile wieder. „Bist doch sonst nicht allein!“
Er sah zu seinen Freunden, die nun wieder über beide Backen grinsten.
Tom hörte nur mit halbem Ohr hin und nahm einen Schluck.
„Warst doch in letzter Zeit immer mit Anne vom Krügerhof zusammen.“ Piet ging grinsend in der Kneipe auf und ab. „Man hat dich doch immer mit Anne gesehen. Da war doch was zwischen euch!“
Tom horchte nun auf und sah Piet ärgerlich an. „Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe, du Schwachkopf?“
Piet gab keine Ruhe. Er spürte instinktiv, dass er ein Thema gefunden hatte, mit dem er Tom erreichen und verletzen konnte.
„Ich wundere mich nur, warum Anne doch angeblich deine Freundin ist, dein einziger Freund heute Abend aber nur ein Glas Bier ist und …!“ Er machte eine Pause, in der es totenstill im Raum geworden war und sich auch die Mienen der Anwesenden versteinert hatten. „… und deine Anne mit dem Sohn des größten Bauern in der Gegend in der Disco abhängt. Da kommen wir nämlich gerade her.“
Tom sah ihn nun mehr enttäuscht als provoziert an.
„Saßen eng umschlungen auf einem Sofa im Halbdunkel der Disco, die beiden. Keine Ahnung, was die da gemacht haben?“ Er grinste immer noch sein breites, böses Grinsen.
Die anderen Gäste sahen gespannt zu, was geschah.
„Würde mich nicht wundern, wenn Mike ihr alles gezeigt hat, dort im Halbdunkel!“
Tom stand auf und stellte sich wankend vor Piet hin. Er schwieg jedoch, denn in ihm hatte sich eine tiefe Trauer breit gemacht. Er legte einen Geldschein auf den Tresen. „Stimmt so!“, meinte er und wandte sich zum Gehen.
Piet erkannte, dass es ihm noch nicht gelungen war, ihn zu provozieren. Plötzlich hielt er Tom am Arm fest und sah ihn böse an. „Mädchen entscheiden sich wohl nicht für solche Loser wie dich!“
„Lass mich los!“, lallte Tom hilflos und streifte die Hand von seinem Arm.
„Die Mädchen aus dieser Gegend entscheiden sich für Jungens mit großen Höfen und nicht so Klitschen wie eurer!“
Tom versuchte, an Piet vorbeizukommen, aber der packte ihn wieder am Arm.
„Mädchen aus dieser Gegend entscheiden sich nicht für Typen aus Säuferfamilien, sondern für anständige Menschen!“
Tom fühlte einen Stich im Herzen, reagierte jedoch noch immer nicht auf die Provokationen des Mannes. Er wollte nur weg von hier, wollte irgendwohin, wo er allein sein und trauern konnte, torkelte an Piet vorbei in Richtung Eingang.
Da stellte Piet ihm ein Bein und Tom fiel hin.
Alle lachten.
„Da muss wohl einer noch laufen lernen!“, kommentierte Piet wiehernd.
Tom versuchte aufzustehen, aber da gab ihm Piet einen Tritt in den Hintern, so dass er wieder zu Boden ging.
Schallendes Gelächter erfüllte den Raum.
Da kam Tom zu sich. Er vergaß seinen Schmerz, begriff die Situation, atmete tief durch, versuchte den Alkohol zu bekämpfen und sich zu konzentrieren. Er fühlte, wie er seinen Körper und seinen Geist unter Kontrolle bekam. Plötzlich schnellte er hoch und stand mit eingeknickten Knien in der Pferdstellung vor Piet.
Dieser schätzte die Situation völlig falsch ein. „Na, wohl noch etwas wacklig auf den Beinen!“; kommentierte er Toms Stellung, ohne zu ahnen, dass es sich dabei sowohl um eine sichere Verteidigungs- als auch eine gefährliche Angriffsposition handelte.
„Soll ich dir unter die Arme greifen?“, fragte Piet scheinheilig und näherte sich Tom, um ihn nochmals umzustoßen. „Du siehst so aus, als ob du gestützt werden müsstest!“
Wieder lachten die Anwesenden.
Es war für Tom ein Leichtes, den Angriff des Mannes mit einem Olgul-makki mit einer Hand abzuwehren.
Piet stutzte. „Willst wohl frech werden, du Null?“, fragte er ärgerlich. Er bemerkte nicht, dass es still im Raum geworden war, denn viele