Das Wolkenreich. Eike Ruckenbrod
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In Windeseile entfernten sich die Tiere, Kopf an Kopf, vom Schlossgelände und dem Einfluss der Hohepriesterin. Sie preschten an sanft ansteigenden Wolkenhügel vorbei und sprangen über kleine Wolkenbänke. Unendliche, weiße Weite umgab sie. Nichts, das sie aufhalten konnte …
Die Reiter konzentrierten sich nur auf den Sieg und achteten nicht auf die Richtung, die sie eingeschlagen hatten. Hart pfiff ihnen der Gegenwind ins Gesicht und riss an ihren langen Haaren und Kleidern. Nebeltröpfchen setzten sich auf die Wettstreiter und ließen sie feucht glänzen.
Tränen verschleierten Rialas Blick, als Kah ein Stück weit aufholte. Riala glaubte ihren Augen nicht zu trauen, rieb die Tränen mit einer hastigen Bewegung weg und trieb ihre Stute energisch an: Nein, das darf nicht sein, du musst gewinnen! Los lauf! Lauf!
Meju galoppierte so schnell sie konnte und holte den Vorsprung wieder auf. Riala war so im Rennfieber, dass sie nicht merkte, wie die Temperatur immer niedriger und die Wolkenteppiche dunkler wurden. Schon kroch ihr die Kälte in die Fingerspitzen und in die nackten Zehen. Jolanis trieb Kah hart an, denn nun wollte er es wissen. Mit weit ausholenden Galoppsprüngen gelang es dem Hengst, die Geschwindigkeit zu erhöhen und Meju fiel nach ein paar Sprüngen auf Schulterhöhe zurück.
Riala kämpfte nun mit echten Tränen. Sollte das ihre Niederlage werden, wo sie doch immer die Schnellste war?
Nein, sie würde nicht aufgeben! Abermals trieb sie die Stute an, deren weit geöffnete Nüstern in kurzen Abständen hart nach Luft pumpten. Unter Mejus seidigem Fell zeichneten sich deutlich die Adern ab. Schaumkrönchen bildeten sich allmählich auf dem Pferdekörper, die ein paar Pferdelängen weiter auf den Wolkenteppich fielen.
Riala legte sich so flach wie möglich auf den Hals des Tieres und schloss die brennenden Augen.
Niemals werde ich verlieren … niemals, das wird Meju nicht zulassen … ich darf nicht …
Plötzlich wirbelte die Stute um ihre eigene Achse und flog durch die Luft wie von einem mächtigen Saugrohr angezogen. Wild nach Halt suchend, ruderte das starke Tier mit den Beinen. Riala stockte der Atem. Fest krallte sie ihre steifen Finger in Mejus Mähne. Sie durfte auf keinen Fall herunterfallen. Die Luft war inzwischen bitterkalt. Riala warf einen panischen Blick in die Runde und sah zu ihrem Entsetzen rundherum nur graue Wolken, die ihr schreckliche Angst einflößten. Sie befand sich in einem trichterförmigen Wolkenschlauch, der steil abfiel.
O Gott, nein, wir sind in den grauen Wolken gelandet. Und von Jolanis ist weit und breit keine Spur. Hysterisch schrie sie Gedanken nach dem Jungen und nach Hilfe. Angespannt horchte sie in sich hinein. Ihr Herz raste und ihr Körper bebte. Aber außer dem Wind, der um ihre Ohren pfiff, nahm sie keinen Ton wahr. Ein eiserner Ring legte sich um ihre Brust, der ihr langsam die Luft abschnürte. Tränen kullerten hemmungslos aus ihren Augen und gefroren rasch zu kleinen Perlen.
Die Stute kämpfte vergeblich gegen den Sog an. Spiralförmig wirbelten sie immer weiter und weiter in den eisigen Strudel hinein. Der Schweiß auf Mejus Fell gefror zu einem harten Panzer. Verzweifelt, unter qualvollen Schmerzen, betete Riala und gab alle möglichen Versprechen ab. Aber es half nichts, die Kälte nistete sich unbarmherzig in ihrem zarten Körper ein und brachte ihn nach und nach zum Erstarren. Auf ihrer Haut bildete sich eine dünne Eisschicht, ihre Lippen färbten sich blau und ihr Haar stand starr gefroren zur Seite. In Todesangst bat und bettelte Riala so lange, um Wärme und Rettung, bis sie ohnmächtig auf den Hals des völlig entkräfteten Einhornes sank.
Jolanis spürte, wie der Hengst von einem gewaltigen Sog angezogen wurde. Was ist denn nun los? Riala, nein, nicht weiter reiten … nicht weiter!
Das Mädchen nahm seine dringlichen Gedanken schon nicht mehr wahr. Es war vom eisigen Strudel verschluckt worden.
Kah spürte die Anspannung seines Herrn und stemmte sich gegen den Sog. Jolanis versuchte den Hengst zu wenden. Aber so arg er sich bemühte, das Einhorn konnte nicht mehr umkehren. Schon spürte der Junge, wie die eisige Kälte schmerzhaft von seinem Körper Besitz nahm.
Kah! Kah rette uns! Du musst alles geben! Der Hengst bäumte sich auf. Seine erkalteten Muskeln zitterten.
Da der Sog Jolanis fast vom Einhornrücken riss, wickelte er Kahs Mähne um seine Unterarme. Streng dich an, du schaffst es!, trieb er den Hengst hart an.
Stück für Stück kamen sie voran, aber die Kälte war ihr größter Gegner, denn sie nahm ihnen zuerst die Kraft und schließlich das Bewusstsein.
Kesimo beobachtete, wie Jolanis mit der wunderschönen Riala davonritt, und verfolgte die beiden mit großem Abstand.
Der Nebel machte es ihm leicht, unbemerkt zu bleiben. Außerdem hatten die zwei nur ihr Rennen im Sinn. Er wollte ja nicht neugierig sein, aber vielleicht würde es ja ganz interessant werden. Er wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis Jolanis endlich gewann. Und er selbst könnte dann Riala ein wenig über ihren Schmerz hinweg trösten … Der Gedanke zauberte ein Lächeln auf seine Lippen.
Und nun stand Kesimo da und beobachtete, wie die zwei Wettstreiter in einem wirren Strudel von grauen Wolken verschwanden.
In diesem Augenblick verwandelte sich der Strudel zu einem riesigen Maul mit gewaltigen, spitzen Zähnen. Die Wolken darum herum wurden zu messerscharfen Krallen. Einen winzigen Augenblick leuchteten glutrote Augen zwischen den schwarzen Wolken auf. Kesimo durchfuhr ein eisiger Schrecken. Mutter meiner Seele, was geschieht hier? Ich muss ihnen helfen! Aber wie? Schnell, schnell, was soll ich nur tun?
Rasch trieb er Ares, seinen jungen Einhornhengst, todesmutig an und preschte in Richtung des Strudels, der wieder ganz harmlos aussah.
Bald kroch auch ihm die Kälte unter die Haut. Der Sog zerrte unbarmherzig an Haaren und Kleidern. Ares blieb abrupt stehen und ging keinen Schritt mehr weiter.
Hey, was ist los? Wir müssen sie retten!
Aber das Tier stemmte, mit angstgeweiteten Augen, fest die Hufe in die Wolken. Kesimo blickte sich panisch um. Nichts, das ihm helfen konnte, war in erreichbarer Nähe. Er riss sich sein langes Gewand vom Leib und teilte es, mithilfe seiner Zähne, blitzschnell in Streifen. Rasch knotete er diese fest zusammen und band ein Ende an Ares fest.
Du bleibst hier stehen, und wenn ich es befehle, dann ziehst du mich wieder raus!
Der Hengst wieherte. Kesimo schnürte das andere Ende um seine schlanke Taille und sprang kopfüber in den Strudel. Augenblicklich drang die Kälte durch seine nackte Haut.
Er klapperte schon mit den Zähnen, als er endlich Jolanis erblickte. Der Schreck durchzuckte ihn, als er diesen vornübergebeugt, bewegungslos auf Kah kauern sah. Der Schimmel, der sich mit letzter Kraft gegen den Sog wehrte, schnaubte. Kesimo blickte sich angestrengt nach Riala um, konnte sie aber nirgends mehr entdecken. Schließlich versuchte er, zu Kah zu gelangen, verfehlte ihn aber ein ums andere Mal. Schon verließen auch ihn seine Kräfte. Der Hengst beobachtete den Jungen und arbeitete sich in seine Richtung vor. Endlich gelang es Kesimo, Kahs lange Mähne zu ergreifen und zog sich mit letzter Kraft auf das Tier. Mit steifen, zittrigen Fingern band er Jolanis an sich fest und klammerte seine Beine um Kah.
Ares, mein geliebter Freund nun zeige, dass du der Beste bist und zieh! Zieh! Und du, Kah, hilf ihm, drücke dich gegen den Sog! Rettet uns, ihr edlen Hengste vom Sonnenreich!
Ares