Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht
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„Na, ja, im Leben passieren oft die seltsamsten Dinge“, antwortete Sarah und gab Philipp damit keinen Hinweis, ob es sich beim jetzigen Zusammentreffen wirklich um einen Zufall handelte.
„Wie geht es dir so?“ fragte Philipp, der das schweigsame Gehen offenbar schwerer aushielt als Sarah.
„Danke, es geht“, antwortete sie.
„Wie bist du gerade darauf gekommen, nach Afrika zu gehen, du warst doch nie besonders erpicht darauf, die Welt zu sehen?“ fragte er weiter.
„Du hast ja gehört, was ich gesagt habe, jemand hat mich darauf gebracht und da mich hier nichts hält, war es eigentlich ganz naheliegend, oder glaubst du das etwa nicht?“, erwiderte Sarah.
„Doch, doch, es ist nur so komisch, dass wir uns so lange nicht mehr gesehen haben und jetzt laufen wir uns praktisch dauernd über den Weg“ bemerkte Philipp.
„Jetzt übertreib‘ aber nicht“, sagte Sarah, „nur weil wir uns zwei Mal gesehen haben.“ Nach einer Pause sagte sie: „Philipp, ist es dir eigentlich unangenehm, mich zu treffen?“
„Wie kommst du darauf“, fragte Philipp und tat irgendwie überrascht.
„Es kommt mir so vor“, antwortete sie.
„Ich habe nicht vergessen, was vor neun Jahren passiert ist“, sagte er.
„Weißt du überhaupt, was passiert ist?“ fragte sie.
„Ich weiß, was für mich passiert ist, und dich habe ich hundertmal gefragt, was dich dazu getrieben hat, so zu handeln, aber du hast es mir nie gesagt.“ Bei den letzten Worten war Philipp langsamer geworden, trotz der Kälte.
„Willst du es wissen?“ fragte Sarah.
„Ich weiß nicht, ob ich jetzt noch irgend etwas wissen will, was damit zusammen hängt. Es ist viel Zeit vergangen, und irgendwann, sehr, sehr langsam, habe ich mit dem damaligen Geschehen abgeschlossen. Hätte ich das nicht geschafft, dann hätte ich wohl nicht normal weiter leben können. Heute weiß ich nicht, ob ich diese Büchse der Pandora, die da irgendwo in mir schlummert, wieder öffnen möchte, denn noch einmal würde ich das Ganze nicht ertragen.“ Sie waren an die Straßen- und U-Bahnhaltestelle bei der Oper gekommen, wo sich ihre Wege trennten. „Aber vielleicht ist es auch gut, dass wir uns getroffen haben und dass wir wieder reden können“, ergänzte Philipp. Er wollte noch etwas sagen, fand aber keine Worte.
„Bis bald!“, verabschiedete sich Sarah und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann ging sie die Treppe zur U-Bahn hinunter, während Philipp auf seine Straßenbahn wartete und ihr nachsah.
In dieser Nacht lag Philipp bis ein Uhr wach in seinem Bett, starrte in die Dunkelheit der Decke und dachte über den Abend nach. In seinem Herzen hatte sich eine Tür einen Spalt breit geöffnet, die er für immer verschlossen geglaubt hatte. Alles in ihm wehrte sich aber dagegen, sie auch nur ein klein wenig weiter zu öffnen, da er fürchtete, dass sich am Ende wieder nur Leid, Schmerz und Hoffnungslosigkeit dahinter verbargen.
8.
In den nächsten Wochen freute sich Philipp jedesmal auf die zwei Stunden am Montag und Donnerstag Abend, die er mit der Vorbereitung auf seine künftige Beschäftigung verbrachte. Wie schon am ersten Abend ließ Fritz bei seinem Vortrag keine Langeweile aufkommen und ergänzte auch trockenere Themen immer mit spannenden Geschichten aus seiner Praxis. Da er sich bei seinen Besuchen in den Projektgebieten regelmäßig mit den vor Ort tätigen Mitarbeitern austauschte, blieb er bei allen Unternehmungen auf dem Laufenden.
Am vierten Abend beschloss man wieder, gemeinsam wegzugehen und diesmal schloss Philipp sich an. Sarah ging ebenfalls mit und da auch sonst keiner fehlte, war der gesamte Kurs vertreten. Es war der 20. Januar und – wie an den vorhergehenden Abenden auch – bitter kalt. Man ging deshalb in ein Gasthaus gleich in der Nähe, das Fritz recht gut kannte. Es hieß „Zum alten Römer“ und war einfach, aber gemütlich eingerichtet. Holztische und Holzbänke luden zum Hinsetzen ein und in der Ecke stand ein großer Kachelofen, der die heimelige Wärme der Gaststube noch unterstrich. Von den etwa zehn Tischen im Lokal waren drei besetzt, so dass die kleine Gruppe problemlos Platz fand. Die Speisekarte wirkte äußerst anziehend auf alle, sie war voll mit echter Wiener Hausmannskost und auch die Größe der Portionen konnte sich sehen lassen, wie die Speisen der anderen Gäste bewiesen.
Als alle bestellt hatten, entwickelte sich ein nettes Gespräch, bei dem es sehr lustig zuging, wobei sich vor allem Piet als richtige Stimmungskanone erwies. Helmut war so, wie er bei seiner Vorstellung am ersten Kursabend gewirkt hatte, sehr überlegt und ruhig, aber auch sehr ernst. Er sprach offensichtlich gerne über Probleme jeder Art, tagespolitische, wissenschaftliche oder philosophische, eben alles, was ihn gerade beschäftigte. Diese Eigenschaft kam auch Philipp sehr entgegen, der zwar bei Albernheiten mitmachte, dem aber im Grunde ernsthafte Gespräche lieber waren. Deshalb unterhielt er sich an diesem Abend auch viel mit Helmut, der sehr interessant über sein Studium und die Erlebnisse bei der Ausbildung zum praktischen Arzt erzählen konnte.
Alfred war der einzige, der kaum etwas sagte. Auf Grund seines Verhaltens vermutete Philipp eine Art Minderwertigkeitsgefühl oder Unsicherheit bei ihm, wobei nicht klar war, was dem zu Grunde lag. Es schien aber, dass Fritz ihn kannte und auf keinen Fall abseits stehen lassen wollte, da er ihn immer wieder bewusst ins Gespräch einbezog, was schließlich auch den Erfolg zeitigte, dass Alfred ein wenig auftaute.
Sarah war in dieser Runde der weibliche Hahn im Korb. Sie verhielt sich in solchen Situationen immer äußerst charmant. Philipp und sie ließen nach außen nicht erkennen, welches gemeinsame Schicksal sie verband. Zumindest in dieser Hinsicht bestand Einvernehmen zwischen ihnen.
Unerwartet begann Piet mit Philipp eine Unterhaltung, als dieser mit Helmut gerade wieder einmal ein Thema erschöpfend abgehandelt hatte. Er fragte ihn nach seiner bisherigen Arbeit und was die genauen Gründe für den Entschluss waren, seine jetzige Firma zu verlassen. Philipp versuchte, ihm so gut er es konnte verständlich zu machen, was an seiner derzeitigen Situation so unerträglich war und fragte Piet dann genauer nach dessen Wurzeln, wo in Holland er aufgewachsen war und was er in seiner Jugend gemacht hatte. Es war nicht Höflichkeit, die ihn diese Fragen stellen ließ, sondern einfach Interesse an den Mitstreitern im Kurs, die das gleiche Schicksal gewählt hatten wie er. Außerdem wollte er immer etwas über andere Länder erfahren, die er bisher noch nie gesehen hatte. Das Gespräch machte Philipp großen Spaß, da Piet eine sehr witzige Art hatte, die Dinge zu erzählen. Dieses Talent schien den Holländern in die Wiege gelegt worden zu sein, denn Philipp konnte sich keines Vertreters dieser Nationalität entsinnen, der auf den Mund gefallen war. Zwischendurch beschlich ihn allerdings das seltsame Gefühl, dass es da etwas gab, das Piet dazu trieb, von sich zu erzählen. Er schien den Wunsch zu verspüren, etwas loszuwerden, etwas, über das er nicht sprechen konnte, weshalb er alles andere, worüber er reden konnte, ständig zum Thema machte. Aber als diese Ahnung bei Philipp auftauchte, vertrieb er sie auch schon wieder, da er keinerlei rationale Erklärung dafür fand.
Irgendwann während des Gesprächs erwähnte Philipp, dass er früher einmal Mitglied bei einem Schachklub gewesen sei, worauf ihm Piet sofort erzählte, dass er ebenfalls in seiner Jugend vereinsmäßig Schach gespielt habe, jetzt aber – auch mangels eines geeigneten Partners – so gut wie nie mehr zum Spielen kam. Er fragte Philipp, ob er nicht einmal auf eine Partie Schach und ein Glas Wein zu ihm kommen wolle. Seit der Trennung von Babsi starrte Philipp am Abend regelmäßig der Einsamkeit ins Gesicht, so dass er nicht lange zu überlegen brauchte, bevor er zusagte. Neben der Aussicht auf einen netten Schachabend hatte