Die Regeln der Gewalt. Peter Schmidt

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Die Regeln der Gewalt - Peter Schmidt

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wieder das Haus verlassen. Der Rehpinscher wurde zum zweiten Mal ausgeführt. Werders verscheuchte ihn mit der Zeitung, als er an seinem Schuh das Bein hob.

      Wagen fuhren am Gebäude der OLCO vor, jüngere Männer stiegen aus – und nach kurzer Zeit wieder ein. Kuriere, dachte er. Er war auf ein Agentennest gestoßen. Langsam wurde er hungrig. Der Kiosk bot belegte Brötchen an, und er bestellte zwei mit Käse und Zervelatwurst und trank eine Flasche Mineralwasser dazu.

      Endlich verließ ein Mädchen das Haus. Werders warf beides – die Zeitung und das Magazin – in den Abfallkorb und folgte ihr. Er nahm an, dass es das Mädchen war, das ihn weiterverbunden hatte, nur eine zweitrangige Bürokraft. Unwahrscheinlich, dass sie seine Stimme wiedererkannte.

      Sie trug hochhackige Schuhe, einen billig aussehenden, dünnen Mantel, Strümpfe wie aus dem DDR-Kaufhaus – nach so vielen Jahren sah man ihrer Garderobe immer noch an, woher sie stammte.

      Ihre Figur allerdings war durchaus attraktiv. Außerordentlich attraktiv sogar, dachte Werders – und er versuchte damit zugleich sein schlechtes Gewissen zu überspielen, dass die anderen nun auf Gedeih und Verderb den wahren Plänen Paul Walters ausgeliefert waren – ob er sie an das BKA verriet oder aber ganz andere Absichten verfolgte –, während er hier einem hübschen, brünetten Mädchen aus Ostdeutschland nachstieg.

      Andererseits war es reiner Selbsterhaltungstrieb, nicht sofort zum Haus zurückzukehren, sondern erst einmal abzuwarten, was geschah. Es gab dort kein Telefon, über das er sie hätte warnen können.

      Wenn man von anderen Vorteilen absah … denn ein Kontakt mit ostdeutschen Stellen konnte sich irgendwann als nützlich erweisen. Es gab nicht sehr viele Ausweichquartiere. Eine Flucht nach Ostdeutschland war nicht das, was er wollte. Doch wenn das Kesseltreiben gefährliche Formen annahm, würde er sich das vielleicht noch einmal überlegen. Ostdeutschland war dann sicherer als der Westen. Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er dem Mädchen in ein armseliges Imbisslokal folgte, das nichts weiter als Spaghetti, drei Sorten Bratwurst und einen Eintopf anbot.

      Sie wählte den Eintopf, es war Bohneneintopf.

      Er nahm dasselbe und setzte sich neben sie an den Kunststofftisch.

      «Ausgezeichnet», sagte er und reinigte seine Brillengläser mit der Serviette, weil sie vom Dampf aus der Terrine beschlagen waren.

      «Bitte?» Sie hob überrascht den Kopf. Er sah, dass ihr Gesicht leicht gerötet war, besonders um die Augen – als wenn sie vor kurzem geweint hatte.

      «Heiß … heiß kommt immer gut. Bei dem Wetter.»

      «Ja.»

      «Die Bohnen sind ausgezeichnet», wiederholte er. «Ich bin nicht von hier. Gute und preiswerte Küche ist nicht leicht zu finden, wenn man irgendwo fremd ist. Es macht vieles leichter, wenn man Bekannte vor Ort hat. Zum Beispiel – sehen Sie –, heute Abend würde ich gern ins Kino gehen. Aber bis man sich in einer fremden Stadt durchgefragt hat, haben die Filme womöglich schon angefangen.»

      «Konnten Sie‘s denn nicht in Ihrer Pension erfahren?», fragte das Mädchen.

      «Oh, ich … ich habe noch gar kein Quartier, ich bin sozusagen noch ohne – ja, ohne jede Disposition.»

      «Merkwürdiger Ausdruck dafür, dass Sie nicht wissen, wohin», sagte das Mädchen.

      «Warengeschäfte. Da schlagen immer die alten Ausdrücke durch.»

      «Sind Sie Vertreter?»

      «So was Ähnliches.»

      Sie aßen schweigend.

      «Drüben im Gloria läuft ein netter Film, etwas Leichtes. Mit einem französischen Komiker. Dieser kleine Kerl, der immer Grimassen schneidet. Den Titel habe ich leider vergessen.»

      «Genau, was ich suche.» Werders löffelte weiter seinen Eintopf. «Und es ist in der Nähe?»

      «Schräg über die Straße», sagte sie.

      «Darf ich Sie vielleicht einladen? Ich meine – sozusagen, um mich für Ihre Hilfe zu revanchieren? Ganz unverbindlich. Sie gehen keinerlei Verpflichtungen ein. Es ist nur … ja, wenn man fremd ist in einer Stadt, sucht man nach ein wenig Gemeinsamkeit.»

      «Gern», sagte Sie zu seiner Überraschung und stand auf. «Lassen Sie uns gehen …»

      Er zahlte an der Theke die beiden Terrinen, und sie ließ es ohne Protest zu.

      «Danke, dass Sie sich meiner annehmen wollen», sagte er, während er sich draußen bei ihr einhängte.

      «Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Ich war einfach in der Laune dazu – beruflicher Ärger.»

      «Ja, das kenne ich. Vorgesetzte?»

      «Man weiß nie, wie man es ihnen recht machen soll …»

      «Überall das Gleiche. Niemandem kann man es recht machen.»

      «Wem sagen Sie das?»

      «War es so schlimm?»

      «Eben kam ein Anruf – bitte verstehen Sie, dass ich nicht über Einzelheiten reden kann, es handelt sich um Geschäftsgeheimnisse –, und gewöhnlich werden wir nur von gut bekannten Geschäftspartnern angerufen. Es kommt praktisch nicht vor, dass sich jemand ohne seine Kennzahl meldet – wir haben alle Kontakte der Einfachheit halber unter Kundennummern abgelegt», fügte sie schnell hinzu.

      «Kenne diese Praktiken», nickte er. «Rationalisierung, oder?»

      «Aber der Anruf nachmittags kam von einem Fremden. Ich war etwas verwirrt, es … es war eine ungewöhnliche Situation – deshalb gab ich ihn weiter.»

      «Völlig verständlich», bestätigte er.

      «Und was glauben Sie, welchen Ärger mir das eingetragen hat?» Sie blieb stehen und wandte sich mit geballten Fäusten um. Ihr Gesicht war rot vor Zorn.

      «Fräulein Tauber…»

      «Ihre Vorgesetzte?»

      «Ein Biest», nickte sie. «Der Anweisung nach hätte ich antworten müssen mit: Hier OLCO-Osthandelsgesellschaft Leipzig, Zweigstelle Heidelberg. Sie meinte, sonst würden wir uns ja lächerlich machen, schließlich stehe unser Name außen am Haus, und es bedürfe keinerlei Rückfrage mehr. Alte Jungfer!

      In gewisser Weise hat sie natürlich Recht», fügte sie nüchtern hinzu.

      Den Film fand er langweilig: Opium fürs Volk. Eine Folge aus Blödeleien, um von Missständen abzulenken. Keine kritischen Töne.

      In seiner Jugend hatte er solche Schmarren verschlungen …

      Bis er erwachsen genug geworden war, um zu entdecken, dass man diesen Staat ganz anders sehen konnte, als er vorgab zu sein: statt ein Hort der Demokratie und Liberalität ein subtiles Repressionssystem zum Erhalt von Wirtschafts- und Machtstrukturen.

      Verdummung der Armen und Auszubeutenden. Freiheitsdemokratie: vor der Wahl Versprechungen, nach dem Wahltag Verteilung der Beute – und gegen Andersdenkende Polizeiknüppel. Staatliches Gewaltmonopol. Die Katze im Sack

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