Die Regeln der Gewalt. Peter Schmidt

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dreistere Tendenz zum Bespitzelungsstaat wie in den neuen Volksbefragungen, die Computerisierung vertraulicher Daten, Rechtsprechung von der persönlichen Finanzkraft abhängig – und sie saßen hier und sahen sich diesen blödelnden Film an.

      Ihr schien er zu gefallen. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust, und ihre Finger kraulten seinen Nacken. Eigentlich kämpften sie ja gegen den gleichen Feind: auch wenn sie nur eine ganz kleine Büroangestellte in ostdeutschen Diensten war.

      «Sag mal», raunte er ihr zu, «eure Firma sucht nicht etwa noch Leute, oder?»

      «Unsere … Firma?», prustete sie. «Nein.»

      «Ich meine, drüben vielleicht. Bei dir in Leipzig.»

      Er legte seinen Arm um ihre Schultern. «Du kehrst doch mal zurück, hab ich Recht? Hab‘s ziemlich satt hier im Westen. Ehrlich gesagt, wegen des Systems.»

      «Ziemlich bald sogar, in zwei Monaten.»

      «Würde jede Tätigkeit drüben annehmen – »

      «Wirklich jede?»

      «Jede

      «Hm. Es gibt da gewisse Aufträge.»

      «Mir ist alles recht.»

      «Heikle Aufträge, meine ich …»

      «Kann gar nicht hoch genug hergehen – nach dem öden Verkaufstrott hier in den letzten Jahren.»

      «Auch Arbeit in der BRD?»

      «Warum nicht?»

      «Tja, weißt du … ich könnte mal mit einem der Herren sprechen – ganz unverbindlich natürlich –, ob sie noch für jemanden wie dich Verwendung hätten.»

      «Das wäre riesig nett.»

      «Wo kann man dich denn erreichen?»

      «Zur Zeit bin ich unterwegs. Ich würde nächste Woche wieder herkommen und dich abholen.»

      «Das würdest du wirklich tun?»

      «Ehrenwort, ja. Wieso denn nicht?» Er sah sie fragend an – bis sie leicht errötend seinem Blick auswich ...

      Als sie sich gegen elf trennten, wusste er, dass sie Eva Menge hieß und nichts anderes tat, als für einen Hungerlohn am Telefon codierte Nachrichten anzunehmen, was unschwer aus der seltsamen Art herauszulesen war, wie ihre Meldungen hereinkamen: mit einer Nummer zur Kennzeichnung des Agenten und einer sogenannten «Bestellung», die dann etwa lautete:

      «Ersatzteil Nummer 050/277, Eisenguss, Vanadiumachse, Chromlager, für Werkzeugmaschine Typ «Lerche», mit Zahnkranz 18/8, Lieferung Oktober 83, Kombinat Karl-Marx-Stadt» – und eine Bedeutung hatte, die sie natürlich ebenso wenig kannte wie jemand, der zufällig oder aus Gewohnheit ihre Leitung abhörte: Agenteneinschleusungen, Termine für Kurierdienste, Warnungen oder dergleichen.

      Immerhin hatte er genug erfahren – wenn auch nichts über Walters Pläne.

      Werders nahm den letzten Bus. Er stieg eine Station früher aus, wo lediglich Zugang zum Bootshaus an einem Altarm des Flusses war, der im Osten hinter den Ackerwellen lag, und ging das Stück zu Fuß.

      Die Straße war menschenleer. Nirgends Autos, Hubschrauber, kein Geräusch aus Funksprechgeräten, auch nicht in der Ferne. Selbst die Vögel schienen das Gebiet zu meiden. Der Boden abseits der Straße war feucht und schlammig. Kalter Dunst stand zwischen den Stämmen.

      Er dachte an Eva, die Wärme, die Sie ausstrahlte. Ihre politische Unbedarftheit (er nannte es nicht Beschränktheit), die Naivität, mit der sie eine riskante Tätigkeit für ihr Land verrichtete – wohlmöglich, ohne sich der Gefahr klar bewusst zu sein – kamen ihm mit einem Mal äußerst erstrebenswert vor.

      Das Bedürfnis, in den Schoß der Unwissenheit zurückzukehren, sich abzuwenden von allen ideologischen Verrennungen, wurde für einen Moment fast übermächtig.

      Er stolperte und versackte bis zu den Knien in einer tiefen Laubgrube …

      Während er sich mühsam wieder herausarbeitete, brach die Dunkelheit herein. Erschöpft lehnte er sich gegen einen Baum und säuberte seine verschmutzten Hände. Dann arbeitete er sich langsam durch den Wald vor, bis er in der Finsternis die Umrisse des Hauses erblickte.

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