Stabile Seitenlage. Wilson Schmidt

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Stabile Seitenlage - Wilson Schmidt

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knapp. Nicht jedoch am Stadtrand, sondern in den angesagten Szenebezirken der Innenstadt, wo vielen vor lauter Hipness kaum Zeit bleibt, ihr Leben in geordnete Bahnen zu lenken, um später das zu führen, was man ein geregeltes Leben nennt und heute noch als spießig verdammt wird.

      Schusters hatten Berlin den Rücken gekehrt und waren an den Ort zurückkehrt, aus dem sie einst gekommen waren.

      Mit Schuster war ich in einvernehmlicher Reserviertheit ausgekommen: wir grüßten uns höflich und distanziert und vermieden engeren Kontakt, um ersteres nicht zu gefährden. Schuster war ein netter und zurückhaltender Kerl, der unter dem Pantoffel seiner Frau zu stehen schien. Gelegentlich hörten wir Frau Schuster mit ihrem unscheinbaren Mann schimpfen und toben. Schuster selbst hörten wir nie. Schuster wusste offensichtlich, dass manche Schlacht nicht zu gewinnen ist. Ohne Schuster in den sieben Jahren, in denen er mein Nachbar gewesen war, jemals näher kennengelernt zu haben, hielt ich ihn für einen weisen Mann.

      Eines Tages hatte Schuster geklingelt, sich von Frau Wilson und mir verabschiedet, uns ein angenehmes Restleben gewünscht, hatte die Begriffe Heimweh und Frau in einen zweiten stimmigen Hauptsatz gepackt und war, nachdem er seine Verabschiedungsformel gefloskelt hatte, in seinem Auto, in dem seine Frau bereits ungeduldig zeternd wartete, von dannen gerauscht.

      Nun, wo mir von Frau Wilson neue Nachbarn avisiert wurden, vermisste ich ihn zum ersten Mal. Schuster war berechenbar. Schuster und ich hatten uns arrangiert.

      Schusters Abgang ließ mich die Angewohnheiten der restlichen Zaungäste noch schwerer als bislang ertragen. Dessen wurde ich mir nun bewusst.

      Die fünfzehn Jahre alte Nachbarsgöre spielt Klavier. Zumindest versucht sie es. Es gelingt ihr nicht. Das weiß ich, weil sie stets bei geöffnetem Fenster spielt, so dass die Ohren der gesamten Nachbarschaft in Mitleidenschaft gezogen werden.

      Lehmann, der verwitwet und daraus resultierend somit laut eigener Aussage erster Sorgen ledig einige Häuser weiter wohnt, lässt seinen Köter in unschöner Regelmäßigkeit vor unsere Einfahrt kacken und schert sich einen feuchten Kehricht darum, dass Hundebesitzer angehalten sind, die Hinterlassenschaften ihrer Lieblinge in diese kleinen Plastikbeutelchen zu verfrachten und ordnungsgemäß – darüber, was dies genau bedeutet, mag ich nicht weiter nachdenken – zu entsorgen.

      Reimer, der zwei Häuser weiter wohnt und letztes Jahr in den vorzeitigen Ruhestand getreten ist, weiß unserer Bettruhe ein dröhnendes und jähes Ende zu bereiten, in dem er seine Harley-Davidson, mit der er sich sein Rentnerdasein jugendlich gestalten wollte und an der er täglich von früh bis spät herum zu schrauben scheint, sonntags in aller Herrgottsfrühe, wenn die berufstätige Restbevölkerung ihrem Erholungsschlaf frönt, röhren und knattern lässt.

      Hartmann wiederum liebt es, durch seinen Garten zu flanieren und dabei italienische Opern zu hören. Dass es Kopfhörer gibt, hat sich entweder noch nicht zu ihm durchgesprochen oder aber er buhlt um nachbarschaftliche Anerkennung, welch wunderbare Blumensträuße bunter Melodien er zu binden in der Lage ist. Mäht einer der anderen Nachbarn den Rasen, dreht er die Musik so laut, dass Rasenmäher und Pavarotti ein Duett bilden, welches die umliegenden Häuser wenn schon nicht in statische, wohl aber deren Bewohner in nervliche Schieflage bringt.

      Nachbarsgöre, Lehmann, Reimer und Hartmann ahnen nicht, wie rücksichtslos ich ihre Marotten finde, weil ich sie nie darauf angesprochen habe. Ich glaube, dass auch Schuster sich gestört fühlte. Gemeinsam hätten wir eine Allianz gegen diese Störenfriede bilden können. Aber Schuster war genauso harmoniebedürftig wie ich und nun dort, wo der Pfeffer oder was auch immer wächst.

      „Wir können sie ja mal einladen“, schlug Frau Wilson vor.

      „Wen?“, fragte ich meinen Gedanken nachhängend.

      „Die neuen Nachbarn – Krügers“.

      Es gab einen kurzen Meinungsaustausch zwischen meiner Frau und mir über die nachbarschaftliche Zurückhaltung zwischen Schusters und uns, die ich begrüßt, meine Gemahlin jedoch stets bedauert hatte. Meine Frau ist die kontaktfreudige Hälfte unserer Ehe. Ich hingegen weiß Ruhe sehr zu schätzen.

      Wenige Wochen später, als ich von der Arbeit heim kam, stand ein Möbelwagen, der es nahezu unmöglich machte, sich daran vorbeizuschlängeln, ohne sich an der schmutzigen Karosserie einzusauen, in der Einfahrt.

      „Die neuen Nachbarn ziehen ein“, teilte mir meine Gattin in der Haustür stehend mit, als hielte sie mich nicht in der Lage, eigene Schlüsse zu ziehen und naheliegende, wenn nicht gar offensichtliche Zusammenhänge zu erkennen.

      Mit einem Erstaunen vortäuschenden „Ach?“ schlängelte ich mich nun auch an ihr vorbei, um nur Minuten später von ihr in Kenntnis gesetzt zu werden, dass wir Krügers am kommenden Wochenende zum Grillen träfen.

      „Wer grillt denn?“, erkundigte ich mich.

      „Du.“

      Ich fragte mich, was Schuster wohl gerade machte.

      Anderthalb Stunden nachdem Krügers mit einem Blumenstrauß und zwei Flaschen Wein vor unserer Haustür standen, begann die „Sportschau“, was weder Frau noch Herrn Krüger zu stören schien. Es stellte sich im Laufe des Abends heraus, dass Krüger an Fußball so wenig interessiert war wie ich an seinen Analysen zur politischen Lage der Nation, die er bis vor gut zwei Jahrzehnten noch als Klassenfeind betrachtete.

      Das gegenseitige Desinteresse an den aufgebrachten Themen des jeweils anderen hätte mich zu der Frage, ob Krügers entweder Klavier spielten, einen Hund hätten und Motorrad führen, veranlasst, hätte Frau Wilson nicht regelmäßig mein rechtes Schienbein mit zierlichen, aber dennoch deutlichen Tritten traktiert, um unnötige Spannungen durch provokantes Schwatzen ihres Gatten im Keim zu ersticken – und wäre Krüger nicht meiner Plattensammlung ansichtig geworden. So unterhielten wir uns fast den ganzen Abend lang über unsere musikalischen Vorlieben und wenngleich diese voneinander abwichen, so konnten wir dennoch die Leidenschaft des anderen nachvollziehen.

      So wurde es ein durchaus erquickender Abend, an dem wir uns in wein- und bierseliger Laune das „Du“ anboten. Weit nach Mitternacht wankte Hansi Krüger im Arm seiner Gemahlin heimwärts.

      „War doch ein netter Abend gestern“, sagte Frau Wilson am nächsten Morgen, gerade als ich mir eine Kopfschmerztablette gegen diesen fürchterlichen Kater einwarf.

      Als ich aus dem Fenster sah, begannen Krügers mit dem lärmenden Umbau ihres Hauses, der seit nunmehr zweieinhalb Jahren noch immer nicht abgeschlossen ist.

      Brustmigration

      Frau Wilson, die gemeinsame Tochter und ich waren eingeladen. Die Schlacht um das Abendessen – leger und unverkrampft, jeder bedient sich am Küchenbuffet – war geschlagen. Alle saßen in netter Runde zusammen und unterhielten sich angeregt.

      Alle? Nicht alle.

      Einsam pilgerte ein Mann noch immer mehr oder weniger unauffällig in der Küche umher und naschte – ein Häppchen hiervon, ein Häppchen davon – die Reste vom Buffet.

      Als ich noch immer kauend in die Runde zurückkehrte, war ein großes Palaver um BH-Größen in vollem Gange. Mit der gleichen Leidenschaft, mit der sich die Kerle vor dem Essen über Fußball unterhalten hatten, widmeten sich die Damen in der Runde der Diskussion um BH-Größen.

      

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