Bubenträume. Sebastian Liebowitz
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„Selbstgemacht“, verkündete sie und strahlte stolz in die Runde.
Das war nicht gelogen, wenn auch selbstgemacht vom Bäcker, und nicht von Mama.
„Mhm, und so saftig“, schwärmte Tante Marta, „da musst du mir unbedingt das Rezept für geben, Luise, keine Wiederrede.“
Dieser Wunsch liess Mama nun doch leicht ins Schwitzen geraten. Schliesslich zog sie sich elegant mit der Ausrede aus der Affäre, dass ihr das Rezept ihre strenggläubige Grossmutter Meira (Gott habe sie selig) vermacht habe. Sie habe hoch und heilig auf den Rosenkranz versprechen müssen, dass sie das Rezept erst an ihrem Totenbett an eine würdige Person (bedeutungsschwangerer Blick auf Tante Marta) weitergeben würde. Dann jedoch sei nichts gegen einen Rezepttausch einzuwenden, liess sie durchblicken. Vorausgesetzt natürlich, man sei rechtzeitig mit Kugelschreiber und Notizblock zur Stelle. Tante Marta verstehe nun sicher, dass sie dieses Versprechen unmöglich brechen könne, das sei so ähnlich wie ein… äh, nun ja, wie ein Keuschheitsgelübde, halt.
Dieser etwas unpassende Vergleich sorgte für Stirnrunzeln bei Tante Marta, die wohl gerade überlegte, wie sich eine Schar von elf Kindern und Keuschheit unter einen Hut bringen liessen. Ihr Blick schweifte zu Papa, der sich selbstgefällig grinsend in seinem Stuhl lümmelte.
„Wenigstens scheint es deinem Rücken wieder besser zu gehen, Hermann“, sagte sie stattdessen spitz, „wo du doch so unter dem Hexenschuss gelitten hast.“
„Äh, jaja, heute geht es zum Glück wieder besser“, beeilte Papa sich zu versichern und richtete sich hastig auf. „Es kommt und geht. Gestern zum Beispiel, da konnte ich kaum laufen.“
Das war sogar wahr, das konnte ich bezeugen. Nur hatte das nichts mit einem Hexenschuss zu tun.
„Das liegt wohl in der Familie, Gerti hat es ja auch schon länger am Rücken. Sie will es jetzt mit einer Kur probieren, hat sie mir erzählt.“
Mama spitzte interessiert ihre Ohren. Wenn Tante Gerti in Kur ging, fiel sicher was für uns ab.
„So, wann hast du sie denn gesehen?“
„Grad neulich, beim Einkaufen. Jetzt, wo sie in Hinterschaan wohnt, sieht man sie ja nicht mehr so oft. Ich geb dir nachher mal ihre Telefonnummer.“
„Wie steht‘s denn mit Arbeit, Hermann, hast du schon wieder was in Aussicht?“, wollte Onkel Theobald wissen.
„Ach hör mir auf, ein Elend ist das“, jammerte Papa, „auf dem Bau stellt man heute nur noch die Jungen ein, da nützt dir deine ganze Erfahrung nichts. Mit noch nicht einmal 50 Jahren zählt man schon zum alten Eisen.“ Er seufzte schwer. „Das ist nun der Dank dafür, dass man sich sein ganzes Leben halbtot geschuftet hat.“
Und wahrscheinlich auch das Resultat davon, dass man sich immer verleugnen liess, wenn das Arbeitsamt anrief, aber das behielt ich wohl besser für mich.
Onkel Theo hob die Kaffeetasse an die Lippen und zögerte kurz. Widerwillig nahm er einen Schluck Kaffee. Die Brühe war bitter wie Galle. Er schüttelte sich.
„Wie kommt ihr denn so über die Runden?“
„Wie’s halt so geht, wenn man nichts hat. Man spart hier was ein und dort was, aber am Ende reicht das Geld nur gerade für das Allernötigste.“
Onkel Theos und Tante Martas Blicke wanderten nachdenklich über die leeren Flaschen, den übervollen Aschenbecher und die aufgerissene Stange Zigaretten auf dem Fenstersims. Sie warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Das war Mama nicht entgangen und sie griff zu einem gewagten Ablenkungsmanöver.
„Äh, darf es noch etwas Kaffee sein?“, fragte sie und schwenkte dabei die Kaffeekanne.
Tante Marta zuckte zusammen. Schnell zog sie ihre Tasse in Sicherheit.
„Sehr gütig, Luise, aber ich bin bedient“, verkündete sie hastig.
Wahrere Worte waren kaum je gesprochen worden.
Während Mama die Kaffeekanne unverrichteter Dinge wieder absetzte, wanderte Tante Martas Blick zu den Zigaretten zurück.
„Äh, ähem….“ machte sie.
Eine momentane Konzentrationsschwäche wurde mir zum Verhängnis. Statt aufmerksam dem Gespräch zu folgen, liess ich meinen Blick nämlich immer öfters gelangweilt zum Fenster hinausschweifen. Das sollte sich nun bitter rächen.
„Weisst du, Luise“, begann Tante Marta schliesslich, „ich habe vorhin schon zu Sebastian gesagt, dass er sich wegen seiner alten Sachen nicht schämen muss. Wir hätten da noch ein paar Sachen, die Bertram zu klein geworden sind.“ Sie strich sich mit den Händen abwesend den Rock glatt, während sie nach Worten suchte. „Sebastian ist ja, nun ja, etwas äh, schmächtiger und ihm würden die Sachen sicher passen. Am besten, ich schick dir mal eine Schachtel voll mit der Post zu, Luise, damit Sebastian auch mal was Anständiges zum Anziehen hat. Mit den zerrissenen Sachen ist er sicher das Gespött der ganzen Schule, ich weiss noch, wie es damals war, als unser Nachbarskind..“
Um es kurz zu machen: Ich habe Bürgi und Thuri an diesem Tag nicht mehr getroffen. Nach drei Runden Monopoly und einer erneuten Wiederauffrischung der Geschehnisse an Onkel Bennos Hochzeit, diesmal in vertrauter Runde, war es draussen auch schon dunkel.
Dafür wurde ich, nur wenige Tage später, stolzer Besitzer eines umfangreichen Kostümfundus, der sich schon am kommenden Fasching grosser Beliebtheit erfreute. Sogar ein paar Krawatten in Lätzchengrösse waren dabei, um die es immer ein grosses Gerangel gab, auch wenn die Teile sonst bloss in meinem Schrank verstaubten. Nach einer tagelangen Jammerattacke war es mir nämlich dann doch gelungen, Mama zu einem Einlenken zu bewegen.
„Von mir aus, aber bloss, damit du endlich Ruhe gibst“, hatte sie geschimpft und sich die Hände an die Schläfen gehalten. „Und dass du mir die Sachen ja anziehst, wenn Tante Marta wieder mal zu Besuch kommt, hörst du?“
Das war gottlob eher selten der Fall, und so kamen die potthässlichen Teile insgesamt nur zweimal zum Einsatz. Dabei fand Tante Marta vor allem an der gelben Strickweste mit den grünen Karos grossen Gefallen. Das bringe die roten Cordhosen und das geblümte Hemd so schön zur Geltung, schwärmte sie. Ich sei halt schon immer ein schönes Kind gewesen. Ja, sie möge sich erinnern, damals, als ich noch klein war, mit meinen schönen, langen Haaren…
Die Huren von Babylon
Ich