Bubenträume. Sebastian Liebowitz
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Andererseits gehe es ja um den Besitzer des Grosshirns himself, den Chef persönlich also, zu dem man gewissermassen ja in einer Art Abhängigkeitsverhältnis stünde. Ausserdem sei wohl auch eine gewisse Eile angebracht, zumindest, wenn man den Sauerstoffmangel richtig einschätze und die Pumpe sei auch schon wegen der Mehrarbeit am Reklamieren. Ob man in Anbetracht der Dringlichkeit vielleicht untertänigst empfehlen dürfe, auf eines der vielen, über Jahre angeeigneten Verhaltensmuster zurückzugreifen? Nur, damit es schneller gehe.
Das Grosshirn gähnte erst einmal ausgiebig und liess sich den Vorschlag so quasi erst mal durch den Kopf gehen. Als Lehrergehirn war es schnelle Entscheidungen schliesslich nicht gewohnt und „Gross“-Hirn war man man eigentlich auch nur dem Namen nach. So dauerte es ein paar Sekunden bis man für eine Entscheidung parat war und entschied, dass dem Antrag stattzugeben sei.
Die Situation sei mit dem bewährten Verhaltensmuster „A1“ zu entschärfen, welches in einer Vielzahl von ähnlichen Situationen ja gute Resultate erzielt habe. Und wenn sonst noch was sei, könne man sich ja melden, ansonsten lege man sich noch eine Weile aufs Ohr.
So kam es also, dass Lehrer Stramm ein paar Mal verwirrt mit den Augen blinzelte, plötzlich aber wie entfesselt „Nachsitzen, alle zusammen“ in den Raum brüllte, dann auf dem Absatz kehrtmachte und schliesslich zur Tür hinaus flüchtete.
Das alles ging so schnell, dass uns erst das Knallen der Garderobentür aus unserer Starre weckte. Dann aber brach frenetischer Jubel aus und bald hallten erneut „Bürgi, Bürgi“ Rufe durch die Duschanlage. Am Ende stimmte sogar jemand „We are the Champions“ an, was ich sehr passend fand, weil Bürgi ja immer noch seine Fahne gehisst hatte. Wir sangen aus vollen Kehlen, bis wir heisser waren und liessen ein ums andere Mal unseren Star hochleben.
Wenn ich heute an diese Zeiten zurückdenke, werde ich immer ganz wehmütig.
Speziell wir Jungs verstanden uns bestens. Man akzeptierte den anderen, wie er war und keiner zeigte mit dem Finger auf den anderen, nur, weil er „anders“ war. Da verstand sich der Urschweizer mit dem Sohn eines italienischen Gastarbeiters, der Bauernsohn mit dem Spross eines Firmeninhabers und der Schlagerfreund mit dem Hardrock Fan und umgekehrt. Es gab selten Streit, Raufhändel fast nie und meist herrschte eitel Harmonie.
Doch das sollte sich freilich bald ändern.
Denn Bernie war im Anmarsch.
Bernie
„Erinnerung malt mit goldenen Farben“, heisst es in einem japanischen Sprichwort.
Und vielleicht ist das ja so und auch ich bediene mich eines entsprechenden Farbfilters, wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke. Aber ich meine doch, mich zu erinnern, dass es auf unserem Schulhof relativ friedlich zu- und herging. Zumindest im Vergleich zu heute. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass ich auf dem Land gross geworden bin. So waren „Mobbing“ und „Bullying“ Ausdrücke, die erst in Jahrzehnten ihren Einzug in unseren Sprachgebrauch finden sollten und auf dem Pausenhof ging es meist recht friedlich zu und her.
Bis Bernie, so genannt, weil er aus der Stadt Bern kam, in unser Leben -und unsere Hintern- trat. An seinen richtigen Namen kann ich mich gar nicht mehr erinnern, ich weiss nur noch, wie ich ihn genannt habe.
Blödes Arschloch.
Dies natürlich nur insgeheim, denn der Kerl musste praktisch jede Klasse wiederholen, war daher schon ein paar Jahre älter als wir und nicht nur darum von riesiger Statur.
Mit 15 Jahren schon rauchend und Bier trinkend, gefiel er sich in der Rolle des Quasi-Erwachsenen, wobei seine intellektuellen Fähigkeiten weniger ausgeprägt waren. Das musste natürlich kompensiert werden. So drangsalierte er leidenschaftlich gern seine Mitschüler und übergoss jeden mit Spott und Häme, der keine Markenjeans trug. Also praktisch jeden.
Man muss bedenken, dass es sich um das Dorfleben in den späten 70ern handelte. Mit sowas wie „Markenjeans“ hatten wir uns bis zu Bernies Intervention nicht herumgeschlagen. Da waren halt Jeans oder eben nicht Jeans, so wie Thuris Cordhosen, das genügte völlig. Dass es da nun scheinbar Unterkategorien gab, die zudem einen erheblichen Einfluss auf den Status oder das Wohlbefinden der Träger auszuüben schienen, war uns neu.
Also musste Bernie erst mal Aufklärungsarbeit leisten. Sowas tat er gern, der Bernie. So waren seine Argumente zwar stets „schlaghaltig“, aber selten schlüssig. Gerne lasse ich Sie von meinem reichen Erfahrungsschatz profitieren und fasse das damals Erlernte noch einmal kurz für Sie zusammen:
-Markenjeans sind Jeans einer bekannten und daher teuren Marke, die, und das ist wichtig, zudem auch teuer erworben werden mussten. Markenjeans günstig oder gar heruntergesetzt zu kaufen galt nicht und war allgemein (wobei allgemein gleich Bernie) verpönt. In der Tat sollten „Markenschnäppchen“ erst Jahrzehnte später gesellschaftsfähig werden. Beim Protzen galt also grundsätzlich die Kombination Marke (je exklusiver, desto besser), Modell (dito), Preis (je teurer desto besser) und wo gekauft. Je exklusiver der Laden, desto besser.
Am meisten Punkte schinden konnte man für schweineteure Jeans, die man zudem völlig überteuert in einem exklusiven Geschäft, vorzugsweise in der Bahnhofstrasse in Zürich oder an einer noch nobleren Adresse, gekauft hatte. Offensichtlich ging es also darum, etwas zu haben, was nicht jeder haben konnte. Oder zumindest nur die Kinder gutbetuchter Eltern.
Ein Konzept, welches ich nicht ganz verstand. Bei meinen Jeans hatte ich die Risse an den Knien mit einer Schnur zusammengenäht. Das hatte auch nicht jeder. Trotzdem brachte mir diese Aktion wenig Anerkennung bei Berni und Konsorten ein.
Bei meiner Mutter noch weniger, aber das nur nebenbei.
Mir dämmerte jedoch langsam, dass ich noch viel lernen musste, um hier mitreden zu können. Bis dahin hielt ich wohl besser meinen Mund. Wobei das bei Bernie ohnehin immer die beste Strategie war.
Nachhilfestunden zum Thema gab es kostenfrei, wenn auch selten schmerzfrei, bei Bernie. Seine Lektionen zu diesem Thema waren zwar kurz, aber einprägsam. Das haben Botschaften, die zwischen zusammengebissenen Zähnen herausgezischt werden, während man vor Angst zitternd mit dem Rücken zum Garderobenschrank steht und einem die Kehle zugedrückt wird, nun mal so an sich.
Unter diesen Umständen dauerte es natürlich nicht lange und uns war klar, dass man dem Kerl wohl besser aus dem Weg ging. Zumindest, wenn man seine Eltern nicht mit Zahnarztrechnungen in den Ruin treiben wollte. Wobei das mit dem aus dem Weg gehen gar nicht so einfach war, denn der Kerl war quasi omnipräsent und konnte auch schon mal in den Büschen auf sein Opfer lauern.
Zum Beispiel auf Daniel, der in meine Klasse ging und eindeutig sein Lieblingsopfer war. Der nahm seit einiger Zeit Karateunterricht, ein Affront, den Bernie nicht einfach ignorieren konnte. Das waren die Zeiten von Bruce Lee und einem ausgebildeten Karatekämpfer haftete immer auch der Ruf von Unbesiegbarkeit an. Bernie hingegen haftete höchstens der Ruf von Dämlichkeit an, und so war er fest entschlossen, Daniel eine Abreibung zu verpassen. Man kann Bernie zugutehalten, dass er wohl relativ oft fernsah und daher unter einem gewissen Realitätsverlust litt.
Man kann, muss aber nicht. Viel wahrscheinlicher ist, dass er einfach von Natur aus blöd war.
Daniel hingegen betrieb Karate aus rein bewusstseinserweiternden Gründen und hielt sich stets bedeckt, was seine Leidenschaft für diesen Sport anging. Kräftemessendes Gerangel war