Bubenträume. Sebastian Liebowitz
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„Also gut, aber zum letzten Mal jetzt.“ Ich begann erneut, mit meinem Hintern auf dem Stuhl auf und ab zu hopsen. „Also, auf einem reitet sie..“, keuchte ich. Die verdammte Hopserei ging mir langsam auf die Pumpe. „Und den anderen macht sie es mit dem Mund.“ Ich hielt mir meine Hände neben das Gesicht, streckte meine Zunge raus und tat so, als würde ich links und rechts abwechselnd ein Eis lecken. „Und dabei…“
In diesem Moment sah ich aus dem Augenwinkel eine schnelle Bewegung und –zack-, bekam ich noch eine aufs Maul.
Im Nachhinein muss ich zugeben, dass man vielleicht in der Tat nicht den besten Eindruck hinterlässt, wenn man vor seinem Lehrer wie ein Känguru auf dem Stuhl auf- und ab hopst und dabei seine Zunge raushängen lässt. Sowas kann leicht zu Missverständnissen führen.
Auf der Beliebtheitsskala von Herrn Patens rangierte ich nach dieser Episode jedenfalls ganz unten, wo ich mir die letzten Plätze mit Victorio, Thuri und Hansi teilte. Victorio, weil der Sohn eines italienischen Gastarbeiters höllisch gut aussah, was ihn zur beliebten Zielscheibe von Herrn Patens machte, mit dem es die Natur nicht ganz so gut gemeint hatte. Thuri, weil ihn Herr Patens, um es mal so zu sagen, nicht riechen konnte. Und Hansi?
Nun ja, das ist eine andere Geschichte.
Er herrscht gespenstische Stille im Schulzimmer. Nur verhaltenes Atmen und da und dort ein nervös zappelnder Fuss zeugen davon, dass es sich bei den Jugendlichen, die sich über ihre Prüfungsblätter beugen, um Gestalten aus Fleisch und Blut handelt. Herr Patens patrouilliert mit strengem Blick durch die Schulbankreihen. Zufrieden mit sich und der Welt verpasst er dort mal einem zu hektisch wackelnden Fuss einen spielerischen Tritt, streichelt dort mal mit einer Kopfnuss den Hinterkopf eines vorwitzig in das Prüfungsblatt seines Nachbarn schielenden Siebtklässlers. Nichts entgeht ihm. Er ist Lehrer, Kapitän und Diktator zugleich.
Die heutige Prüfung ist eine Semesterprüfung. Entsprechend konzentriert sind die Schüler bei der Sache. Kaum einer traut sich, den Blick vom Blatt zu wenden. Nur das leise Kritzeln von Bleistiften ist zu hören. Ab und zu hustet jemand, verstummt unter dem vorwurfsvollen Blick von Herr Patens aber sofort wieder. Plötzlich durchdringt ein seltsamer Laut die Stille.
„BulipBulipBulipBulip.“
Herr Patens Kopf schiesst herum.
„Was ist das?“, faucht er, „woher kommt das?“
Köpfe werden geschüttelt, ratlose Blicke ausgetauscht. Die Schüler sind verängstigt. Wer es wagt, den Unterricht von Herrn Patens zu stören, ist so gut wie tot.
„BulipBulipBulip“, tönt es erneut.
Herr Patens Stimme überschlägt sich fast.
„Treibt bloss keine Spielchen mit mir, ich warne euch…“ Sein Blick schweift hektisch von einem Schüler zum anderen und bleibt schliesslich auf dem einzigen Schüler haften, der seinen Kopf immer noch gesenkt hält. Hansis Ellbogen zucken, während er an einem geheimnisvollen Gegenstand unter seinem Pult herumhantiert. Er fletscht seine Zähne, ist wie besessen.
„BulipBulipBulip“, macht es, und die Ellbogen zucken einmal links, einmal rechts. „Billi-Billi-Billi-Billi“ tönt es kurz darauf, um ein Zittern in seinem rechten Arm auszulösen, welches sich über den ganzen Oberkörper verteilt. Dann macht es „Tröt-Tröt-Tröt“, was zu einem hektischen Ellbogentanz führt, bevor die Geräusche in einem „BiuuBiuuBiuu-Biuuu“ enden, welches Hansi förmlich in sich zusammensacken lässt. Er verwirft frustriert seine Hände und stöhnt leise. Und weil er dabei seinen Kopf zurückwirft, bemerkt er endlich, dass alle Blicke im Schulzimmer auf ihn gerichtet sind.
Für ein paar Sekunden lang ist es, als hätte Gott auf „Pause“ gedrückt. Keiner rührt sich.
Dann die erste, kleine Bewegung. Hansis Augen wandern nach rechts und kriechen langsam seinen Arm entlang. Dreiundzwanzig Augenpaare wandern mit ihm. Und richten sich schliesslich auf das neuartige Videospiel in Hansis Rechten, welches er zu seinem Geburtstag bekommen hat und seither nicht mehr aus der Hand legen kann.
Und hier, bei den Stichwörtern „Bewegung“ und „Hand“ käme nun wieder Herr Patens ins Spiel.
Die nachfolgende Minute war von Ausgewogenheit geprägt. Ausgewogen deshalb, weil Herr Patens zwar viel brüllte, Hansi aber auch viel schrie. Und ohne dem Ende jetzt vorgreifen zu wollen:
Es wäre es wohl nicht ganz verkehrt, die Szene mit „Game Over für Hansi“ zu betiteln.
Kein Wunder, dass sich, je mehr sich das Schuljahr seinem Ende zuneigte, die Gespräche auf dem Schulhof immer häufiger um den ungeliebten Lehrer drehten.
„Ich sag euch, der Kerl muss weg“, schlussfolgerte Victorio eines Tages.
„Welcher Kerl denn“, wollte ich wissen.
„Na, welcher wohl? Ich rede vom Stronzo Patens. Der Kerl ist so scheisse, dass man seine Fresse für Windelwerbung verwenden könnte, weisst du?“
„Neulich ist er an meinem Pult vorbeigelaufen und hat sich demonstrativ die Nase zugehalten, das blöde Arschloch“, schimpfte Thuri. „Der mit seinem dämlichen Vollbart. Als ob ihm einer ins Gesicht geschissen hätte.“
„Wie lange müssen wir den Kerl noch ertragen?“, fragte Bürgi, „ich denke, der geht in Frühpension.“
Thuri winkte ab.
„Iwo, der Penner ist ja erst Mitte 50, der sieht bloss älter aus. Den werden wir so schnell nicht los.“
„Wenn der Kerl im nächsten Jahr immer noch dabei ist, dreh ich durch“, schimpfte Victorio. „Seit ich bei dem Idiota in die Schule gehe, habe ich nur noch Dreier, weisst du? Wenn der Kerl dich nicht ausstehen kann, hast du kein Chance.“ Er sah besorgt in die Runde. „Jetzt ist schon September und meine Noten sind immer noch nicht gut. Und ich muss euch ja nicht erklären, was das für einen Ausländer heisst.“
Bürgi nickte ernst.
„Vielleicht könnte man ihm wegen seiner ständigen Sauferei was anhängen. Das ist doch nicht normal, sowas.“
„Ha, hört euch den an“, rief Thuri, „der Kerl ist doch gedeckt. Ausserdem hackt eine Krähe der anderen doch kein Auge aus. Der trifft sich doch nach jeder Lektion mit dem alten Müller im Lehrerzimmer und kippt einen Kurzen.“
„Vielleicht hast du ja Schwein und er stolpert im Suff die Treppe hinunter“, grinste ich.
Victorio sah mich nachdenklich an. Seine dunkelbraunen Augen waren auf einmal fast schwarz.
„Vielleicht müsste man nur ein wenig nachhelfen“, sagte er.
Ich traute meinen Ohren nicht.
„Hast du einen Knall“, rief ich, „und wenn er sich den Hals bricht?“
„Ach was“, winkte Victorio ab“, der Affe ist zäher, als er aussieht, weisst du? Ausserdem sind es vom Schulzimmer zum Lehrerzimmer nur drei Stufen…“
„Also, ohne mich“, fuhr ich ihm dazwischen, „ich will damit nichts zu tun haben, hörst du?“
Die