STURM ÜBER THEDRA. Michael Stuhr

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STURM ÜBER THEDRA - Michael Stuhr

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"Das ist eine ..."

      "Überlegt Euch Eure Antwort gut, Herr", unterbrach ihn der Fremde. "Oder wollt Ihr zurück auf den Richtplatz?"

      "Nein!" Llauk wollte mit einer abwehrenden Handbewegung aufspringen, aber die Brandwunden ließen ihn vor Schmerzen aufstöhnen und sofort wieder zusammensacken.

      "Seid Ihr nun ein widerlicher Kriecher oder nicht?"

      "Doch", keuchte Llauk eilig. "Gewiß!"

      "Eure Moral ist also die des vollen Bauches?"

      Llauk nickte stumm.

      "Und Ihr leckt willig die Hand, die Euch füttert?"

      Wieder bestätigte Llauk, Tränen des Schmerzes und der Demütigung in den Augen.

      "Dann will ich Eure Ehrlichkeit mit zwölftausend Bronzestücken belohnen."

      Zwölftausend Bronzestücke! Llauks Kopf ruckte hoch. Forschend sah er sein Gegenüber an. Was für eine gewaltige Summe! Doch sofort ließ er die Schultern wieder mutlos herabsinken. Das war doch bestimmt nur eine neue Teufelei dieser Dramilen.

      Seit Llauk seine Heimatprovinz in Richtung der estadorianischen Hauptstadt verlassen hatte, war alles, aber auch alles schiefgegangen. Bestimmt wollte dieser Dramile, der in seinen feinen Kleidern vor ihm saß, nur eine weitere närrische Hoffnung in ihm wecken, nur um sie dann wieder umso grausamer zu zerschlagen. Innerlich bebend wartete Llauk schon auf den Moment, in dem der Mann des Spiels überdrüssig wurde und sein Opfer doch wieder zum Richtplatz schleifen ließ.

      "Nun, lieber Stoffmacher aus Idur, was Eure Strafe betrifft, habt Ihr Recht." Der Fremde hatte Llauks zweifelnde Miene richtig gedeutet. "Wir werden nicht umhinkommen, Kapitän Sed eb Rea seine Genugtuung zu verschaffen. - Doch das hat Zeit. Wir haben große Pläne mit Euch; und solange Ihr unseren Ansprüchen genügt, braucht Ihr um Euer Leben nicht zu fürchten."

      Jetzt klärte sich für Llauk manches auf. - So war das also! Man schenkte ihm sein Leben nicht umsonst, sondern erwartete eine Gegenleistung von ihm. Dieses Wissen übte eine beruhigende Wirkung auf sein Gemüt aus; die Dramilen würden ihn nicht hinrichten, solange sie ihn brauchten. `Man tötet keinen guten Sklaven!' lautete ein Sprichwort der Stoffmacher. Nun, Llauk würde diesem Dramilen ein guter Sklave sein. - Ein sehr guter. - Der Beste! "Was kann ich tun, Herr?", fragte er mit aller Demut, derer er fähig war.

      "Ich will das Herz Eures Heimatlandes", erwiderte der Dramile. "Die Hauptstadt von Estador. - Ich will Thedra!"

      Der Hader zwischen den Hauptstädten Estadors und Dramils war beinahe so alt wie die Stadt Thedra.

      Bevor der damalige Kaiser auf die unselige Idee verfallen war, auf den öden Felsklippen des Nordgestades eine Verbanntenkolonie einzurichten, war Sordos unangefochten die Stadt gewesen, die die Meere beherrschte. Jahrhundertelang hatten die Dramilen ihre Vorherrschaft weiter und weiter ausbauen können. Dramilische Frachter bereisten die Küsten des ganzen Kontinents und dramilische Kriegsschiffe hatten ein Großteil der Kaiserlichen Flotte gestellt. `Kein Faß Wein und kein Sack Getreide, kein Karren Erz und kein Ballen Seide geht auf das Wasser, ohne dass die Dramilen daran verdienen' hatte man sich in allen Ländern der Welt erzählt; und so war es auch gewesen. Wohl waren noch andere Schiffe auf dem Meer unterwegs gewesen, doch alle hatten den Dramilen Tribut zahlen müssen.

      Kapitäne, die sich weigerten, waren von den starken dramilischen Schiffen aufgebracht und ihrer Waren beraubt worden. Damals hatte man zum ersten Mal von `Findern' sprechen hören.

      Finder waren ursprünglich schnelle dramilische Dreimaster gewesen, die das Meer nach unbotmäßigen Kapitänen und ihrer Fracht absuchten. Hatten sie ein Schiff gefunden, das kein gültiges dramilisches Zolldokument an Bord hatte, konnten die Finder nach Belieben mit Fracht, Schiff und Besatzung verfahren.

      Leider neigten schon damals einige der Finder dazu, die Bestimmungen des kaiserlichen Rechts allzu frei auszulegen. Mehr als einmal waren Frachten, für die ohne jeden Zweifel alle Abgaben bezahlt worden waren, als `Finderware' wieder aufgetaucht. Die Finderkapitäne hatten jedes Mal augenzwinkernd behauptet, das betreffende Schiff sei unbemannt auf hoher See treibend vorgefunden worden und man habe die Ware nur gerettet. Da regelmäßig auch die ganze Findermannschaft diese Geschichte bestätigte und die Besatzungen der `gefundenen' Schiffe auf ewig verschwunden blieben, konnte nie ein Gericht anders entscheiden, als den Findern den Fund zuzusprechen. Außerdem - welcher Richter hätte das Risiko eingehen wollen, seine eigene Heimatstadt einem Angriff der gesamten dramilischen Flotte auszusetzen?

      Das waren also die goldenen Jahre von Sordos gewesen. Die Jahre, in denen kein Anker sich vom Grunde der Häfen hob und kein Segel auch nur einen Windhauch einfing, ohne dass die Dramilen davon profitiert hätten.

      Auch den Thedranern war es zu Anfang nicht besser ergangen:

      Einst war Thedra ein namenloser Fleck hoch im Norden des Kaiserreiches gewesen. Vom übrigen Kontinent durch zwei unüberwindlich hohe Bergketten und ausgedehnte tückische Hochmoore, abgeschnitten, felsig und unfruchtbar, bot es sich nur für einen einzigen Zweck an: Thedra war damals kein Ort gewesen, an dem jemand freiwillig gelebt hätte. Es war ein Ort, an den man gebracht wurde - es war die Kolonie der Verbannten des Kaiserreichs. Hier wurden sie an Land gesetzt, all die, deren Dasein die Mächtigen des Kontinents in ihrer Ruhe störte, die aber nicht einfach dem Henker überantwortet werden konnten: Kaufleute, bei denen Fürsten und Grafen sich verschuldet hatten und die es gewagt hatten, ihr Geld zu fordern; illegitime Kinder der Reichen und Mächtigen, die auf Vermögen und Titel Anspruch hätten erheben können; hohe Beamte, die sich nicht der Willkür der einzelnen Despoten hatten beugen wollen, sondern nach dem Buchstaben des Gesetzes gehandelt hatten. - All diese Männer und Frauen waren aus dem öffentlichen Leben entfernt und nach Thedra gebracht worden. Nur mit ihrer Kleidung, einem Holzstab als Waffe und einer schlechten Decke als Schutz gegen die Witterung versehen, hatte man sie an Land gebracht und ihrem Schicksal überlassen.

      Die Kapitäne der Transportschiffe hatten sich gewundert, dass sie Jahr für Jahr von einer größeren Menschenmenge an der Landestelle erwartet wurden. Nach allem menschlichen Ermessen ließ das spröde Land rund um das spätere Thedra den Ausgesetzten keine Überlebenschance. Ohne Schutz auf nacktem Stein, durch eine gewaltige Felsbarriere vom Hinterland abgeschnitten, ohne Brenn- und Bauholz, hätte keiner der Verbannten auch nur einen einzigen Winter überleben dürfen.

      Verwundert hatten die Kapitäne ihren Dienstherren von dieser seltsamen Kolonie am Ende der Welt erzählt, aber man hatte ihre Berichte nicht ernst genommen.

      Jahr für Jahr vergrößerte sich die Menschenmenge, die die Verbannten in Empfang nahm, die von bewaffneten Matrosen am Strand abgesetzt wurden. Aber nicht nur, dass die Ausgesetzten überlebten - sie erfreuten sich augenscheinlich bester Gesundheit und in jedem Frühjahr sahen die staunenden Kapitäne wieder ein paar Kinder mehr zwischen den Erwachsenen herumlaufen.

      Irgendwann waren die Berichte über diese eigentlich unmögliche Kolonie im Norden seines Reiches auch zum Kaiser des Kontinents vorgedrungen. Sein Interesse war geweckt. Eine neue Siedlung in seinem Machtbereich, das mußte erkundet werden!

      So war denn der nächste Gefangenentransport von zwei kaiserlichen Schiffen begleitet worden. An Bord der drei kleinen Einmaster befanden sich insgesamt einhundertfünfzig Bewaffnete unter dem Befehl des neu ernannten, kaiserlichen Statthalters der Nordkap-Kolonie, der nach erfolgter Befriedung sein Amt antreten sollte.

      Tief im Wasser liegend, bis an die Grenzen ihres Fassungsvermögens beladen, verließen die Schiffe den Hafen der kaiserlichen Festung. In ihren Laderäumen führten sie alles mit

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