Mit blossen Händen. Wolf-Rainer Seemann
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Das Einsammeln der Toten war für Zach nur Tarnung gewesen, damit er einen Peilsender an dem russischen Flugplatz von As-Shoibiyah anbringen konnte. Innerhalb einer halben Stunde hatte daraufhin die iranische Luftwaffe vierzig MiG-21 am Boden zerstört. Seither steht Zach so breitbeinig auf der Weltkugel wie ein Stier nach einer gewonnenen Corrida.
Feldkamp zuckt zusammen, weil das heiße Wasser seine Haut verbrüht. Er trocknet die Hände ab und zieht seine Rolex an. Diese Uhr ist ein Geschenk seiner Frau Pergola und der einzige Luxus, den er sich gönnt. Thor zieht derweilen etwas aus einer Aktentasche, Zachs Röntgenbilder. Einen Moment lang hat Feldkamp mit einem Sturmgewehr gerechnet .... Feldkamp pfeift beeindruckt, als er Zachs Halswirbelsäule im Durchlicht der Deckenbeleuchtung begutachtet. Es sind die typisch schlechten Bilder eines mobilen Röntgengerätes, doch er erkennt den mehrfach gebrochenen sechsten Halswirbelkörper. Der das Halsmark komprimiert.
Dekompressionssystem und gleichzeitiger Wirbelkörperersatz mit vorderer Verplattung, geht es ihm durch den Kopf.
Zach hatte ihn immer gelinkt! Ihm zu helfen, heißt einen Skorpion zu melken. Doch Feldkamp ist unfähig, sich von der Not eines anderen abzuwenden, und so sagt er:
„Okay, mache ich.“
Gleichzeitig fallen ihm tausend Gründe ein, warum er nicht zustimmen sollte. Beurlaubung durch die Verwaltung, Operationsset und Wirbelkörperprothese, Pergola benachrichtigen, Unterkunft – und vieles mehr.
Doch Thor beruhigt ihn. „Erledigen meine Mannen“, sagt er. „Officially, du machst einen Vortrag in Algier …“
Feldkamp packt die notwendigen Utensilien zusammen und folgt Thor. Tatsächlich fliegen sie mit einer Cessna zuerst zum Gewerbepark Breisgau bei Freiburg. Dort steigen sie um in Didis moderne Piper Meridian.
Didi Maier!
Didi ist ebenfalls ein Schulfreund aus jener verhängnisvollen Klassengemeinschaft – Zach, Didi, Feldkamp, ein Bundestagsabgeordneter, zwei Winzer und viel zu viele, die sich inzwischen bei den Anonymen oder bekennenden Alkoholikern treffen.
Aber Didi hat das große Los gezogen. Alles, was Didi anfasst, macht er nebenberuflich zu Gold. Didi ist von Beruf Nebenberufler. Er sammelt Berufe. Er ist Landwirt, Badens größter Erdbeerplantagenbesitzer, Flugzeugverleiher, Pilot, Besitzer mehrerer Hangars, Stellplatzvermieter für reiche Flugzeugbesitzer; bald wird ihm Südbaden gehören. Und als Zubrot fliegt er Verbrecher und Klassenkameraden durch die Weltgeschichte, so wie heute. Didi und Feldkamp begrüßen sich, als hätten sie sich erst gestern und nicht vor drei Jahren zum letzten Mal gesehen.
Von hier aus fliegen sie nach Algier, checken dort offiziell aus und sofort wieder ein, um nach einer langen Schleife endlich auf einer Behelfslandebahn bei Fordo im Iran zu landen. Um sie herum herrscht Chaos. Schreiende, schwerverletzte Menschen werden aus einem Bergwerkstollen getragen. Es riecht nach Blut, verbranntem Fleisch, Kot und Urin, es riecht nach Basra.
„Davon berichten westliche Medien nichts. Passt nicht ins ideologische Bild“, sagt Thor, dessen langes blondes Haar wild im Abendwind weht.
Er führt Feldkamp zu einer größeren Holzbaracke. Die Wüstenluft auf der Hochebene ist dünn und abendkühl. Man merkt dem Abendwind an, dass der Tag heiß gewesen ist. Davon merkt man nichts innerhalb der behelfsmäßigen, zu einer Krankenstation umgebauten Baracke. Hier ist es stickig, und als Thor ihn zum einzigen Bett führt, erkennt Feldkamp den glatzköpfigen Mann mit den vielen Pflastern und Verbänden zuerst nicht. Erst als dieser die Augen öffnet und die eng beieinander liegenden Raubtieraugen zu sehen sind, erkennt er Zach.
„Du bist alt geworden und du riechst auch anders“, krächzt Zach. Sein spöttischer Blick taxiert Feldkamp, als halte er ihn für ein übel riechendes Stinktier.
„Im Alter riecht alles anders: Schweiß, Kot, Urin und Sperma“, nickt Feldkamp schmallippig. Er steht steif und mit zusammengekniffenem Hinterteil vor Zachs Bett und wünscht sich weg von hier.
„… und Sperma!“, wiederholt Zach aus der Tiefe heraus hustend. „Unser Harry, wie er leibt und lebt. Achtundvierzig Jahre alt und immer noch so verklemmt wie mit sechzehn. Kannst du etwas für mich tun?“, fragt er ohne Überleitung.
Eine Stunde später steht Feldkamp am provisorischen OP-Tisch, der eigentlich ein verlängerter, hölzerner Küchentisch ist. Vorsichtig hebelt er die Muskulatur und die Gefäße am rechten Hals zur Seite und setzt die beiden Haken der Assistenzärzte an der richtigen Stelle an. Der sechste Halswirbel ist völlig zertrümmert. Der Bluterguss reicht weit nach hinten und dehnt sich unter dem sogenannten Vorderen Längsband halbmondförmig in den Rückenmarksraum hinein. Feldkamp bringt zwischen den beiden fünften und siebten Querfortsätzen je einen Extraktor an, welche den darüber- und darunterliegenden Wirbelkörper nach oben bzw. nach unten drücken und so das vordere Längsband straffen. Durch das Straffen des Längsbandes wird das Rückenmark entlastet.
Unter den Augen iranischer Kollegen, die eigens für diese Operation angereist sind, schält er die Trümmer des geborstenen sechsten Wirbelköpers sowie die obere und untere Bandscheibe aus ihren Lagern aus. Zachs Halswirbelsäule hat nun keine Verbindung mehr mit der Brustwirbelsäule. Der Kopf wird in diesem Bereich nur noch vom Muskelmantel gehalten. Die geringste Bewegung könnte Zach enthaupten. Die Ärzte um ihn herum stöhnen hinter ihrem Mundschutz auf.
Die Türe wird aufgerissen. Lärm, Schreie und Dieselgeruch dringen in die Hütte. Ärzte und Assistenten zucken zusammen und scharen sich um den zum Operationsgebiet umgebauten Küchentisch. Jemand ruft: „Schützt den Sardar! Schützt den Helden!“ Feldkamp klopft einem der Assistenten mit dem Skalpell auf die Finger, weil diese schreckhaft zittern. Feldkamp ist fokussiert und bekommt von alldem nichts mit.
Schließlich bringt er noch das Knochenmark des zerstörten Wirbelköpers in die obere und in die untere Wirbelkörperbegrenzung von Nummer fünf und sieben ein, damit der Titandistraktor hier schneller einwachsen kann. Dann zwängt er den Distraktor in die Lücke zwischen dem fünften und dem siebten Halswirbelkörper und pumpt ihn, wie bei einem Wagenheber, in die entsprechende Länge. Endlich verhaken sich Zangen in der Unterkante des fünften und der Oberkante des siebten Halswirbelkörpers. Auf die künstliche Verplattung zur zusätzlichen Stabilität muss er verzichten, da im Operationsset die Platte fehlte.
Er blickt auf die Uhr. Viereinhalb Stunden Operationszeit. Deutlich länger als zu Hause. Seine OP-Kleidung ist durchgeschwitzt, sie sind hier in der Wüste und es gibt keine Klimaanlage. Das Zunähen des Operationsgebietes überlässt der den iranischen Kollegen, die diese niedere Kärrnerarbeit aber nicht gewohnt sind. Feldkamp bemerkt erst an der ablehnenden Haltung seiner Kollegen, dass er auf fremdem Boden operiert hat. Im Iran ist der Arzt noch ein Gott, den man nicht mit dem Zunähen des Operationsgebietes behelligt. Wie nach einem überlangen Film versucht er seine Sinne wieder an der Wirklichkeit auszurichten. Er muss schnellstens zurück, denkt er.
„Es ist alles in Ordnung“, sagt Thor ungewohnt freundlich. „Brauchst erst nächste Woche zurück in Deutschland zu sein.“
Er deutet auf eine kleine Kammer, in der ein Bett für Feldkamp gerichtet ist. Ohne sich auszuziehen fällt Feldkamp auf das Feldbett und ist mit dem Aufschlagen des Kopfes auf dem Kissen eingeschlafen.
Feldkamp fühlt sich wunderbar erfrischt, als er nach zwölf Stunden Schlaf Zach in seiner Einzelzelle besucht. Über das