VERBUCHT!. Topsi Torhaus
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Wild wühle ich in meinen buchhalterischen Erinnerungen. Moment!
Forderung ist ein Guthaben, aber es wird mehr, wenn man es ins Haben stellt oder war es umgekehrt?
Was soll ich auf die Schnelle hier antworten, morse ich dem präfrontalen Cortex, der ja angeblich so intelligent sein soll.
Meine Amygdala wäre da schneller gewesen und hätte geantwortet: »Keine Ahnung, habe ich schon damals in der Berufsschule nicht kapiert. Ich sehe auch keinen Sinn, etwas zu buchen, was sowieso bereits verloren ist. Streichen Sie es doch einfach mit dem Lineal aus der Bilanz oder benutzen Sie Tipp-Ex, dann ist es weg.« Mein präfrontaler Cortex weiß aber, dass eine solche Antwort ein sofortiges Aus bedeuten würde. So fangen meine Stimmbänder zumindest wenigstens an zu arbeiten und formulieren ganz langsam eine Antwort. Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden. So ein wichtiger Buchungssatz braucht Zeit zum Reifen, denke ich. »Also, wenn eine Forderung uneinbringlich ist, muss sie abgeschrieben werden. Wir hatten das mit den ABS Papieren seit 2008 fast täglich machen müssen«, versuche ich eine gehaltvolle Antwort hinauszuzögern, bis mir die richtige buchhalterische Antwort einfallen sollte. Die Betonung liegt auf »sollte«, denn eines weiß ich sicher: Die richtige Antwort kann mir mangels Wissen nicht einfallen, und wer hat schon Buchungssätze im Blut? Der Gesichtsausdruck von Herrn Dr. Dahlmanns erhellt sich komischerweise – vielleicht lacht er mich auch gerade nur aus. »Ach, Sie hatten viele uneinbringliche Forderungen?«, forscht mein Gegenüber interessiert nach. Natürlich hatten wir die, ... aber vielleicht war mein Gegenüber ja auch in einen mehrjährigen dornröschenähnlichen Tiefschlaf gefallen und ist erst nach der Krise wieder erwacht.
»Ja, in unserem Portfolio waren viele ABS Papiere und anderer Trash, ehm, ich meine uneinbringliche Forderungen. Wir hatten eine eigene Datei mit allen Einzelwertberichtigungen erstellt und monatlich ein Impairment auf diese Forderungen in MAP gebucht oder haben sie irgendwann komplett ausgebucht.«
Das sind die einzigen buchhalterischen Schlagwörter aus meinen gelöschten Dateien im Kopf, auf die ich noch zugreifen kann. Hätte ich mir mal die ganzen Dateien inklusive Buchungslogik von meinem Chef erklären lassen, würde ich heute ein besseres Bild abgeben.
Aber ich habe meine Zeit lieber meinen undankbaren Kollegen zur Verfügung gestellt, die ihren Horizont nicht erweitern wollten. Leider ist mir erst jetzt klar geworden, dass ich diese Zeit besser in mich investiert hätte. Dann hätte ich zwar auch keinen Dank erhalten, stünde aber nun um einiges besser da.
Manche Worte scheinen Buchhalter in eine wahre Ekstase zu bringen, so auch bei Herrn Dahlmanns. Vornübergebeugt lächelt er selig und fast wie ein Geistlicher sprudelt es aus ihm heraus: »Ach, Sie hatten immer einen Impairment Lauf gestartet in MAP? Das ist ja super, ich meine superinteressant«, bemerkt er.
Erkenne ich ein Leuchten in seinen Augen?
»Aber bei uns sind ja solche Dinge nicht an der Tagesordnung. Sie müssten eher manuelle Buchungen durchführen und externe Konten abstimmen«, klärt er mich dann ein wenig wehmütig auf.
Diese Kurve war haarscharf, aber immerhin habe ich es geschafft, nicht aus der Bahn zu geraten. Ich sollte vielleicht auf Formel Eins umsteigen. Sichtlich erleichtert höre ich, wie durch einen Wattebausch, der mein buchhalterisch erweichtes Gehirn umgibt, welches mein Aufgabengebiet darstellt.
Bin ich etwa schon angestellt mit meinem gefährlichen Halbwissen? Okay, das ist leicht übertrieben, viele wissen weitaus weniger, als ich. Reicht es tatsächlich aus, ein wenig mit Fremdwörtern um sich zu werfen, ohne jegliche Ahnung zu haben und schon hat man einen Arbeitsvertrag?
Denn irgendwie redet Herr Dr. Dahlmanns schon so, als ob ich bereits angestellt wäre.
»Ja, der Kollege, für den Sie kommen, ist schon länger krank. Da ich mein Budget von Ingolsheim genehmigen lassen muss, kann ich Ihnen noch nicht sofort zusagen. Wir wollten dem Kollegen bereits kündigen, aber Sie wissen ja, wie das so ist. Eine Kündigungsfrist muss eingehalten werden, und solange er noch im Krankenschein ist, kann ich ihm ja nicht kündigen.«
Habe ich das richtig verstanden? Ich soll für eine Person kommen, der man am liebsten im Krankenschein kündigen will oder schon gekündigt hat? Ich will Herrn Dr. Dahlmanns schon aufklären, dass er erst nach einem halben Jahr im Krankenschein den Kollegen kündigen kann, aber ich unterlasse es, denn im Normalfall haben es Arbeitgeber nicht gerne, wenn man sich im Arbeitsrecht zu gut auskennt. Von daher behalte ich mein Wissen für mich und versuche mir einzureden, dass mein Vorgänger sicher untragbar gewesen war. Durch meine Absage würde man ihn sicher auch nicht wieder einstellen, aber ein komisches Gefühl bleibt trotzdem.
»Also dann, wenn Sie mit dem vorgeschlagenen Gehalt einverstanden sind und mit 25 Urlaubstagen, dann könnten Sie am 1. Dezember anfangen.« Einverstanden bin ich zwar mit einer 20%igen Gehaltskürzung nicht und auch nicht damit, auf 9,5 Tage Urlaub zu verzichten, aber im Hinblick auf die wenigen verbleibenden Wochen bis zum Ende meiner Freistellungsphase, ist ein Spatz in der Hand zurzeit doch besser, als auf die Taube auf dem Hochhaus.
»Gern«, antworte ich, »Sie klären dann in der Zentrale ab, ob alles klappt zum 1. Dezember und ich spreche mit meinem Arbeitgeber.« Schlauerweise habe ich ihm selbstverständlich nicht erklärt, dass ich bereits seit über einem Jahr freigestellt bin und selbstverständlich alles andere gemacht habe, außer Buchhaltung.
Das hätte mich doch in Erklärungsnot gebracht, und ich hätte eingestehen müssen noch nicht einmal einen lapidaren Buchungssatz auf die Beine stellen zu können. Der einzige Buchungssatz, der mir spontan einfiele, ist: »Buche Kaffee an Kuchen«. Ebender dürfte auf wenig Verständnis bei meinem Gegenüber stoßen. Nicht, dass ich beruflich nichts aufzuweisen habe, aber nicht auf der buchhalterischen Seite. Mikrofinanz, Personalreferent oder Beschäftigungsinitiativen sind meiner Einschätzung nach von Herrn Dr. Dahlmanns nicht so gefragt für diese Position.
»Aber es wird sicher kein Problem sein, mein Arbeitsverhältnis bei der Subprimekrisenbank einen Monat früher zu beenden«, flunkere ich vor mich hin, um mein Gegenüber zu einer positiven Entscheidung zu ermuntern.
Bevor ich hier den ganzen Abend verbringen muss, würde ich nun gerne das Gespräch zu Ende bringen. Es ist in der Zwischenzeit neunzehn Uhr dreißig und meine Motivation, mich über Abschreibungen und Buchungssätze zu unterhalten, ist auf ein historisches Tief gefallen.
Mein Körper ruft, nach all den traumatischen Erinnerungen an grauenvolle Arbeit, nach einem eisgekühlten, spritzigen Glas Champagner. Mein Wunsch ist so stark, dass ich dieses unglaubliche Gefühl des prickelnden Hinabgleitens des eisgekühlten Champagners geradezu spüren kann. Kurz schließe ich meine Augen und bin sofort in einer anderen Welt, weit weg von Buchhaltung, Winter und trostlosen Büros … Draußen flirrt die Hitze, hier drinnen ist es dank Klimaanlage gekühlt, aber nicht zu kalt. Mein rückenfreies Chanel Kleid schließt meinen gerade frisch gestylten Körper elegant ein, Nägel und Haare sind im besten Salon der Stadt heute dem Ambiente angepasst worden. Der livrierte Kellner eilt devot herbei, um mir meinen Champagnercocktail elegant zu servieren. Dabei muss ich selbstverständlich keine Bestellung aufgeben. Man und Mann kennen mich hier. Regelmäßig sitze ich im besten Hotel der Stadt, dem »Rapples«, um mein Gedankengut zu ordnen und in Worte zu fassen – als Schriftstellerin. Meine Augen öffnen sich: »Aaahhhhh, wer ist der fremde Mann, der mich mit Glubschaugen anstarrt, als hätte er noch keine Diva gesehen?«
»Haben Sie noch Fragen? Oder nicht?«, fragt mich unsanft eine Stimme. Also, der Kellner aus dem »Rapples« würde mich das kaum in dieser