Marsjahr. Sven Hauth

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Marsjahr - Sven Hauth

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      Sven Hauth

      Marsjahr

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       SEPTEMBER

       OKTOBER

       NOVEMBER

       DEZEMBER

       JANUAR

       FEBRUAR

       MトRZ

       APRIL

       MAI

       JUNI

       Impressum neobooks

      SEPTEMBER

      Dienstag, 6. September

      Liebes Tagebuch,

      der Labor Day ist offiziell vorüber. Der Fernsehen zeigt nur noch das Testbild, eine bunt gestreifte Erinnerung daran, dass es schon längst Schlafenszeit ist. Trotzdem zögere ich, nach oben ins Bett zu gehen, denn die Nacht, die vor mir liegt, wird schlaflos und schweißgebadet sein, zersiebt von Albträumen und Grübelattacken, und das Morgengrauen wird viel zu früh dämmern.

      So war es jedes Jahr, denn Labor Day ist immer auch D-Day. Der Feiertag markiert den Beginn eines neuen Schuljahres, und - wieder einmal - den Wechsel an eine andere Schule. Die Apollo ist High School Nummer Drei in meinem Werdegang. Zum dritten Mal alles auf Anfang, alles neu - neue Klassenräume, neue Stundenpläne, neue Gesichter. Die Unbefangenheit des Sommers, diese zweieinhalb Monate der Sorglosigkeit - dahin. Die Sonne verdrängt von Neonlicht, das Vogelgezwitscher von gehässigem Teenagerlachen.

      Aber dieses Jahr wird alles anders! Aus den Gesprächstherapien mit Dr. Loomis bin ich mental gestärkt hervorgegangen. Das behaupte nicht ich, sondern der Doc höchstselbst. Ich mache einen guten Eindruck, so seine Worte am Ende unserer letzten Sitzung. Ich denke, er hat recht. Die langen Ferien haben meine Batterien aufgeladen. Ich bin bereit, mich in den Alltag zu stürzen.

      Pasteur hat sich bereits zurückgezogen. Der Anblick des leeren Sofas macht mich traurig. Ich habe das Gefühl, dass Pasteur in den letzten Wochen immer weiter auf Abstand zu mir gegangen ist. Vielleicht spürt er meine wachsende Nervosität? Er ist ja so ein Sensibelchen. Wahrscheinlich räkelt er sich gerade oben auf der Bettdecke, ohne Probleme, sich Morpheus hinzugeben. Wie ich ihn darum beneide. Was würde ich geben, um mit Pasteur zu tauschen - mit ihm, der sich keine Gedanken über das Morgen machen muss.

      Stop! Schon wieder ertappe ich meine Gedanken dabei, wie sie ins Negative abdriften, in diesen Teufelskreis aus Zweifeln und Hinterfragen. Genau davor hat mich der Doc gewarnt. Mein größter Feind befindet sich in meinem Kopf, hat er gesagt, und damit jedes Mal das Bild eines breitbeinig auf meinem Hirn reitenden Teufelchens hervorgerufen.

      Liebes Tagebuch, ich klammere mich an dich als meinen treuen Begleiter, und an den Gedanken, dass alles gut wird, dass sich die Dinge schon irgendwie fügen werden. Mit diesem Glauben – nein, dieser Gewissheit! –, schnippe ich das Teufelchen von meinem Hirn und gehe nach oben, gelassen und ohne Furcht.

      -

      Das Schuljahr mit den sechs Todesfällen begann für Paul mit Verspätung. Schuld war der verdammte Bus. Offenbar hatte sich seine Fahrerin noch nicht wieder an den neuen, alten Tagesrhythmus gewöhnt. Zeitgleich mit dem Gongschlag für den Unterrichtsbeginn bog sie in die Haltebucht.

      Paul hastete über den Streifen Betonplatten, der den wuchernden Rasen in zwei Hälften schnitt, auf den Haupteingang zu, das Gewicht des Skateboards schwer an seinem linken Arm pendelnd. Mit der Schulter drückte er gegen die Außentür. Kaum war er durch die schmale Öffnung geschlüpft, fiel sie schon wieder hinter ihm zu und klemmte eine der Skateboardrollen ein. Fluchend befreite Paul das Board aus dem Klammergriff der Tür, durchquerte den mit grobgeriffelten Fußmatten ausgelegten Vorraum, öffnete eine zweite Tür und stand im Gebäude.

      Wie jeden Morgen in den vergangenen Jahren fuhr ihm der typische Schulgeruch in die Nase. Nach zweieinhalb Monaten Pause wirkte er intensiv und frisch, doch Paul wusste, dass es keine Stunde dauern würde, bis diese ganz spezielle Mischung aus Bohnerwachs, gebrauchten Büchern, Kreide und schwitzigen Turnschuhen sich so in seinem Geruchssinn eingenistet hatte, dass er sie nicht mehr wahrnehmen würde. Und wie jeden Morgen streifte sein Blick auch heute als Erstes den pompösen Glasschaukastens, der so installiert war, dass der Blick eines jeden eintretenden Schülers gar nicht anders konnte, als ihn zu streifen.

      Automatisch registrierte Paul sein eigenes Gesicht, verzerrt zu einer flüssigen Maske aus Silber und Gold in drei Reihen blank polierter Pokale, die von den sportlichen Leistungen vergangener Jahre kündeten. Einen Großteil verdankte die Schule ihrem Footballteam, den Apollo Starfighters, doch auch die Leichtathleten und Basketballer hatten einen beträchtlichen Beitrag zu der Trophäensammlung geleistet. Plaketten mit Porträts und eingravierten Namen ehrten die erfolgreichsten Spieler. Im Hintergrund hing die Flagge mit dem Schulwappen. So unbefleckt weiß wie ihr Seidenstoff strahlte, bestand kein Zweifel, dass sie noch nie an einem Mast geweht hatte. Ein das Siegel umkreisender Text informierte über Name und Anspruch dieser Institution:

       Apollo High School

      

       Erfolg durch Bildung

      Paul verschwendete keinen Gedanken an Bildung oder Erfolg. Während rechts und links die Schüler in ihren Klassenräumen verschwanden, durchschritt er das Erdgeschoss wie ein olympischer Schnellgeher, und fragte sich, welcher von den Spinden, an denen er gerade vorbei hetzte, wohl Joanne gehören mochte.

      Der Anblick der Schließfächer weckte Erinnerungen an seine ersten Tage an der Apollo. Als unsicherer Freshman war er durch genau dieses System fensterloser Gänge geirrt, in der Hand den kopierten Lageplan, den man ihm am Einführungstag als Teil seines Begrüßungspakets überreicht hatte. Trotz dieser Orientierungshilfe fand er die eingezeichneten Klassenräume nie rechtzeitig. Das Innere der Schule kam ihm vor wie ein riesiges Labyrinth. Hinter jeder Ecke sah es gleich aus - nikotingelb gekachelte Wände und endlose Spindreihen, dasselbe fahle Neonlicht, dasselbe Salz-und-Pfeffer Muster auf dem Linoleumboden.

      Doch

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