Marsjahr. Sven Hauth

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Marsjahr - Sven Hauth

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Karree, im Aufbau geradezu lächerlich einfach. Zwei Stockwerke mit quadratischen Grundrissen, die Geradlinigkeit ihrer Seiten nur sporadisch unterbrochen von Abzweigungen zu Turnhalle und Werkstatt. Die Flure begannen sich in Details voneinander zu unterscheiden. Mit jedem Tag fand Paul sich besser zurecht, und ohne dass er es merkte mutierte die Apollo High von einem fremdartigen Planeten zu seiner zweiter Heimat und der Lageplan landete im Papierkorb.

      Durch eine Doppeltür, beidseitig schwingend wie der Eingang eines Westernsaloons, zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf, eine weitere Doppeltür, und Paul war im Obergeschoss.

      Abgesehen von vereinzelten Zuspätkommern lag das Reich der Juniors und Seniors, der Upperclassmen, verlassen da. Aus den Klassenräumen drangen gedämpfte Stimmen, die mehr oder weniger enthusiastisch den Fahneneid runterrasselten. Wäre Paul pünktlich gewesen, würde die Luft hier oben jetzt vibrieren vom hundertfachen Scheppern zuschlagender Spindtüren und dem Stimmengewirr des morgendlichen Informationsaustausch. Die letzten Meter auf dem Weg zu seinem Spind waren für gewöhnlich ein Spießrutenlauf durch den Parcours jugendlicher Subkulturen. Denn wie an jeder High School waren auch an der Apollo die sozialen Claims streng abgesteckt.

      Gleich neben der Tür zum Treppenhaus versammelten sich traditionsgemäß die Sportler, die sich aus diversen Untergruppen zusammensetzten. Strömungsgünstig kahl geschorene Schwimmer mit V-förmigen Oberkörpern. Basketballer, die auch abseits des Spielfelds ihre Nike Airs in Größe 48 und schlabbrige Nummernshirts in den Schulfarben Gold und Schwarz trugen. Ringer, deren Würfelköpfe ohne Umweg über einen Hals direkt auf den Schultern gewachsen zu sein schienen. Und natürlich die Footballer, einige von ihnen verantwortlich für die Pokale am Haupteingang. Für gewöhnlich tauschten sie sich lautstark über die Spielergebnisse des Wochenendes oder die physischen Vorzüge ihrer weiblichen Pendants aus, den Cheerleadern der Apollo Rockettes, die auf der gegenüberliegenden Gangseite so taten, als ob sie den Sitz ihrer Dauerwelle prüften, und dabei in ihren Schminkspiegeln ihrerseits beobachteten, welcher der Jungs ihnen gerade auf den Hintern glotzte.

      Wenn die Footballer nicht gerade schwatzten und glotzten, standen sie mit dem Rücken an ihre Spinde gelehnt, die Arme vor den hochgezüchteten Brustkörben verschränkt, wohlwissend, dass sie die heimlichen Herrscher der High School waren. Jeder Vorbeigehende wurde taxiert und bei Bedarf (und Bedarf gab es immer - Klamotten der falschen Marke, fehlender Bizeps, die Frisur vom Vorjahr) angepöbelt. Auch wenn sie ihn meist übersahen, hatte Paul schnell gelernt, dass man als Opfer derartiger Pöbelattacken besser jeden Augenkontakt vermied und schnellen Schritts zu einer der harmloseren Gruppen weiterzog.

      Wie den Metalheads. Die wachsende Popularität des kürzlich auf Sendung gegangenen Musikkanals MTV hatte ihnen reichlich Zulauf beschert. Schulfarben waren hier verpönt. Der Dresscode schrieb Lederjacken und Jeanswesten vor, letztere über und über benäht mit den Patches der Lieblingsbands. Unter dem Leder trug man ärmellose schwarze T-Shirts, bedruckt mit Bandnamen in unleserlich-aggressiver Typografie. Haare, die über den Schultern endeten, führten zum Gruppenausschluss. Sie führten ihre Gespräche ähnlich laut wie die Sportler, aber in ihnen drehte es sich nicht um Spielergebnisse oder irgend etwas, das auch nur rudimentär mit Schule zu tun hatte, sondern um wichtigere Themen wie den Tourkalender von Iron Maiden und welcher Bassist im Headbanger's Ball auf Adam Currys Sofa gekotzt hatte.

      Optisch weniger interessant kamen die Nerds daher, eine Ansammlung zukünftiger Informatikstudenten, die zu oft War Games geschaut hatten und an der Apollo einen regen Schwarzmarkt für raubkopierte Computerspiele betrieben. Sie hielten den Notendurchschnitt an der Schule hoch. Jeder von ihnen hatte mindestens ein Stipendium einer angesehenen Universität in der Tasche, und im Jahrbuch fand man unter der Rubrik Höchstes Aussicht auf akademischen Erfolg stets ein Foto eines ihrer Gruppenmitglieder

      Zuletzt folgte ein verstreutes Häufchen Schwarzer, das sich pausenlos mit Yo Niggah! anredete und mit Hilfe von Baggy Pants, Raiders-Kappen und Goldschmuck ihr Vorstadtgangsterimage pflegte. Da fast alle von ihnen auch Sportler waren, kam es hin und wieder zu einer Überlappung der beiden Gruppen (dagegen hörte kein Schwarzer jemals Iron Maiden oder würde sich auch nur in der Nähe der Nerds erwischen lassen). Selbst wenn man die weißen Möchtegern-Hip-Hopper mitzählte, die sich in ihrem Dunstkreis aufhielten, rechtfertigte ihre Anzahl kaum die Anerkennung als eigenständige Gruppe. Auf die Apollo High ging zu 99% der Nachwuchs der weißen Mittelklasse. Schließlich stand sie nicht im Herzen der Bronx, sondern am Rande von Plainsville, New Jersey.

      Ganz am Ende des Gangs, passend in die hinterste Ecke gedrängt, lag das Auffangbecken für den Rest. Für die, die in keine der anderen Cliquen passten, die weder Sport trieben noch Fan irgendeiner obskuren Band waren, keine Artikel für den Apollo Observer schrieben, weder am Schachklub, der Matheliga oder sonstigen "außerkurrikulären Aktivitäten" teilnahmen, und deren Schulleistungen so durchschnittlich waren wie ihr Aussehen. Die Unauffälligen und Eigenschaftslosen waren weder beliebt noch unbeliebt. Unbemerkt hatten sie sich durch die Schuljahre gemogelt, ohne bei Mitschülern oder Lehrern bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Ihre Anwesenheit störte niemanden, weil keiner sie bemerkte. Sie waren ihr eigener Klub, eine Art Klub der Unsichtbaren. Und der offizielle Vorstand, dachte Paul, als er seinen Spind fast erreicht hatte, das waren er und Mark.

      -

      Greg saß in seiner Schreib- und Leseklasse und überlegte, ob er sich mehr über den ersten Schultag oder seinen neuen Helm freuen sollte.

      Mom sagte immer, er wachse schneller wie eine Bambusplantage. Greg wusste zwar nicht, was eine Bambusplantage war, aber er verstand, dass er es diesem bambusschnelle Wachstum zu verdanken hatte, sich endlich von seinem alten Helm trennen zu dürfen. Mom war mit ihm in diesen Laden in der großen Stadt gefahren, wo sie oft Sachen für ihn kauften, die man nur dort fand. Dort gab es ein Regal mit ganz vielen Helmen, und er hatte sich den aussuchen dürfen, der ihm am besten gefiel. Seine Wahl war sofort auf das rote Exemplar gefallen, nicht nur, weil rot seine Lieblingsfarbe war, sondern auch weil der Helm mit einem schnittigen gelben Blitz auf der Vorderseite dekoriert war. Er hatte ihn aufgesetzt und sich darunter sofort wohl gefühlt.

      In seinem kurzem Leben hatte Greg schon viele Helme getragen, und manchmal hasste er sie – sogar die feuerroten mit Blitz. Dann engten sie seinen Kopf ein, oder der Kinnriemen schnitt in seinen Hals und hinterließ rote Striemen, und dann wollte er sie sich am liebsten runterreißen. Doch Mom hielt ihn jedes Mal zurück und erklärte ihm, dass der Helm wichtig war, denn ohne ihn würde er sich wehtun, wenn er einen seiner "Anfälle" bekam.

      Weh tun wollte Greg sich nicht, weh tun war ganz schlecht, aber es gab Momente, da wurde der Zwang, seinen Kopf gegen die Spindtür oder die nächstgelegene Wand zu schlagen, so unerträglich, dass er nicht anders konnte, als ihm nachzugeben. Regelmäßig fand er sich danach auf dem Boden wieder, den Mund voll Schaum, über ihm die besorgten Mienen von Lehrern und das Grinsen der anderen Kinder. In solchen Momenten war er dankbar für seinen Helm. Und seinen neuen mochte er ganz besonders, nichts drückte oder schnitt. Seine Klassenkameraden hätten ihn ganz sicher beneidet - wenn Greg welche gehabt hätte.

      Doch der Platz neben ihm war leer, und auch auf den anderen Stühlen saß niemand. Es gab nur Greg und seinen Lehrer. Mom sagte, das lag daran, dass er etwas ganz Besonderes war. So besonders, dass es einen Lehrer nur für ihn allein gab. Darauf war er stolz, aber trotzdem hätte er gerne ein paar Klassenkameraden gehabt.

      "Na Greg, wie kommen wir voran?" Der Lehrer sah ihm über die Schulter. Stolz zeigte er ihm die wackeligen Buchstaben, die er zu Papier gebracht hatte.

      "Ganz toll!" Greg fühlte eine tätschelnde Hand auf seiner Schulter. Bestimmt war dem Lehrer auch seine neue Kopfbedeckung aufgefallen. Greg lächelte. Ein Spucketropfen seilte sich auf das Heft ab und verwischte eines der mühsam gemalten Gs.

      Schnell wischte er den Speichel mit seinem Ärmel weg. Das passierte jedes Mal, wenn er aufgeregt war – er fing dann an zu sabbern, was ihm beinahe noch unangenehmer

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