Marsjahr. Sven Hauth

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Marsjahr - Sven Hauth

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Brian respektierte ihn, wie er niemanden sonst respektierte, denn der Coach verstand das Spiel.

      "Ja."

      "Ein Wolf bekommt immer, was er verdient. Sprich es mir nach!"

      "Ein Wolf bekommt immer, was er verdient."

      "Und verdienst du es?"

      "Verdammte Scheiße, ja!", schrie Brian.

      Der Coach trat einen Schritt zurück und senkte seine Stimme auf Zimmerlautstärke.

      "Dann reiß dich zusammen. Denn ohne Chemie wird das nichts. Ein Vollstipendium fällt einem nicht in den Schoß. Schon gar nicht in Slayton. Oder willst du in irgendeinem Loserteam dein Talent vergeuden?"

      Natürlich wollte Brian das nicht. Er wollte nach der High School in das beste Team von allen, und das spielte nun mal für die Slayton University.

      Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Den SAT, den Standard-Aufnahmetest der Universitäten, hatte er gründlich vergeigt. Jetzt wurde die Luft dünn, denn Slayton verlangte auch von seinen zukünftigen Footballstars zumindest durchschnittliche Noten in mindestens einer Naturwissenschaft. Den Sinn dahinter verstand Brian so wenig wie Chemie selbst.

      Atome, Moleküle, organische und anorganische Verbindungen – das war definitiv nicht seine Welt. Seine Welt war das Spielfeld hinter der Schule, oder jedes andere Stück Rasen, das man in 5-Yard-Abschnitte unterteilen konnte. Und nun hing sein gesamter Werdegang an diesem verfluchten Fach. Jedes Mal, wenn er über diese Ungerechtigkeit nachdachte, fing es in Brian an zu brodeln. Zur Beruhigung schob er sich einen Priem Kautabak in die Backe.

      Es half auch nicht, dass er bei Rachel in letzter Zeit nur noch eine Statistenrolle spielte. Seitdem sie dieses Buschmädchen adoptiert hatte, landete er kaum noch einen Stich. Früher hatte Rachel nicht genug von ihm bekommen. Aber seit einem Monat waren sie nie mehr allein - wie ein Kleinkind musste die Dschungellady überall mit hingeschleppt werden. Jeder seiner Annäherungsversuche erstarb unter Rachels gezischten "nicht jetzt", "nicht hier". Sie blockte seine gierigen Hände ab und schob ihn von sich wie ein lästiges Insekt.

      Am Tag an dem Brian von der Ankunft des Buschmädchens erfahren hatte, war die vage Hoffnung auf einen flotten Dreier aufgekeimt. Und wieder zerstoben, als Rachel ihm den Neuankömmling präsentierte. Was als exotische, vollbusige Schönheit durch seine nächtlichen Fantasien gespukt war, entpuppte sich als bleiches Bügelbrett in Pennerklamotten, so prickelnd wie ein Schluck Lebertran.

      Brian hatte die Schnauze gestrichen voll. Das war doch alles Bullshit. Er, ein Mann der Tat, fühlte sich nur noch als Spielball von Kräften, die außerhalb seiner Kontrolle lagen.

      Die Lehrerin betrat das Labor. Eine neue. Auf einmal schöpfte Brian neuen Mut. Wie sie mit zittrigen Fingern ihren Namen auf die Tafel kritzelte, ihre geduckte Statur, das alberne blümchenverzierte Notizbuch auf dem Pult - mit ihr würde er leichtes Spiel haben.

      Um seine Theorie zu testen, spuckte er einen Strahl Kautabak auf den Boden. Die Lehrerin drehte sich nach dem schmatzenden Geräusch um. Ihr Blick fiel erst auf den braunen Fleck am Boden, dann auf Brian. Er sah ihr fest in die Augen. Schon machte sie den Mund auf, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders und wandte sich wieder der Tafel zu.

      Also hatte Brian Recht gehabt. Schwäche spürte er instinktiv, und er wusste sie zu nutzen. Ja, man konnte sagen, dass er eine Schwäche für Schwäche hatte. Er musste über sein eigenes Wortspiel lächeln.

      Das Lächeln erstarb, als der Typ hinter ihm gegen seinen Stuhl trat. Brian drehte sich um und sah sich zum zweiten Mal innerhalb einer Minute mit Schwäche konfrontiert. Hinter ihm saß ein hagerer Typ, mit Armen wie ein zwölfjähriges Mädchen. Es war offensichtlich, dass er noch nie das Innere eines Fitness-Studios gesehen hatte.

      Der Schlaks nuschelte eine halbherzige Entschuldigung. Brian wägte kurz ab, ob er ihm eine Lektion in Respekt erteilen sollte, wie er es in solchen Situationen grundsätzlich zu tun pflegte. Seine Faust kribbelte bereits in freudiger Antizipation, aber er entschied sich dagegen. Der Typ schien die Mühe nicht wert. Außerdem hatte Brian Wichtigeres zu tun. Er musste einen Schlachtplan entwerfen, um diesen Kurs zu überstehen. Denn wenn er es diesmal nicht schaffte, konnte er sich das Stipendium mitsamt seiner Zukunft in den durchtrainierten Hintern schieben.

      -

      Im Grunde war es der Wunsch ihrer Eltern gewesen, Ale für ein Schuljahr in die USA zu verfrachten. Es wird gut für deine Englischkenntnisse sein, so ihre Worte, gut für deine Karriere. Der amerikanische High School Abschluss wird dir jede Menge zusätzliche Türen öffnen.

      Ale hatte zustimmend genickt, dabei hatte sie nicht einmal den Ansatz einer Ahnung, was sie nach der Schulzeit mit ihrem Leben anstellen wollte. Aber die Aussicht auf die Freiheit, die ein langer Auslandsaufenthalt versprach, weckte ihre Abenteuerlust, und die Hochglanzfotos in den Broschüren der Vermittlungsagentur taten ihr Übriges und lockten mit dramatischen Weitwinkelaufnahmen von Wolkenkratzern und perlweißen kalifornischen Stränden.

      Schon sah sich Ale in den nie schlafenden Straßenschluchten des Big Apple, und gleich darauf Hand in Hand mit einem wasserstoffblonden Beach Boy Spuren im Sand von Malibu hinterlassen. Ein Beach Boy wie aus Rachels Lieblingsserie entsprungen, in der die Rettungsschwimmer aussahen wie die Chippendales auf Strandurlaub, und alle Frauen Brüste groß wie Volleyballhälften vor sich hertrugen.

      Statt unter der Sonne Malibus landete sie in einem nüchternen Städtchen namens Plainsville, irgendwo im Nirgendwo. Ihre neuen Eltern auf Zeit nahmen sie warmherzig in ihrem Zuhause auf und waren sichtlich bemüht, Interesse an Ales Heimat zu zeigen. Doch mit der Einkehr des Alltags verebbte ihre Neugier auf ferne Kulturen und die Gespräche wurden kürzer. Ihre gleichaltrige Gastschwester Rachel, in der Ale gehofft hatte, eine beste Freundin zu finden, entpuppte sich als oberflächliche Quasselstrippe, die die meiste Zeit mit ihrem klotzigen Boyfriend abhing. Der Kerl folgte Rachel wie ein Schatten und ließ keine Gelegenheit aus, sie zu begrapschen, ohne Rücksicht auf Ales Anwesenheit. Mit stolzer Stimme hatte Rachel ihr erklärt, dass er an der Schule so etwas wie eine sportliche Berühmtheit war, ein begnadeter Footballspieler und Kapitän der Apollo Starfighters. Ihm war es zu verdanken, dass seine Mannschaft im vorigen Jahr irgendein blödes Tournier gewonnen hatte.

      Football. Darum drehte sich hier alles. Ein stumpfsinniges und grobschlächtiges Spiel, in dem es vorwiegend darum zu gehen schien, den Gegner anzurempeln. Ein Spiel wie das Land. Trotz der Namensähnlichkeit hatte es rein gar nichts mit dem ungleich eleganteren Fußball gemeinsam. Rachels Versuche, ihr die komplizierten Spielregeln zu erklären, hatten nicht gefruchtet. Das Einzige, was Ale behalten hatte, war, dass der Stürmer Quarterback genannt wurde. Dies war die Position, auf der Rachels Freund spielte, was sie so oft betont hatte, bis Ale von dem Wort träumte. Die Cheerleaderin und der Quarterback - gab es ein größeres Klischee? Es klang wie von einem schlechten Autoren erdacht.

      Ales neues Zuhause bot sämtliche Annehmlichkeiten, die sich ein Teenager wünschen konnte, inklusive einem beheizbaren Swimming Pool im Garten. Ihr Zimmer besaß ein King-Size Wasserbett und einen begehbaren Kleiderschrank. Purer Luxus im Vergleich zu den fünfzig Quadratmetern, die sie sich daheim mit ihren Eltern und zwei jüngeren Brüdern teilen musste. Aber auch nach einem Monat war Ale die neue Umgebung fremd wie am ersten Tag. Sie vermisste die Wärme, in der Luft wie in den Menschen. Jedes Mal, wenn sie das Haus verlies, hatte sie das Gefühl, ein Vakuum zu betreten. Die Bürgersteige vor den gepflegten Rasenflächen schienen nur zu Dekorationszwecken gebaut. Fußgänger hatte Ale seit ihrer Ankunft keine gesehen. Nur selten fuhr ein Auto vorbei, und wenn, dann war es der Briefträger, der jeden Tag ein Kilo Werbung hinterließ.

      Bei Ale zu

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