Beispielhaft. Claus Karst
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„Ja, ich habe natürlich die Medienberichte verfolgt und finde die Idee großartig, die Abonnenten wählen zu lassen, welche Oper anlässlich des Jubiläums aufgeführt werden soll“, antwortete Wotan. „Liegt das Ergebnis der Abstimmung bereits vor?“
„Ja, mein Lieber, und das Ergebnis findet unbedingt meinen Gefallen. Unsere Klientel will allen Ernstes den Rigoletto, und zwar ein Remake der Inszenierung von vor fünfundzwanzig Jahren … Du wirst dich vielleicht im Stillen gewundert haben, dass du noch keine Einladung von mir erhalten hast, aber …“ Holtz legte eine Kunstpause ein. „Aber ich wollte erst einmal mit dir ...“
„Nein, bitte nicht … Sprich nicht weiter!“, unterbrach Wotan ihn. Ihm schwante jetzt der Grund des Anrufs, er wollte die sich anbahnende Frage gar nicht erst hören, sperrte sich mit allen Sinnen dagegen.
„Lass mich bitte ausreden, mein Lieber. Ich hatte zwar einen Moment lang an Liborio Stupia als unseren aktuellen Interpreten des Hofnarren gedacht, der fällt aber aus – Probleme mit seinen Stimmbändern. Unsere Zweitbesetzung steht wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht zur Verfügung, ist nach meinem Dafürhalten auch nicht eine gebotene Besetzung für diese Galavorstellung, zumindest nicht im Vergleich zu deiner Interpretation. Bevor ich nun überall herumtelefoniere …“
„Vergiss es! Ich sage Nein!“, fiel Wotan ihm erneut ins Wort.
„Wotan, für mich warst du immer und bist es auch heute noch die absolute Erstbesetzung für den Rigoletto, überleg’s dir bitte. Du kannst es, du hast ihn vor fünfundzwanzig Jahren gegeben und danach noch zig Male auf unserer und anderen Bühnen. Das ist doch deine Rolle schlechthin! Und bedenke eins: Das Publikum, gerade bei uns, liebt dich immer noch wie kaum jemanden sonst!“, lockte Holtz schmeichelnd und brachte damit auch seine feste Überzeugung zum Ausdruck. Er hatte nie einen besseren Rigoletto auf der Bühne erlebt.
„Jo, meine Stimme ist nicht mehr in Form, ich habe lange nicht mehr in ausreichendem Maße geübt und möchte mich nicht blamieren, gerade bei euch nicht, bei dem Auditorium, das mich noch immer liebt, wie du behauptest“, sträubte Wotan sich. „Ich möchte, dass die Opernfreunde in meiner Heimatstadt mich in bester Erinnerung behalten, das wirst du mir doch sicherlich zugestehen. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ein Gnadenbrot wie ein alter Gaul zu erhalten.“
Holtz ließ nicht locker und nahm einen erneuten Anlauf. „Versuch es doch bitte. Lass mich beurteilen, ob deine Form ausreicht. Vor allem weiß ich eins: Niemand spielt den Rigoletto wie du. Niemand!“
Als Holtz diesen Satz aussprach, hörte Wotan die ehrliche Würdigung seines Gesprächspartners heraus, ebenfalls ein frohlockendes Schmunzeln in dessen Stimme. Er spürte, dass der Intendant sich von seiner Idee nicht abbringen lassen würde. Sie kannten sich lange genug.
Holtz wartete geduldig auf eine Antwort.
Schließlich sagte Wotan, einerseits über die Wertschätzung erfreut, andererseits jedoch mit Widerwillen: „Gib mir ein paar Tage zum Repetieren. Ich habe den Rigoletto ein paar Jahre nicht mehr gesungen. Wenn ich zu der Auffassung gelange, dass ich’s noch einmal schaffe und meine Stimme meinem eigenen Anspruch genügt, gebe ich dir Bescheid. Erwartest du, dass ich bei allen Proben anwesend bin?“
„Wir sind mit den Proben schon recht weit, es ist für uns ja eine Wiederaufnahme. Ich denke, dass in diesem Fall ein paar Abstimmungsproben gegen Ende der Vorbereitung reichen. Keiner kennt die Inszenierung so gut wie du“, räumte Holtz ein.
„Freu dich nicht zu früh, Jo. Glücklich machst du mich mit deinem Angebot ganz und gar nicht“, entgegnete Wotan. Er verhehlte seine Zweifel nicht.
„Hm, ich freu mich trotzdem, denn ich bin mir sicher, dass … Ach, und noch etwas, das wird dir deine Entscheidung vielleicht ein wenig erleichtern. Kannst du dir denken, wen ich für den Part der Gilda engagiert habe?“, fragte er geheimnisvoll.
„Nein, du wirst es mir aber jetzt verraten, nehme ich an.“
„Caro!“
„Caroline Bogaert? Wirklich?“
„Kennst du noch eine andere Caro?“
Abermals gab die Stimme sein Schmunzeln wieder. Holtz war sich sicher, sein Ziel erreicht zu haben. Jetzt erst recht.
In diesem Moment fiel Wotans Entscheidung. Caro! Seine Lieblings-Gilda. Dafür würde er noch einmal alles geben. Vor zwanzig Jahren hatte er die Belgierin in einem kleinen Provinzopernhaus als Anfängerin kennengelernt. Sie war ihm sofort aufgefallen, hatte seine Zuneigung gewonnen. Immer wieder waren sie sich auf den Bühnen begegnet, waren zufällig gemeinsame Engagements eingegangen. Sie verfügte über eine ausdrucksstarke Stimme, war zudem eine großartige Schauspielerin. Genau wie er selbst bewegte sie sich geschickt auf der Bühne, ohne umfangreiche Regieanweisungen, ohne andere Akteure an die Wand zu spielen. Wotan hatte sie immer wieder Intendanten empfohlen, die auf sein Urteil Wert legten.
Caro war seine große musische Liebe, allerdings heimlich und unerfüllt. Er hatte nie darüber gesprochen, mit niemandem, auch nicht mit ihr. Diese Liebe war dazu verurteilt, ein Leben lang in seinem Herzen zu lodern. Johannes Holtz, ein guter Menschenkenner, hatte bei seinen Überlegungen vermutet, dass die Besetzung mit Caroline Bogaert den Ausschlag geben könnte.
Die Ankündigung, noch einmal mit Caro zu singen, wühlte Wotan auf, weckte Erinnerungen, auch Sehnsüchte. Von jetzt an musste er üben, üben und nochmals üben, musste seine Stimme auf Hochglanz bringen, noch ein letztes Mal. Um seine Gefühle nicht zu offenkundig durchdringen zu lassen, fragte er Holtz so nüchtern und beherrscht wie möglich: „Und den Herzog, wer singt den?“
„Ein Gast aus England, von dem ich viel halte, Caro übrigens auch. Thomas Armsden. Der wird seinen Weg machen.“
Danach riefen sie Erinnerungen an vergangene Tage wach, gemeinsame Erfahrungen, Erfolge, aber auch Pleiten. Sie, die beide fast gleichen Alters waren, hatten viel erlebt. Genau wie Wotan plante auch Holtz, nach und nach aus dem stressigen Bühnenleben auszuscheiden. Das Opernhaus suchte schon seit einem Jahr nach einem geeigneten Nachfolger für ihn. Die Jubiläumsveranstaltungen sollten ein Höhepunkt seiner Arbeit an diesem Haus werden.
Wotan versprach, sich so bald wie möglich zu melden, denn die Zeit drängte inzwischen. Die nächsten Tage verbrachte er von morgens bis abends repetierend am Klavier. Es überraschte ihn, dass ihm die Texte immer noch völlig geläufig waren, obwohl er als Rigoletto zuletzt vor acht Jahren auf der Bühne gestanden hatte. Seine anfängliche Skepsis wich, je länger er sich mit der Rolle wieder vertraut machte. Auch seine Stimme schien Freude an der Arbeit zu haben, denn sie wurde von Tag zu Tag geschmeidiger.
Nach ein paar Tagen intensiven Repetierens rief Wotan seinen Freund Holtz an und teilte ihm mit, dass er bereit sei, die Rolle bei der Jubiläumsveranstaltung zu übernehmen, aber nur dieses eine Mal. Als nur noch zwei Wochen bis zur Premiere verblieben, vereinbarten sie, dass Wotan sich umgehend auf den Weg machen sollte, um an den verbleibenden Proben teilzunehmen.
Groß war die Freude, als Wotan zwei Tage später im Theater auftauchte. Die alte Maskenbildnerin Tessi Braun, die längst zum Inventar des Theaters gehörte und schon den jungen Wotan geschminkt hatte, begrüßte ihn mit einem Strauß Rosen und Glückstränen in den Augen. Wotan überreichte ihr zum Wiedersehen eine Packung Pralinen, wohl wissend, ihr damit eine Freude machen zu können.
Caro fiel ihm um den Hals, als er sie in ihrer Garderobe begrüßte, küsste ihn voller Wiedersehensfreude und flüsterte ihm zu,