Beispielhaft. Claus Karst
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Eileen plapperte munter und unbekümmert drauf los, zeigte Interesse für alles, was Wotan ihr zu erzählen wusste. Bereitwillig beantwortete er ihre Fragen. Er war fasziniert von ihrer Unbekümmertheit, ihren funkelnden blauen Augen. Seine Zurückhaltung verlor sich mit jeder Minute. Sie waren so angeregt in ihr Gespräch vertieft, dass es ihnen völlig entging, als die Musiker sich wieder einen Weg auf die Bühne bahnten und Aufstellung nahmen.
Wotan wurde erst aufmerksam, als er durch das Gemurmel im Raum Hotte durchs Mikrofon sagen hörte: „Liebe Freunde, ich hatte gedacht, dass alle Anwesenden soeben den Sänger erkannt hätten, obwohl er nicht in der Jazzszene aktiv ist. Zu meinem Erstaunen bleibt mir festzustellen, dass dies nicht der Fall ist. Er ist kein Geringerer als mein lieber Freund aus Jugendzeiten, der bekannte Opernsänger Wotan van Geel, der in unserem Opernhaus den Rigoletto in der Jubiläumsveranstaltung geben wird.“
Beifall brandete auf, im Getuschel an den Tischen war immer wieder zu hören: „Hab ich doch gesagt!“, „Klar, jetzt erkenne ich ihn auch, er war doch in der Zeitung“ …
Hotte fuhr fort: „Wotan, darf ich dich noch einmal auf die Bühne bitten? Ein oder zwei Songs noch? Ich glaube, unser Publikum wird sich freuen.“
Ein beifälliger Applaus verlieh Hottes Wunsch den notwendigen Nachdruck.
Wotan erhob sich langsam von seinem Stuhl, fühlte sich eigentlich von seinem Freund ein wenig überfahren, obwohl er sich hätte denken können, dass Hottes Einladung nicht uneigennützig ausgesprochen worden war. Er begab sich wieder aufs Podium, nahm das Mikrofon in die Hand und sagte: „Danke, liebe Freunde, vielen Dank. Aber ich bitte um Verständnis, dass ich nur noch ein Lied singen werde. Ich muss für die Premiere des Rigoletto meine Stimme schonen. Aus besonderem Anlass, den ich allerdings nicht näher erläutern möchte, singe ich keinen Jazztitel, sondern ein Lied, das sie alle kennen.“
Er wandte sich darauf an Hotte und besprach sich mit ihm. Nach einer kurzen Verständigung setzte der Keyboarder ein mit dem bekannten Sinatra-Song My way, eine erste Variation von Hotte tönte durch den Raum, sehr getragen, sehr melancholisch, bis Wotans Einsatz erfolgte:
„And now, the end is near,
And so I face the final curtain.
My friend, I’ll say it clear,
I’ll state my case, of which I’m certain.”
Die Musiker übernahmen das Thema wieder, Wotan trat ein wenig zurück. Mit einem Stirnrunzeln variierte Hotte das Thema. Da war etwas in Wotans Stimme, ein merkwürdiges Timbre, das ihn aufhorchen ließ, ihn irritierte. Das war nicht der Wotan, den er kannte. Und warum gerade dieses Lied? Was wollte sein Freund damit zum Ausdruck bringen? Er machte sich seine Gedanken.
Wotan fuhr fort:
„I’ve lived a life that’s full.
I’ve travelled each and ev’ry highway:
But more, much more than this:
I did it my way!”
Nach dieser Strophe übernahmen die Musiker erneut, ein jeder mit einem Solo. Schließlich trat Wotan wieder vor, um eine letzte Strophe zu singen, dieses Mal auf Deutsch:
„Und dennoch denk ich gern zurück,
ich hatte Glück, verdammt viel Glück,
ich kann zu vielen Freunden geh’n,
die sich sehr freu’n, wenn sie mich seh’n
und ohne Groll den Satz versteh’n:
‚I did it my way‘,
und ohne Groll den Satz versteh'n:
‚I did it my way‘.
Vor dem letzten my way holte er tief Luft, hielt den Ton, erst in normaler Tonstärke, dann immer leiser werdend, während Hotte ihn mit einigen Triolen aufmerksam begleitete. Als Hotte merkte, dass sich Wotans Luftvorrat dem Ende zuneigte, gab er ein Zeichen. Abrupt beendeten sie gemeinsam.
Atemlose Stille herrschte im Raum. Alle Besucher hatten gespürt, dass auf der Bühne etwas Mysteriöses vor sich gegangen war. Doch plötzlich brandete ein lang anhaltender Beifall auf, erst vereinzelt, dann steigerte er sich zu einem Orkan, begleitet von zahlreichen Bravorufen. Wotan stand auf dem Podium, blickte ins Leere, verbeugte sich, umarmte Hotte und stieg von der Bühne hinunter. Er setzte sich wieder an den Tisch zu Eileen, die ihn sprachlos anstarrte. Von der Bedienung ließ er für sich und die Engländerin noch ein Bier bringen.
„Es war unglaublich“, sagte sie, „so habe ich das Lied noch nie gehört. Ein Schauder ist mir eiskalt den Rücken hinuntergelaufen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand das Lied mit mehr Gefühl singen kann, selbst Sinatra nicht.“
Wotan schaute sie verständnislos an. Er versteifte sich darauf, nur ein Lied gesungen zu haben, nicht mehr, nicht weniger. Mit einem Blick auf die Uhr fügte er hinzu: „Oh, es ist später geworden, als ich hier zu bleiben beabsichtigte. Ich bin ein wenig erschöpft. Die letzten Tage waren hart für mich, ich bin die Arbeit auf den Brettern nicht mehr gewohnt. Ich möchte jetzt aufbrechen, werde mir ein Taxi rufen.“
„In welchem Hotel wohnen Sie?“, fragte Eileen. Nachdem sie festgestellt hatten, in demselben untergebracht zu sein, bat Eileen, mitfahren zu dürfen.
Wotan verabschiedete sich von der Band. Das freundschaftliche Grinsen seines Freundes ignorierte er, als er mit der jungen Frau den Club verließ. Er machte sich keine Gedanken darüber, dass wieder Gerüchte aufleben könnten.
Bald schon erschien das bestellte Taxi. Sie setzten sich auf die Rückbank, wo Eileen meinte, es sei ziemlich frisch geworden, sich ungezwungen an ihn kuschelte und munter weiterplapperte, wie schon im Club.
Wotan nahm das Geschehen um ihn herum gar nicht richtig wahr, konnte sich auch später nicht erinnern, was Eileen alles erzählt hatte. Die junge Frau an seiner Seite erschien ihm wie eine Götterbotin, eine Gesandte der Venus, unter deren Sternzeichen Stier er geboren worden war.
Am Hotel angekommen, bezahlte Wotan den Taxifahrer. Sie ließen sich ihre Schlüssel geben und begaben sich zum Lift. Wotan drückte die dritte Etage, während Eileen, deren Zimmer im fünften Stock lag, Wotan strahlend anblickte.
Der Lift hielt an, beide schauten sich wortlos an, bis Eileen seinen Arm nahm. Sie hakte sich bei ihm ein und bemerkte wie völlig selbstverständlich: „Einen Schlaftrunk nehmen wir