Beispielhaft. Claus Karst

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Beispielhaft - Claus Karst

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Johannes Holtz drei Tage später Wotan einen ersten Besuch abstattete, um sich persönlich nach seinem Befinden zu erkundigen, stieß er an der Tür vor der Intensivstation auf Ärzte, Krankenschwestern, Wotans Frau und Tochter in großer Aufregung. Frau van Geel zeigte sich außerordentlich empört, die Tochter hatte Tränen in den Augen. Niemand wollte ihm den Grund dafür nennen. Schließlich gesellte sich auch Professor König, der Wotan im Theater die Erstversorgung geleistet hatte, zu ihnen. Er nahm Holtz und die Angehörigen beiseite und erklärte: „Es ist nicht zu glauben … Ich kann es nicht fassen … Der Patient ist weg – spurlos verschwunden, ohne jeden Hinweis, ohne jede Nachricht. Obwohl er völlig erschöpft war und gut daran getan hätte, medizinische Hilfe weiterhin in Anspruch zu nehmen, hat er sich mir nichts dir nichts aus dem Staub gemacht. Niemand hat beobachtet, wie ihm das Verschwinden gelungen sein könnte. Daher kann ich im Moment keine weiteren Details präsentieren, auch kann ich nicht sagen, ob ihm jemand dabei Hilfestellung geleistet hat. Ein solcher Vorgang kommt zwar gelegentlich vor, aber bei ihm war infolge seines Zustands nun wirklich nicht damit zu rechnen.“

      Mit einer Miene purer Hilflosigkeit blickte er in die Runde, bevor er alle Diensthabenden auf der Station barsch zurechtwies und Konsequenzen androhte.

      Holtz sagte zu Frau van Geel: „Ich fahre von hier zum Hotel, wo Wotan untergebracht war. Wollen Sie sich anschließen? Ich kann Sie aber auch gerne informieren, wenn ich etwas herausfinde, das weiterhilft.“

      Sie vereinbarten, dass Holtz sie auf dem Laufenden hielt, falls sich etwas Konkretes ergeben würde, und verabschiedeten sich.

      Im Hotel erfuhr der Intendant, dass der Gast auf telefonische Anordnung hin seine Sachen durch einen Taxifahrer vor zwei Stunden hätte abholen lassen. Holtz verstand die Welt nicht mehr, war fassungslos, machte sich Sorgen um seinen Freund. Er rief gemeinsame Bekannte an, von denen er Informationen zu erhalten hoffte, niemand hatte jedoch etwas von Wotan gehört. Auch mit Caro setzte er sich telefonisch in Verbindung, die wegen anderer Verpflichtungen abgereist war. Von ihr vermutete er am ehesten etwas zu erfahren, falls es etwas zu erfahren gab.

      „Ich kann mir keinen Reim auf Wotans Verhalten machen“, sagte sie. „Ich finde keine Erklärung dafür und mache mir schwere Vorwürfe, zu wenig Zeit für ihn gefunden zu haben, obwohl ein untrügliches Gefühl mir zugeraunt hatte, dass mit Wotan Ungewöhnliches vor sich ging.“

      Als es Holtz abends gelang, Wotans Frau zu erreichen, zeigte diese sich ausgesprochen reserviert und kurz angebunden.

      „Wir sollten die Polizei in die Suche einschalten, Frau van Geel“, schlug er vor.

      „Daran habe ich auch schon gedacht“, entgegnete sie zustimmend.

      „Haben Sie wirklich keine Idee, wo er sich aufhalten könnte?“, fragte er.

      „Sie glauben, meinen Mann zu kennen? Nein, Sie kennen ihn nicht!“

      Damit beendete Frieda van Geel das Gespräch und ließ einen verwunderten Johannes Holtz zurück, der mit seiner Weisheit am Ende war.

      Der Intendant benachrichtigte anschließend die Medien, dass die nächsten Aufführungen des Rigoletto erst einmal abgesetzt würden. Die Abonnenten hofften, nach der grandiosen Premiere natürlich dieselbe Besetzung zu sehen. Der Zusammenbruch von Wotan van Geel und sein Abtauchen ließ sich eh nicht lange verheimlichen. Holtz ging in die Offensive. Er bereitete für die Medien ein vages Statement vor, das alles und nichts bedeuten konnte, sprach von Wotans ihm gegenüber geäußerter Absicht, „sich erholen zu wollen“. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Freund ihn hängen ließ, ohne ihm eine Begründung dafür zu liefern. Natürlich, Wotan hatte ihm nur für die Jubiläumsveranstaltung eine Zusage gegeben. Dennoch war er sich der trügerischen Hoffnung verfallen, mit der Erstbesetzung noch den einen oder anderen Abend durchzuführen, besonders nach dem grandiosen Erfolg. Es würde seinem schmalen Budget gut bekommen.

      Am nächsten Morgen kam Tessi Braun völlig aufgelöst in sein Büro gestürmt. Mit tränenerstickter Stimme, immer wiede von einem Weinkrampf unterbrochen, schluchzte sie: „Wotan … in seiner Garderobe … in seinem Sessel … als Rigoletto geschminkt … tot …“

      Holtz ließ sie stehen, rannte in die Garderobe und fand Tessis Meldung bestätigt. Fassungslos starrte er seinen toten Freund mit ungläubigem Erstaunen an. Erst nach einer halben Stunde wurde ihm bewusst, dass jetzt einige Dinge zu erledigen waren. Er rief die Polizei und Professor König an. Frieda van Geel erreichte er nicht, nahm sich jedoch vor, sie später zu besuchen.

      Somit war die Premiere ein unwiederholbares Ereignis gewesen. Als Liborio Stupia die Probleme mit seinen Stimmbändern bewältigt hatte, wurde der Rigoletto wieder ins Programm genommen. Der Schatten Wotans drückte jedoch am Abend der Wiederaufnahme auf die Stimmung im Haus. Caroline Bogaert fand auf ihrem Schminktisch einen Fotorahmen mit dem Porträt Wotans vor. Tessi Braun hatte ihn dort aufgestellt und schluchzte: „Warum nur hat er uns verlassen? Warum wollte er nicht mehr für uns singen? Nie war er besser gewesen.“

      Caro wusste darauf keine Antwort, zu tief war sie vom Tod ihres Freundes betroffen. Fragend starrte sie auf das Foto, als könne es ihr eine Antwort geben. Plötzlich beschlich sie das Gefühl, dass Bewegung in das Foto gekommen war. Sie vermeinte deutlich zu sehen, wie sich Wotans Lippen öffneten und er ihr mit einem scheuen Lächeln zuflüsterte: „Sing, Liebes, sing! Sing für mich. Ich bin bei dir, werde immer bei dir sein!“

      Erschrocken fuhr sie hoch, als die letzten zehn Minuten vor Vorstellungsbeginn über den Garderobenlautsprecher angekündigt wurden.

      „Ja“, rief sie, „ich singe für dich, Liebster“, und sie verscheuchte von ihren Stimmbändern die Trauer, die sich bleischwer auf ihnen abgelegt hatte. Sie gab sich der festen Übereugung hin, dass er in den Kulissen dabei sein würde.

      Die Vorstellung reichte nicht an die Premiere heran, so sehr sich Liborio Stupia, Caro und Thomas Armsden auch bemühten. Wotans Schatten war entschieden zu lang. Dennoch entsprach die Qualität des Gebotenen immer noch höchsten Ansprüchen. Johannes Holtz zeigte sich jedenfalls zufrieden.

      Als Caro nach der Vorstellung in ihre Garderobe zurückkam, fand sie einen Rosenstrauß auf ihrem Tisch vor. Auf einer beiliegenden Karte stand zu lesen, und zwar unbestreitbar in Wotans Handschrift: „Sorry, my love, I finally had to do it my way. W.“

      Caro stierte minutenlang auf die Notiz, schaute in den Spiegel, in dem sie nur verschwommen ihr Gesicht wahrnahm, und fragte sich: „Warum? … Warum nur habe ich ihm nie gesagt, wie sehr ich ihn liebe?“

      Auf der stillen Beerdigung in einem kleinen Kreis, worum Frieda van Geel gebeten hatte, vereinbarten Caro und Lara, sich zu einem Gespräch zu treffen. Beide verspürten das Bedürfnis, sich auszusprechen und ein paar Dinge zu klären. Sie trafen sich in einem Café.

      Lara erzählte Caro als Erstes, dass ein Bote ihr zwei Tage zuvor einen Brief ihres Vaters überbracht hätte, der allerdings – nach dem Datum zu urteilen – schon vor längerer Zeit geschrieben worden war.

      „Und was schrieb er dir?“, wollte Caro wissen, „falls ich das wissen darf.“

      Lara überlegte eine Weile, bevor sie antwortete: „Er versuchte, ein langjähriges Missverständnis zwischen ihm und mir auszuräumen. Ich weiß zwar, dass er mich über alles geliebt hat, doch diese Meinungsverschiedenheit hat unser Verhältnis lange Zeit getrübt … Und er fragte, ob ich mich an die Geschichte erinnere von dem alten Elefanten, die er mir als Kind immer erzählt hatte.“

      „Eine Elefantengeschichte?“

      „Ja, von einem alt gewordenen Elefanten, der eines

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