Beispielhaft. Claus Karst

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Beispielhaft - Claus Karst страница 11

Автор:
Серия:
Издательство:
Beispielhaft - Claus Karst

Скачать книгу

Strohballen, bis er ein kräftiges Niesen nicht unterdrücken konnte. Die beiden fuhren hoch, Olga errötete und bedeckte schamhaft ihre Blöße. Tadek indes meisterte die Situation sofort auf seine Weise.

      „Kleiner Bruder“, so nannte er ihn inzwischen, „komm her!“ Er breitete seine Arme aus. „Du wirst mich doch nicht verraten wollen? Du kannst doch ein Geheimnis bewahren?“

      „Ja, Tadek“, stotterte Hermann verwirrt.

      „Dann darfst du niemandem erzählen, dass du Olga und mich hier gesehen hast. Versprich es mir!“

      „Ja, ich verspreche es.“

      „Großes Ehrenwort?“

      „Großes Ehrenwort!“

      Hermann rannte in den Wald. Er wollte allein sein, denn er fürchtete, dass ihm anzumerken war, was er erlebt hatte. Die Krallen der Eifersucht griffen nach ihm, Eifersucht auf Olga, die seinen Tadek zu dem Unaussprechlichem verführt hatte. Tadek hatte er längst für sich vereinnahmt, konnte sich nicht ausmalen, dass sein Freund auch Interesse für andere Menschen zeigte. Er war nicht bereit, ihn mit anderen zu teilen, obwohl auch Olga immer freundlich zu ihm gewesen war, ihm öfter etwas Leckeres zum Naschen zugesteckt hatte. Groll und Trauer nahmen gleichermaßen Besitz von ihm. In den nächsten Tagen machte er einen großen Bogen um das Gut, um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, Tadek in die Arme zu laufen.

      Erst nach und nach kam er über das Vorgefallene hinweg, zumal er Tadek und Olga nie mehr zusammen sah und er ihm als Spielkamerad fehlte. Seine Musik vermisste er, ebenso die Geschichten von den unsichtbaren Bewohnern des Waldes, den Geistern, den Elfen und Faunen, die Tadek ihm spannend zu erzählen wusste. Er glaubte sie inzwischen hinter jedem Baum und Strauch zu erblicken, wenn er auf Abenteuersuche unterwegs war. Sogar nachts spukten sie durch seine kindlichen Träume.

      Eines Tages fragte Tadek ihn: „Wollen wir bauen einen Windvogel?“

      „Ja, gerne!“, antwortete Hermann begeistert und voller Vorfreude.

      In seiner Kammer hatte Tadek Holzleisten, Papier und Kordel bereitliegen, notwendige Bauteile, die er angesammelt hatte. Die Leisten baute er zu einem Kreuz zusammen, das größer als sein kleiner Freund war und dessen Enden er mit der Kordel verband, sodass eine Raute entstand. Dann befestigte er darauf mit stabilem Packpapier die Segelfläche und beklebte sie mit farbigen Augen, einer dicken, roten Nase wie der des Altbauern und einem Mund, sodass der Vogel ein freundliches Aussehen erhielt. Am unteren Ende wurde ein langer Schwanz mit farbigen Papierschleifen angehängt, der den Vogel im Gleichgewicht halten sollte.

      Bald schon konnten sie erste Flugversuche unternehmen. Gemeinsam ließen sie den Windvogel an einer langen Leine am Himmel schweben. „Weißt du, kleiner Bruder“, sagte Tadek eines Tages nachdenklich, „wenn Krieg ist vorüber, werde ich mit diesem Vogel zurück in meine Heimat fliegen.“

      Wann immer der Bub an diese Worte dachte, wurde ihm traurig ums Herz.

      Wenige Wochen später erfuhr Hermann aus den Gesprächen seiner Eltern, dass der Krieg ein Ende gefunden hatte. Die Tage waren von nun an ungestörter Arbeit vorbehalten, die Nächte vergönnten der Bevölkerung wieder Schlaf und Erholung. Scheinwerferstrahlen leuchteten nicht mehr den Nachthimmel nach feindlichen Bombern ab, die Sirenen hatten aufgehört, die Bevölkerung vor ihrem Herannahen zu warnen. Auch auf die Verdunkelung der Fenster abends konnte verzichtet werden.

      Eines Abends kam sein Vater nach Hause und erkundigte sich bei seiner Mutter, ob sie die entsetzliche Neuigkeit vom Gut schon gehört hätte?

      „Was gibt es denn?“, fragte sie neugierig. Ihr war noch nichts zu Ohren gekommen.

      Hermanns Vater berichtete: „Als das Personal beim Abendbrot saß, kam der Alte völlig betrunken in die Stube getorkelt, sein Gewehr, das er aus Furcht vor flüchtigen Zwangsarbeitern jetzt ständig bei sich trug, unterm Arm. Er legte damit auf diesen Tadek an und soll ihn angeschrien haben: ‚Du verdammtes Russenschwein fährst nicht als Sieger nach Hause. Eher knall ich dich ab. Ich kann dein ewiges Grinsen schon lange nicht mehr ertragen.’ Er beabsichtigte offensichtlich allen Ernstes, Tadek zu erschießen. Der jedoch soll ganz ruhig aufgestanden sein und plötzlich eine Pistole in der Hand gehabt haben … Dann ging alles ganz schnell: Der Alte feuerte hasserfüllt, traf jedoch seines Zustands wegen nur den Schrank an der Wand, in dem das Porzellan zu Bruch ging. Im gleichen Moment stürmte die Jungbäuerin in die Stube, bullerig, wie es ihre Art ist. Die Tür traf Tadek dabei am Arm, ein Schuss löste sich aus seiner Pistole. Der Alte sank getroffen zu Boden, wo er letztlich verblutete, weil die herbeigerufene ärztliche Hilfe nicht mehr rechtzeitig eintraf. Tadek indes nutzte die entstandene Panik und machte sich aus dem Staub. Niemand hielt ihn auf. Obwohl die Behörden nach ihm fahnden, ist bisher noch keine Spur von ihm entdeckt worden. Er wird sich wohl in den Wäldern versteckt halten.“

      „Nun, ich kann nicht behaupten, dass der Alte ein solches Ende nicht verdient gehabt hätte“, meinte die Mutter, errötete schamhaft bei diesen Worten und bekreuzigte sich mehrmals, denn sie war eine fromme Frau. „Aber dieser Tadek besaß kein Recht zur Selbstjustiz. Derlei Zeiten sollten in Deutschland jetzt ein für alle Mal vorbei sein.“

      „Deine Worte in Gottes Ohr!“, beschwor der Vater. „Ob Tadek gezielt geschossen hat oder eine höhere Macht im Spiel war, werden wir nie erfahren, falls der Knecht nicht gefunden wird“, fügte er hinzu.

      Hermann überlegte. Wo konnte Tadek sich verborgen halten? Er dachte nach. Ein mögliches Versteck kam in den Sinn, da kaum jemand den nahen Wald besser kannte als er. „Ich geh noch ein bisschen draußen spielen“, rief er, ohne eine Zustimmung seiner Eltern abzuwarten, und rannte in den Wald. Dort befand sich, hinter fast undurchdringlichen Büschen verborgen, eine kleine Höhle, in der Tadek und er öfter Unterschlupf gesucht hatten, wenn es regnete. Von deren Vorhandensein wusste wahrscheinlich kaum jemand. Auf den ersten Blick erkannte der Junge, dass Tadek hier gewesen sein musste. Auf einem Stein lag, in einem Futteral, Tadeks Mundharmonika mit einem Zettel, auf dem in einer fremden Sprache in Großbuchstaben geschrieben stand:

       NIE ZAPOMNIJ MNIE, MOJ MALY BRACISZKU.

      Hermann steckte den Zettel in seine Tasche. Er begriff schweren Herzens, dass er Tadek nie mehr wiedersehen würde. Seinen liebsten Spielkameraden hatte er verloren. Tränen abgrundtiefen Schmerzes bemächtigten sich seiner, er vergaß die Zeit. Erschöpft schlief er schließlich in der Höhle ein und wurde erst wieder wach, als er draußen – es war noch dunkel – seinen Namen rufen hörte. Verschlafen kroch er aus seinem Versteck und legte sich schnell unter den nächsten Baum, wo er sich von seinen besorgten Eltern auffinden ließ. Tapfer hörte er sich ihre Vorwürfe an, ohne ihnen zu verraten, was ihn in den Wald getrieben hatte.

      Olgas Heimatdorf war im Krieg dem Erdboden gleichgemacht worden, ihre engere Verwandtschaft hatte den Tod gefunden. Daher hatte sie sich entschlossen, vorläufig noch auf dem Hof zu verbleiben, was den Bauersleuten recht war. Sie übersetzte, was Tadek geschrieben hatte:

       VERGISS MICH NICHT, MEIN KLEINER BRUDER.

      Lange Zeit konnte Hermann seine Traurigkeit nicht überwinden. Tadek fehlte ihm zu sehr. Er vermisste ihn, seinen großen Bruder, zumal er selbst keine Geschwister hatte. Als er sich auf dem Hof auf die Suche nach dem Windvogel machte, blieb er ohne Erfolg. Er vermutete, dass Tadek ihn in der Tat zur Flucht benutzt hatte, äußerte seinen Verdacht jedoch mit keinem Wort. Die Mundharmonika hütete er als kostbarstes Juwel seiner Kindheit, aber er spielte nur noch gelegentlich auf ihr, weil ihr Klang ihn mit Herzweh erfüllte.

      Neue Erfahrungen überfluteten ihn, den aufs Leben neugierigen Jungen, neue Abenteuer vermengten sich mit

Скачать книгу