Beispielhaft. Claus Karst
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„Ich bedanke mich ebenfalls“, entgegnete Eileen mit sichtbarer Enttäuschung, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und stieg wieder in den Lift ein. Ein letztes Winken, dann schloss sich die Tür.
Lange saß Wotan selbstversunken in einem Sessel bei einem Glas Rotwein. Schließlich legte er sich ins Bett und fiel in einen unruhigen, traumschweren Schlaf, in dem immer wieder Bilder vor seinen Augen auftauchten: Caro, mit der er das Schlussduett im Rigoletto sang, seine Frau, deren unberechtigte Eifersucht ihn bisweilen verfolgte, seine Tochter, die er über alles liebte, auch Eileen, deren jugendliche Begeisterung ihn faszinierte …
Als Wotan am nächsten Morgen aufwachte, der neue Tag nach und nach seine Erinnerungen mit Leben erfüllte, befiel ihn ein Gefühl aufkommender Melancholie. Er stand auf, duschte und machte sich bewusst, dass ein schwerer Tag vor ihm lag: die Generalprobe. Nach einem ausgiebigen Frühstück, bei dem es ihm nicht gelang, die Zeitung zu lesen, weil er immer nur Eileen und verpasste Sekunden vor Augen hatte, machte er einen Spaziergang, um frische Luft zu atmen und seine Gedanken zu ordnen.
Die Generalprobe verlief ohne Probleme und ohne jede Panne.
„Das kommt mir fast unheimlich vor“, sagte Jo Holtz, klopfte auf das Holz seines Notenpultes und entließ die Akteure mit dem Wunsch, sich die Stunden bis zur Aufführung zu entspannen.
Am nächsten Morgen zog sich Wotan nach einem späten Frühstück wie in früheren Jahren in die romanische Kirche der Stadt zum Meditieren zurück. Er setzte sich auf eine Bank und dachte nach, wie er dies hin und wieder tat, wenn etwas ihn stark beschäftigte oder wenn er über das Leben an sich nachsinnen wollte. In Gedanken spulte er jede Szene seiner Rolle ab und registrierte mit Erleichterung, dass der Text saß – es wurde auf Italienisch gesungen. Er würde die Souffleuse nicht in Anspruch nehmen müssen, was ihm eine freiere Rollengestaltung auf der Bühne ermöglichen würde. Zuversichtlich lief er ins Hotel zurück, um noch zwei Stunden zu ruhen und sich auf den Abend vorzubereiten.
3. Akt (Rigoletto)
Drei Stunden vor Beginn der Aufführung betrat Wotan das Opernhaus durch den Künstlereingang. Er nahm sich die Zeit, ein paar freundliche Worte mit dem Pförtner und einigen guten Geistern, die hinter der Bühne für das Gelingen zu sorgen hatten, zu wechseln. Mit Manu, der Regieassistentin, die ihn mit ihren guten Einfällen immer wieder beeindruckte und die er in sein Herz geschlossen hatte, flachste er ein wenig länger und sprach ihr seine Anerkennung für ihre Arbeit aus.
Vor seiner Garderobe kam die gute alte Tessi Braun auf ihn zu, fragte nach seinem Befinden und wann sie mit der Maske beginnen solle.
„Es bleibt noch Zeit. Ich will mich erst mal einsingen und vor allem Caro und Thomas Armsden begrüßen und ihnen Glück wünschen“, entgegnete Wotan.
Caro klopfte kurz danach an die Tür seiner Garderobe, trat ein und umarmte ihn. Ihre weibliche Intuition ließ sie spüren, dass eine nicht greifbare Veränderung mit Wotan vorgegangen war. Besorgt fragte sie: „Ist etwas nicht in Ordnung, mein Lieber?“
Wotan erwiderte mit einem Stirnrunzeln: „Was lässt dich das denn vermuten? Was soll nicht in Ordnung sein? Ich freue mich auf den Abend, auf unseren Abend.“
Zärtlich nahm er sie in seine Arme und küsste sie in einem plötzlich aufflammenden Ausbruch seiner unerfüllten Liebe. Caro erwiderte seinen Kuss, etwas mehr als nur freundschaftlich, suchte dann aber, erschrocken über sich selbst, das Weite mit dem Hinweis, sich noch in Ruhe einstimmen zu müssen.
Die Vorbereitungen hinter dem Vorhang nahmen ihren gewohnt routinierten Gang. Trotz der Bedeutung dieser Vorstellung kam keine Hektik auf. Johannes Holtz, heute Abend Intendant, Regisseur und Dirigent in Personalunion, wünschte allen Beteiligten auf und hinter der Bühne ein gutes Gelingen und klopfte ein letztes Mal laut hörbar auf Holz, bevor er hinunter in den Raum der Musiker ging, um letzte Anweisungen zu erteilen.
Wotan zeigte sich begeistert, von der Mühe, die Tessi Braun sich mit seiner Maske gab. Sie half ihm in das Kleidungsstück eines Hofnarren des 16. Jahrhunderts – wie auch die übrige Ausstattung der Zeit nachempfunden war. Zum Schluss rückte sie ihm das Buckelkissen zurecht und fixierte es. Sie wusste nur zu gut, welch körperliche Anstrengung Wotan bevorstand, den ganzen Abend in gebeugter Haltung zu gestalten. Abschließend musterte sie ihr Werk noch einmal gründlich und sagte: „Perfetto, Signore, und toi, toi, toi.“
„Herzlichen Dank, Tessi“, antwortete Wotan. „Was machte ich nur ohne dich? Die Narrenkappe setze ich mir später selbst auf.“
Während Tessi sich noch um ein paar andere Mitwirkende kümmerte, schloss Wotan sein Einsingen mit ein paar leichten Übungen ab.
Die Karten für die Galavorstellung hatten zum Teil ausgelost werden müssen, so groß war die Nachfrage gewesen. Ein gut gelauntes Publikum füllte das Theater in Erwartung eines unvergesslichen Opernabends. In einer der Ranglogen nahm eine rotblonde Frau von etwa dreißig Jahren in einem aufregend schwarzen Cocktailkleid Platz. Sie zog die bewundernden Blicke zahlreicher männlicher Besucher auf sich. Ihre leuchtenden Augen und wachen Ohren waren indes nur darauf erpicht, Wotan auf der Bühne zu erleben.
Als Johannes Holtz pünktlich auf die Sekunde den Orchestergraben betrat und auf sein Podest stieg, wurde er bereits mit stürmischem Applaus begrüßt als Dank für die vielen schönen Abende, mit denen er seine Besucher stets beglückt hatte. Nachdem erwartungsvolle Stille im Auditorium eingekehrt war, hob er den Taktstock. Das Orchester schenkte ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Schon die Ouvertüre ließ keine Zweifel aufkommen, dass die Musiker in Bestform waren und gewillt, zum Gelingen des Abends ihren Beitrag zu leisten. Im Zuschauerraum sprang sofort der Funke der Begeisterung über. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Auch der Chor in seinen prachtvollen Kostümierungen wollte nicht nachstehen, was jeder Zuhörer bereits zu Beginn des 1. Aktes beim Fest am Hofe des Herzogs von Mantua vernehmen konnte.
Der erste große Auftritt war an diesem Abend Thomas Armsden in seiner Rolle des Herzogs von Mantua vorbehalten, einem Weiberhelden par excellence. Nachdem er einigen Schönen den Hof gemacht hatte, immer wieder angestachelt durch seinen Hofnarren, der buckelnd um ihn herumscharwenzelte, setzte der Herzog zu einer Ballade Questa o quella per me sono pari … (Freundlich blick ich …) an. Ein erster donnernder Zwischenapplaus belohnte seine Darbietung.
Wotan zeigte sich präsent, wieselte von Gruppe zu Gruppe und spielte sein perfides Spiel mit den Höflingen, vergoss dämonisch seinen Hohn und Spott über die Hofschranzen, die ihn wegen seiner Behinderung verlachten. Als der Graf von Monterone auftrat, um vom Herzog Genugtuung für die Verführung seiner Tochter einzufordern, zeigte sich Wotan in seinem Element. In Szenen wie diesen war sein Können als Schauspieler gefragt. Er äffte ihn nach und verhöhnte ihn grausam, woraufhin der Graf ihn verfluchte und Rigoletto betroffen zusammenbrach.
Als sich der Vorhang am Ende des 1. Aktes senkte, brandete ein erster Beifallssturm auf. In diesem Moment registrierte Wotan, dass Caro sich schon eine Zeit lang in der Kulisse versteckt gehalten hatte. Da nur eine kurze Umbaupause anstand, ging Wotan nicht zurück in seine Garderobe, sondern ließ sich nur eine Flasche Wasser reichen.
Caro kam auf ihn zugelaufen, umarmte und gratulierte ihm. „Du bist grandios, mein Lieber. Für mich bist du immer noch der Rigoletto schlechthin“, flüsterte sie ihm zu und küsste ihn.
Der